Bundespräsident: Die Wahl des Gauck-Nachfolgers könnte Weichen stellen
Joachim Gauck hat dem Amt des Bundespräsidenten wieder Maßstäbe gegeben. Mit diesem Ansehensgewinn jetzt aufzuhören, wäre weise. Doch das Rennen um die Nachfolge ist völlig offen. Ein Kommentar.
Was dafür spricht, dass Joachim Gauck Montagabend der Bundeskanzlerin bei einem eigentlichen Routinetermin eröffnen wird, dass er nicht mehr für eine zweite Amtszeit kandidieren will? Ganz einfach: Hätte er sich anders, also für Weitermachen entschieden und damit dem Drängen fast aller wichtigen politischen Kräfte nachgeben wollen, hätte es in den vergangenen Wochen genügend Gelegenheiten gegeben, dies kundzutun.
Aber das Ringen mit sich selbst, ob die eigene Gesundheit, die rein physische Spannkraft, die geistige Leistungsfähigkeit ihm weitere fünf Jahre treu bleiben würden, hat ihn in den letzten Wochen erkennbar beschäftigt. Und eines hat er im kleinen Kreis auch klar gesagt: Eine „italienische Lösung“, also eine erneute Kandidatur mit Rückzug nach der halben Amtszeit, bis sich aktuelle Regierungskrisen beruhigt haben, das würde es mit ihm nicht geben.
Es ist, wenn es so kommt, eine weise Entscheidung, denn Gauck ginge auf dem Höhepunkt seines Ansehens, des persönlichen und auch des Amtes. Das hatte darunter gelitten, dass zwei Präsidenten vorzeitig ausschieden. Horst Köhler, weil er mit der öffentlichen Aufregung über seine missverständlichen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht souverän umzugehen verstand; Christian Wulff, weil die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn eingeleitet hatte.
Joachim Gauck, von Angela Merkel im ersten Anlauf noch als Bundespräsident verhindert, im zweiten dann missmutig ertragen, hat pastorale Formulierungsleidenschaft mit einem überzeugenden Plädoyer für die Freiheitsrechte der Menschen verbunden. Er hat, endlich, wieder Maßstäbe in Erinnerung gerufen.
Die Machtverhältnisse lassen viele Varianten zu
Nun ist der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2017 eröffnet, denn wenn im Februar des kommenden Jahres der Bundespräsident gewählt wird, begreift das jeder in der politischen Klasse als mögliche Weichenstellung. Gustav Heinemanns Wahl 1969 durch SPD und FDP, also während der Großen Koalition, war schon damals als ein Stück Machtwechsel interpretiert worden.
Nicht anders wird es diesmal sein – die Präsidentenwahl als Vorzeichen für denkbare Koalitionen. Zwar werden die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin noch Auswirkungen auf die Zusammensetzung der 1262 Mitglieder der Bundesversammlung haben, aber grundsätzlich lassen die bestehenden Machtverhältnisse viele Varianten zu: Eine neue große Koalition von CDU/CSU und SPD, wobei offenbleibt, ob die beiden zerstrittenen Unionsschwestern überhaupt in der Lage wären, sich mit den Sozialdemokraten zu einigen. Auch ein rot-rot-grünes Bündnis ist denkbar, und Schwarz-Grün hat mit mehr als 700 Stimmen ebenfalls eine Option – wobei das Angebot, Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf den Schild zu heben, eine vergiftete Offerte der Christdemokraten wäre, denn ohne Kretschmann verlören die Grünen mit Sicherheit bei der nächsten Wahl ihren Vorsprung im Südwesten.
Auch eine offene Abstimmung wäre ein Gewinn
Die Union verlangt von Angela Merkel, dass die Union mit einem eigenen Kandidaten antritt. Das ist eine Frage der Selbstachtung. Dass Merkel keinen SPD-Kandidaten unterstützen könne, hat sie bereits offen erklärt. Frank-Walter Steinmeier, die aussichtsreichste personelle Alternative der SPD, würde sich kaum für eine rot-rot-grüne Stimmfront nominieren lassen.
So bleibt als wahrscheinlichste Option, dass die vier stärksten Gruppen in der Bundesversammlung, Union, SPD, Grüne und Linke, jeweils mit einem eigenen Kandidaten – oder einer Kandidatin – in den ersten Wahlgang gehen. Immerhin sind die mehr als 60 Stimmen der Liberalen und der AfD volatil. Im zweiten und spätestens im dritten Wahlgang können sich dann Zweck- oder Neigungsbündnisse bilden. Dass sich gerade die honoris causa aufgestellten Prominenten unter den Wahlfrauen und -männern nach dem ersten Wahlgang nicht mehr in die Parteidiszipin zwingen lassen, hat man schon öfter erlebt. Eine wirklich offene Abstimmung ohne Vorabsprachen wäre nicht nur spannend. Sie hätte auch den Charme gelebter Demokratie.