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Ein Puppenspiel vor einer zerstörten Schule in Syrien, die vertrieben Kindern als Unterkunft dient.
© Moawia Atrash/dpa

Krieg und Vertreibung in Syrien: Die verlorene Generation

Die EU muss sich entschlossener für Frieden in Syrien einsetzen. Wir entscheiden jetzt, wie die Zukunft der Kinder aussehen wird. Ein Gastbeitrag

Gerd Müller (CSU) ist Bundesentwicklungsminister, Georg Graf Waldersee ist Vorsitzender von Unicef Deutschland

Heute endet die Geberkonferenz für die Krisenregion um Syrien, zu der die Europäische Union und die Vereinten Nationen eingeladen haben. 53 Staaten und zahlreiche internationale Organisationen haben intensiv beraten. Ihre Botschaft ist: Die internationale Gemeinschaft lässt die Menschen nicht im Stich.

Auch Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr als einer der größten Geber in der Flüchtlings- und Krisenregion um Syrien. UNICEF und dem Entwicklungsministerium ist es dabei besonders wichtig, Kindern und Familien zu helfen, denn sie leiden am meisten.

Idlib, Aleppo und Homs: Das große menschliche Leid im vom Bürgerkrieg geschundenen Syrien, Flucht und Vertreibung begegnen uns fast täglich in den Nachrichten.

Dabei sehen wir nur die Spitze des Eisbergs: Elf Millionen Syrer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Fast sechs Millionen Mädchen und Jungen wurden seit dem Ausbruch des Konfliktes 2011 in Syrien oder auf der Flucht in einem Nachbarland geboren. Im zehnten Jahr des Bürgerkriegs kennt diese Generation von Kindern nichts Anderes als Angst und Not.

Die Menschen in Syrien brauchen eine Perspektive

Syrien steht so auch für einen traurigen Welttrend: In den Jahren seit 2014 gibt es die meisten bewaffneten Konflikte seit 1946. Gleichzeitig dauern die Konflikte länger an, früher durchschnittlich zehn Jahre, heute 27. Das darf nicht der Ausblick für Syrien sein. Die Menschen in Syrien, vor allem die Kinder, brauchen eine Perspektive.

Dazu gehören eine Waffenruhe und neue, kraftvolle internationale Bemühungen um einen robusten Frieden. Vor allem die Europäische Union muss hier entschlossen vorangehen.

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Und wir müssen den Menschen weiter helfen. Die Corona-Krise verschärft das Leiden und Sterben in der Krisenregion Syrien. Kinder sind besonders betroffen: Millionen leben in überfüllten Lagern oder informellen Siedlungen eng zusammen, wo Abstandhalten, Hände waschen kaum möglich ist.

Das Virus kann sich so leicht ausbreiten. Die Pandemie ist dabei weit mehr als eine gefährliche Gesundheitskrise. Sie hat längst zu einer dramatischen Hunger- und Wirtschaftskrise geführt.

Viele Kinder müssen arbeiten oder werden früh verheiratet

Viele Familien wissen nicht mehr, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen. Für die Kinder bedeuten Schulschließungen auch den Wegfall der Schulspeisung – oftmals der einzigen sicheren Mahlzeit am Tag.

Schon vor dem Ausbruch von Covid-19 konnten Millionen Mädchen und Jungen in Syrien und den Nachbarländern keine Schule besuchen.

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Online für die Schule zu lernen, ist für die meisten unerreichbar. Je länger dieser Zustand anhält, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht wieder in die Schulen zurückkehren, weil sie arbeiten müssen oder früh verheiratet werden.

Wir müssen den Menschen im Krisenbogen um Syrien und vor allem den Kindern jetzt entschlossen helfen. Jetzt ist die Stunde der internationalen Solidarität.

Deutschland finanziert die Arbeit von 20 000 Lehrern

2019 hat die Bundesregierung 1,4 Milliarden Euro für Syrien und die mit sechs Millionen Flüchtlingen betroffenen Nachbarländer zugesagt. Über 900 Millionen Euro stammten dabei aus dem Etat des Bundesentwicklungsministeriums. Diese Unterstützung wird 2020 fortgeführt.

Gemeinsam mit Unicef unterstützt das Entwicklungsministerium bereits seit vielen Jahren Millionen Familien und Kinder. So hat das Entwicklungsministerium im letzten Jahr in der Krisenregion Syrien über fünf Millionen Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgt, viele davon in Zusammenarbeit mit UNICEF. Fast 750.000 syrische Kinder, die in Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei Zuflucht gefunden haben, konnten 2019 wieder zur Schule gehen. Deutschland hat unter anderem die Arbeit von fast 20000 Lehrern in Schulen finanziert.

Wie die Zukunft der jungen Menschen aussieht, hängt von unserem Handeln ab

Hunderttausende Mädchen und Jungen haben in Syrien auch von dem Unicef-Programm „No Lost Generation“ profitiert, das vom Bundesentwicklungsministerium unterstützt wird. Über einer Million Kindern und jungen Erwachsenen konnte so mit Lernmaterialien, psychosozialer Hilfe oder durch überlebenswichtige Aufklärung über die Gefahr von Minen geholfen werden.

Die Kinder Syriens stehen für die Zukunft ihres Landes. Wie diese Zukunft aussieht, hängt aber davon ab, was wir heute tun, um die Mädchen und Jungen zu unterstützen.

Die dramatische Lage im Krisenbogen um Syrien und den vielen Flüchtlingscamps in den Nachbarländern zusammen mit der Corona-Pandemie ist deshalb ein eindringlicher Weckruf für Solidarität und internationale Zusammenarbeit.

Wer eine verlorene Generation verhindern will, muss ihr Hoffnung auf eine Zukunft geben. Auch nach der internationalen Geberkonferenz für Syrien und die Nachbarländer müssen wir dafür die richtigen Weichen stellen.

Gerd Müller, Georg Graf Waldersee

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