US-Truppenabzug aus Deutschland: Die wichtigsten Fragen und Antworten
2000 US-Soldaten mehr als geplant sollen Deutschland verlassen. Doch Trumps Idee könnte sich als Eigentor erweisen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Es ist ein klarer Schlag gegen die Nato – und gegen Deutschland: Fast 12.000 Soldaten, und damit mehr als bislang bekannt, will US-Präsident Donald Trump aus Deutschland abziehen. Schon jetzt ist klar, dass der Abzug die Amerikaner selbst Milliarden kosten wird und sogar Jahre dauern könnte. Sicherheitsexperten befürchten zudem, dass die Position der USA gegenüber Russland empfindlich geschwächt werden würde.
Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bringt es auf den Punkt. „Das ist erstmal eine persönliche Abrechnung eines Präsidenten. Das ist eine Kamikaze-Aktion“, sagte sie im ZDF-„Morgenmagazin“. Er wolle Deutschland treffen, treffe aber die Nato insgesamt. Lachender Dritter sei der russische Präsident Wladimir Putin. „Der wird heute Nacht vor Freude kaum ins Bett gefunden haben“, sagte Strack-Zimmermann.
Somit könnte die Abzugs-Idee zum Eigentor werden und die US-Sicherheit sogar stärker schädigen als Deutschland, das Trump doch eigentlich wegen der seiner Ansicht nach zu geringen Verteidigungsausgaben besonders treffen will. Der
Mieterverein in Stuttgart, wo derzeit das Europa-Hauptquartier der Amerikaner liegt, sieht den angekündigten Abzug Tausender US-Soldaten gar als große Chance im Kampf gegen die Wohnungsnot in der Stadt. „Wenn die Idee schon von den Amerikanern kommt, muss man nicht heulen und mit den Zähnen klappern“, sagte der Vorsitzende Rolf Gaßmann der Nachrichtenagentur dpa.
Denn die US-Verbände bilden hierzulande einen wichtigen „Brückenkopf“. Ohne ihn können US-Einsätze in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten oder Afghanistan nur schwer abgewickelt werden.
Ein nachvollziehbarer Plan zur Reduzierung eines so großen Teils der hiesigen US-Truppen ist also schwer auszumachen. Viele Fragen bleiben offen. Doch es gibt auch ein paar Antworten.
US-Truppenabzug aus Deutschland: Wie viele Soldaten ziehen ab?
Schon vor Monaten hatte US-Präsident Donald Trump angeordnet, die Zahl der in Deutschland stationierten US-Soldaten von rund 35.000 auf 25.000 zu reduzieren. Doch jetzt kam die Überraschung: Nun soll die Zahl um fast 12.000 reduziert werden. 6400 von ihnen sollen in die USA zurückkehren. Wohin genau, ist noch unklar.
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Weitere 5600 sollen in andere Nato-Länder verlegt werden. Offiziell soll damit die „strategische Flexibilität“ der US-Streitkräfte erhöht werden, wie Verteidigungsminister Mark Esper in einem Live-Stream des Pentagon erklärte.
US-Sicherheitskreise gehen laut amerikanischen Medienberichten davon aus, dass die jetzt höhere Zahl an abziehenden Soldaten auf einen Planungsfehler zurückzuführen ist. Demnach wurde bei einer internen Überprüfung festgestellt, dass mehr US-Truppen dauerhaft in Deutschland stationiert seien als ursprünglich angenommen.
US-Truppenabzug aus Deutschland: Welche Standorte sind betroffen?
In Deutschland sind von dem Abzug vor allem folgende Orte betroffen:
- Die US-Streitkräfte sollen ihr regionales Europa-Hauptquartier von Stuttgart nach Belgien verlegen. Von den Patch-Baracks in Stuttgart-Vaihingen aus werden derzeit noch die US-Einsätze in ganz Europa und in Afrika gesteuert. Nun soll das sogenannte US European Command (Eucom) nach Mons ziehen und dort mit dem militärischen Nato-Hauptquartier in Europa verzahnt werden. Für das Afrika-Kommando ist noch kein Standort gefunden.
- Vilseck und Grafenwöhr in Bayern gehören bislang zu den größten US-Truppen-Standorten in Europa. Dort sind etwa 10.000 Soldaten stationiert. Circa 3000 Einheimische sind bei der US-Armee und deren Vertragspartnern beschäftigt. Vilseck sollen etwa 4500 Soldaten verlassen. Es handelt sich hierbei um das zweite Kavallerie-Regiment.
- Von Spangdahlem in Rheinland-Pfalz sollen Truppen der US-Luftwaffe laut Esper nach Italien verlegt werden, wo sie „näher am Schwarzen Meer“ seien. Bislang ist in der Eifel ein Geschwader mit Kampfflugzeugen des Typs F16 stationiert. Insgesamt sind in Spangdahlem momentan rund 4.000 US-Soldaten und 800 Zivilbeschäftigte stationiert.
- Nach SWR-Informationen ist zudem auch der Standort Wildflecken in Unterfranken von dem Truppenabzug betroffen.
Warum ziehen die Soldaten ab?
Verteidigungsminister Esper begründet den Abzug offiziell mit einer Neuausrichtung der Truppenstationierung in Europa. Er behauptet, mit dem Schritt würden die Abschreckung gegenüber Russland und die Nato sogar gestärkt, weil die USA unter anderem flexibler würden.
Doch Trump hat aus seinen persönlichen Motiven keinen Hehl gemacht. Er hat immer wieder betont, der Abzug erfolge, weil Berlin das Nato-Ziel, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, nicht erreicht habe. Es liegt bei etwa 1,38 Prozent. In der Nacht zum Donnerstag twitterte Trump: "Deutschland zahlt Milliarden Dollar pro Jahr an Russland für Energie und wir sollen Deutschland vor Russland schützen. Was soll das? Außerdem verfehlt Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Darum ziehen wir jetzt Truppen aus Deutschland ab."
Die Bundesregierung wurde von Washington vor der Entscheidung über den Truppenabzug nicht konsultiert. Zuletzt stand sie dazu aber im Austausch mit der US-Regierung.
Hinter den Ankündigungen der US-Regierung dürften aber auch innenpolitische Gründe stehen. Viel spricht dafür, dass der Regierungschef vier Monate vor der Präsidentenwahl im November ohne Sachkenntnis und Problembewusstsein seinen potenziellen Wählern vor allem eines demonstrieren will: Er kann ein Land bestrafen, von dem er die USA benachteiligt fühlt.
US-Truppenabzug aus Deutschland: Wohin werden die Soldaten verlegt?
Nach Angaben von US-Verteidigungsminister Esper sollen 5.400 Soldaten in andere Nato-Staaten, verlegt werden. Konkret geht es um Italien und Belgien. Einige könnten auch nach Polen und in die baltischen Staaten verlegt werden. Dafür müssen aber noch entsprechende Vereinbarungen getroffen werden, etwa mit Warschau. Grundsätzlich soll die südöstlichen Nato-Flanke in der Nähe des Schwarzen Meeres gestärkt werden.
Doch der ehemalige Kommandeur des US-Heeres in Europa, der US-General im Ruhestand Ben Hodges, rechnet nicht mit einem raschen Umzug des US-Militärs von den Stuttgarter Patch Barracks in den arg in die Jahre gekommenen Nato-Komplex in Mons. „Das ist nicht, als würden Sie Ihr Zelt abschlagen und auf einem anderen Campingplatz wieder aufbauen“, warnt er. „Shape muss dringend renoviert und wieder auf Vordermann gebracht werden.“ Denn die Gebäude stammen alle aus den 60er Jahren – und schauen auch so aus.
In Stuttgart mangelt es dagegen nach Schätzung des Mieterverein derzeit an 30.000 Wohnungen. Mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 und der Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in den Untergrund würden ab 2025 rund 80 Hektar Fläche frei werden - das biete Platz für 7500 Wohnungen, sagte der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. Die gut erschlossenen Militärflächen in der Landeshauptstadt seien in der Summe mit mehr als 180 Hektar aber noch weit größer.
Was wird der Abzug kosten?
In seiner Pressekonferenz sagte Esper, der Abzug werde die USA „sicherlich einen einstelligen Milliardenbetrag“ kosten. Dieser solle jedoch „über Jahre“ gestreckt werden. Hintergrund ist, dass der Abzug wahrscheinlich sowohl in Europa als auch in den USA neue militärische Konstruktionen erforderlich machen wird, um die Truppen unter den veränderten Bedingungen unterzubringen.
Bislang kostet die aktuelle Truppenstationierung die USA jedes Jahr einen einstelligen Milliardenbetrag. Das US-Verteidigungsministerium schätzt die Aufwendungen für 2020 in einer Haushaltsprognose aus dem vergangenen Jahr auf umgerechnet rund 7,234 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das ist 55 Mal so viel wie die 132,4 Millionen Euro, die Deutschland im vergangenen Jahr für die Truppenstationierung gezahlt hat.
Wie lange wird der Abzug dauern?
Die Truppenverlegung soll „so schnell wie möglich“ passieren – die ersten schon innerhalb von „Wochen“. So erklärt es Esper.
Doch US-Sicherheitskreise gehen laut amerikanischen Medien davon aus, dass die Neupositionierung „Monate für die Planung und Jahre für die Ausführung“.
Damit legt der Zeitplan nahe, dass die Abzugsidee auch wieder rückgängig gemacht werden könnte, sollte Trump die Wahl im November verlieren. Bei der Umsetzung des schon aus logistischen Gründen langwierigen Teilabzugs dürfte also das letzte Wort noch lange nicht gesprochen sein.
Wer wehrt sich in den USA gegen den Teilabzug?
Im US-Kongress hat sich bereits bei Trumps Republikanern und den Demokraten Widerstand formiert. Der Plan wird dort vor allem kritisch gesehen, weil er das Verteidigungsbündnis Nato schwächen und Russland in die Hände spielen könnte. Im Senat und im Repräsentantenhaus gibt es daher Pläne, den Teilabzug über das Gesetz zum kommenden Militärhaushalt zu verhindern.
Der republikanische Senator Mitt Romney nannte die Abzugsidee einen „schwerwiegenden Fehler“. Romney - ein innerparteilicher Kritiker Trumps - schrieb auf Twitter: „Es ist ein Schlag ins Gesicht eines Freundes und Verbündeten.“
Der republikanische Senator Ben Sasse bescheinigte Trump „mangelndes strategisches Verständnis“. Sasse teilte mit: „US-Soldaten sind nicht auf der ganzen Welt als Verkehrspolizisten oder Sozialarbeiter stationiert - sie bremsen die expansionistischen Ziele der schlimmsten Regime der Welt, vor allem Chinas und Russlands.“
Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton kritisierte, die Entscheidung sende „unseren Gegnern das falsche Signal und macht unsere Verbündeten angesichts der zunehmenden globalen Bedrohungen verwundbar“.
Wie reagiert Deutschland auf die Abzugspläne?
Die Pläne Trumps zum Abzug von fast einem Drittel der 34.500 in Deutschland stationierten US-Soldaten zeigen wie in einem Brennglas, woran es gegenwärtig hapert zwischen Washington und Berlin. Entscheidungen, welche die Sicherheit Deutschlands, anderer europäischer Staaten und des Nato-Bündnisses insgesamt betreffen, werden üblicherweise in enger Abstimmung beider Staaten vorbereitet. Doch die Bundesregierung war nicht eingeweiht und wurde erst durch Medienberichte aufgeschreckt.
Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann geht davon aus, dass der geplante Abzug vor allem den USA selbst schadet. „Trump will Deutschland abstrafen, trifft aber Sicherheitspolitisch das westliche Bündnis und damit sich selbst“, sagte sie dem „Tagesspiegel“. „Wir müssen diese Entscheidung respektieren, hoffen aber, dass diese Pläne nach dem 3. November strategisch überdacht werden.“
Zudem kritisierte sie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). „Man fragt sich, wo Außenminister Maas ist. Offensichtlich in Deckung gegangen, in der Hoffnung, dass der Sturm sich bald wieder legt“, sagte sie. „Traurig, dass er mit den Amerikanern nicht im Gespräch geblieben ist.“
Auch der Grünen-Verteidigungsexperte Tobias Lindner kritisierte die US-Pläne. „Europa wird nicht sicherer, wenn dauerhaft US Truppen in Polen stationiert werden. Das kann nicht im Interesse der Nato sein“, sagte er dem Tagesspiegel. „Ich bin gespannt, was von den Plänen Realität wird und ob der US-kongress hiervon noch Dinge verhindern kann“.
Bayern Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat bereits Unterstützung für die in seinem Bundesland betroffenen Regionen angekündigt. „Wir werden allen betroffenen Standorten helfen. Vor allem die Bundeswehr ist gefragt“ sagte Söder – und ergänzte: „Wir warten jetzt ab, ob die Entscheidung auf Dauer bleibt.“