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Meint er, wenn er über die Defizite von Migranten lästert, auch die ehemalige DDR-Bevölkerung? Björn Höcke im Landtag von Erfurt.
© dpa

Die Motive der AfD-Wähler: Die verspätete Wutabfuhr

Wenn Björn Höcke und Co. über Flüchtlinge sprechen, entfalten sie auf xenophober Folie Metaphern über sich selbst. Das Phänomen „AfD“ als Übersprungshandlung. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Arm waren sie. Zu Abertausenden lebten sie in Armut. In ihrem Land gab es kaum Hoffnung. Dort lebte man zusammengepfercht in Billigbauten, gegängelt von einem autoritären System, in dem alte Männer das Sagen hatten. Wirtschaftlich war das Land marode, in Not. Andersdenkende wurden diskriminiert oder eingesperrt.

In Scharen brachen sie aus. Ganze Familien suchten ihr Glück in einem reicheren Land. Sie wollten Freiheit, Wohlstand, Menschenrechte, sie überwanden Grenzen und nahmen Risiken auf sich. Anfangs trafen sie auf eine Willkommenskultur, sie wurden begrüßt und beschenkt. Allerdings fanden dann nur wenige das Paradies.

Alles Gewohnte war weg. Man musste neue Gesetze lernen, neue Regeln, Werte, Umgangsformen, man brauchte neue Papiere, Urkunden und Abschlüsse wurden nicht anerkannt. Viele Neubürger wurden zu Almosenempfängern, alimentiert durch den reichen Adoptivvater-Staat. Nachschulen, Fortbilden waren notwendig, um sich zu integrieren, und daran sind schließlich viele gescheitert. Sie kamen nie ganz an, sahen sich abgewertet, zornig, abhängig.

So erging es einem beachtlichen Teil der 17 Millionen Menschen, die nach 1989 vom System der DDR quasi in die Bundesrepublik einwanderten. Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag, sprach in einer Rede am 30. September 2015 in Erfurt über Leute, „die oft nicht mehr mitgebracht haben als ihre Herkunft aus einem gescheiterten Staat“. Er bezweifelte, „dass sie in Zukunft für ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst sorgen können“. Sie würden dem Staat, der sie adoptiert, auf der Tasche liegen. Freilich bezog sich Höckes Rede nicht auf sein Publikum, sondern auf Asylbewerber, Flüchtlinge.

Leuchtet man analytisch in solche Reden hinein, wird selbst bei Dämmerlicht deutlich: Höcke und seinesgleichen entfalten auf ihrer xenophoben Folie Riesenmetaphern über sich selbst. Unter der Oberfläche des heute Gesagten bebt und brodelt in der Tiefe das Magma von gestern, etwa die Wut und Verunsicherung durch die umwälzende Wende.

Ein ganzes Tableau von Projektionen

Wie Negative bei der Belichtung tauchen die wahren Bilder hinter den von der AfD beschworen auf. Wir sehen ein ganzes Tableau an Projektionen. In der Rede von den unfähigen, schlecht ausgebildeten „Asylanten“ aus autoritären Regimen werden die überforderten Bevölkerungsteile der neuen Bundesländer erkennbar. Einst waren sie mit der DDR-Presse staatlicher Propaganda ausgesetzt, ohne sich wehren zu können. Heute dienen Parolen zu „Lügenpresse“ und „Systemmedien“ der verspäteten Wutabfuhr.

Damals herrschte eine Nomenklatura an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Heute kann man sich ungestraft am Hass aus dem Nachlass bedienen und „Merkel muss weg!“ skandieren. Damals umgab eine dichte Hecke, eine schwer befestigte Grenze das Gebiet, in dem es sich in unterdrückter Gemütlichkeit sicher leben ließ. Heute weist die Obsession mit Grenzen und deren Schließung nachgerade auf eine Sehnsucht nach vertrauter Geborgenheit im Gatter.

Im Osten, dem auffälligsten Ballungsgebiet der Unzufriedenen, fühlen sich viele als Fremde, als Entfremdete. Zur Entlastung läge kaum etwas näher, als der Sprung in die Projektion auf die anderen „Fremden“, die Geflüchteten, die Migranten. Wie diese hatten DDR-Bürger Kompromisse mit einem Regime eingehen müssen, Ingrimm und Groll waren die Folge, Hass und Selbsthass, auch bei Erfolgreichen.

Sorgen, Ängste und Traumata bleiben unbearbeitet

So hat das Phänomen „AfD“ ökonomisch-soziale Ursachen wie psychische. Diagonal zu den klassischen Klassen zeigen sich emotionale Klassen. Auch jenseits vom Hartz- IV-Milieu existiert die emotionale Unterschicht, eine bitter verhärtete, der durchaus auch Wohlhabende angehören können. Dieser Schicht in ihrer Gesamtheit bietet sich die AfD-Elite als Hasslotse an. Sie kanalisiert die aufgestauten Affekte für ihre völkisch-nationalen Zwecke, während die wahren Sorgen, Ängste und Traumata unbearbeitet bleiben dürfen.
Ganz ohne Zweifel gibt es große, reale Probleme bei der Integration von Migranten. Real ist die bedrohliche Salafismus-Mode unter jungen Leuten, real sind die Anschläge, die irren, islamistischen Ideologien. Aber die überwältigende Dimension, die von der AfD solchen Gefährdungen zugeschrieben wird, besitzt andere Quellen. Aufschlussreicher als er gemeint ist, wird damit auch der Satz, den Sachsens Staatsministerin für Integration, Petra Köpping, während des Wahlkampfs in ihrem Bundesland öfter hörte: „Integriert erst mal uns.“

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