Migrantenquote im öffentlichen Dienst: Die unfreiwillige Hilfe der Berliner Linkspartei für die AfD
Die Erfahrungen der USA mit „Affirmative Action“ zeigen: Förderung ist nötig. Aber behutsam, sonst provoziert die Politik unerwünschte Folgen. Ein Kommentar.
Ist die Linkspartei in Berlin willens, aus Irrwegen der USA zu lernen? Amerika hat jahrzehntelange Erfahrungen, was sich durch gezielte Förderung benachteiligter Minderheiten erreichen lässt – aber auch mit den unerwünschten Konsequenzen.
Integrationssenatorin Elke Breitenbach fordert die bevorzugte Einstellung von Menschen mit Migrationshintergrund durch das Land Berlin und die Bezirke, bis eine Quote von 35 Prozent erreicht ist statt der heute angeblich zwölf Prozent.
Dagegen spricht vieles. Es fehlen belastbare Statistiken, die Angabe zum Migrationshintergrund ist freiwillig, merkt die frühere Ausländerbeauftragte Barbara John an. Innensenator Andreas Geisel nennt Breitenbachs Gesetzentwurf „nicht verfassungskonform“.
Und was wären die politischen Folgen einer solchen Quote? Die AfD bekäme ein Mobilisierungsthema.
Darf man Bewerber ohne Migrationshintergrund per Quote ablehnen?
Wegen der Wirtschaftsstruktur dominiert Berlins öffentlicher Dienst den Arbeitsmarkt noch stärker als ohnehin in Deutschland. Derzeit sind es 127.000 Stellen. Bis 2029 scheiden 44.000 Personen aus Altersgründen aus. Soll man sie zum Großteil durch Bewerber mit Migrationshintergrund ersetzen?
In den Familien und Freundeskreisen der dann erfolglosen Bewerber ohne Migrationshintergrund – laut Breitenbach zwei Drittel der Berliner – würde das wohl Ressentiments auslösen.
Bei knappen Gütern wird die Bevorzugung einer Gruppe zwangsläufig von den anderen als Benachteiligung empfunden. Anders ist das nur, wenn der Grund in akzeptablem Verhältnis zum eigenen Nachteil steht.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Im Streit um „Affirmative Action“ in den USA wird gern der Behindertenparkplatz genannt. Die meisten respektieren ihn, weil sie wissen, dass sie in der Nähe einen Parkplatz finden. Im Wettbewerb um Jobs und Studienplätze sind sich da viele nicht so sicher.
Nach Jahrzehnten des Experimentierens, wie Politik und Gesellschaft die jahrhundertelange Diskriminierung der Afroamerikaner ausgleichen können, wenden sich längst nicht mehr nur Konservative gegen „Affirmative Action“. Der Supreme Court hat Quoten 1978 für verfassungswidrig erklärt. Liberale Staaten wie Kalifornien, wo die Demokraten dominieren, lehnen die gezielte Bevorzugung ab.
Was "farbenblind" für den Supreme Court bedeutet
Die soziale Wirklichkeit hat sich im Vergleich zum Ausmaß der Diskriminierung in den 1960er Jahren verändert, als John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson "Affirmative Action" vorantrieben. Inzwischen lehnen die Obersten Richter Fördermaßnahmen in Schulen und Universitäten ab, die damals zwingend erschienen. "Farbenblind" zu sein, hieß damals, Afroamerikaner gezielt zu unterstützen, um die strukturelle Benachteiligung zu überwinden. Neuerdings bedeutet "farbenblind", nicht mehr nach der Hautfarbe zu fragen.
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/washington-weekly]
Progressive Fachleute wägen Vor- und Nachteile ab. Die gezielte Förderung, ob von Frauen oder Schwarzen, hat durchaus gewirkt; ihr Anteil in Unis und Betrieben ist gestiegen. Aber sie hat auch die Polarisierung befördert.
Reagan gewann mit "Archie Bunker" Arbeiter für die Republikaner
Ronald Reagan war mit „Archie Bunker“ im Wahlkampf erfolgreich: dem Prototyp des weißen Arbeiters, der früher die Demokraten wählte, aber nun, da sie die Minderheiten fördern, sein Kreuz bei den Republikanern macht. Donald Trump optimierte das Rezept.
Universitäten, die einen Teil der Studienplätze ohne Rücksicht auf die Leistung für Afroamerikaner reservierten, verloren vor Gericht. Und es waren nicht nur Weiße, die klagten, sondern auch Ureinwohner, die die gleiche Bevorzugung forderten. Und Asiaten wie Michael Wang, die eine Studienplatzvergabe strikt nach Noten verlangten, auch wenn ihre überdurchschnittlich gut abschneidende Minderheit dann mehr Studienplätze an den besten Unis erhält, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht.
Ein anderer Einwand: Bevorzugung wird zum Stigma, denn sie führt zum Argwohn, dass die Betreffenden den Job nicht wegen ihrer Qualifikation bekommen haben, sondern weil sie einer Minderheit angehören.
Manche Beobachter meinen sogar, dass die Förderprogramme für Minderheiten dem akademischen Erfolg der Afroamerikaner mehr geschadet als genutzt haben.
Politik muss Risiken und Nebenwirkungen einkalkulieren
Ob Berlin oder die USA, das Dilemma ist das gleiche: Von alleine ändert sich nichts. Politik muss handeln, um Benachteiligungsmuster aufzubrechen. Aber sie sollte, erstens, behutsam vorgehen, damit sie den Betroffenen hilft, ohne eine Gegenbewegung auszulösen, die dem Anliegen schadet.
Und sie sollte, zweitens, reflektieren, welche Gruppen sie bei ihrem Vorstoß im Blick hat und welche nicht, obwohl die ebenfalls betroffen sind. Breitenbachs Unterstützer haben, wenn sie argumentieren, Ahmed im Auge, dessen Mutter aus Anatolien kam. Und Fatina, deren Vater aus Jordanien zugewandert ist. Im Zweifel geht es auch um Flüchtende und um Migranten aus Afrika, auch wenn die statistisch in Berlin nicht ins Gewicht fallen.
Überraschend selten ist von Wladimir die Rede, der als Kind mit seiner russlanddeutschen Familie übersiedelte. Oder von Katarina, die in Stettin geboren wurde - obwohl Breitenbach mit der Integationsbeauftragten Katarina Niewiedzial regelmäßig zu tun hat und Polen die zweitgrößte ethnische Minderheit in Berlin sind. Auch Francois aus Lille oder Arantxa aus Sevilla haben die Protagonisten offenbar nicht vor Augen.
Kurzum, in der politischen Debatte verengt sich der Fokus auf Menschen, die nicht so aussehen wie Deutsche ohne Migrationshintergrund. Und ohne Rücksicht auf die reale Zusammensetzung der laut Breitenbach 35 Prozent Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund. Sowie dieser Gruppe in der deutschen Wirklichkeit.
Der Fehler der Linken in Berlin liegt in der ideologischen Verkürzung und der unüberlegten Vehemenz, mit der sie das Anliegen verfolgen.