Noch mehr Macht für Erdogan: Die Türken sollen im April dem Präsidialsystem zustimmen
Neuer Anlauf auf altes Ziel: Der türkische Präsident Erdogan nimmt Kurs auf ein Referendum im Frühjahr, mit dem die parlamentarische Demokratie abgelöst werden soll.
„Durmak yok, yola devam“ lautet der Slogan von Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP, das bedeutet: „Wir lassen uns durch nichts aufhalten, wir setzen unseren Weg fort.“ Das gilt auch für die Pläne des Staatspräsidenten, die parlamentarische Demokratie der Türkei durch ein Präsidialsystem unter seiner Führung zu ersetzen. Ein Vierteljahr nach dem Putschversuch vom 15. Juli haben sich Chaos und Trubel so weit gelichtet, dass sich der Weg abzeichnet, den das Land weiter gehen soll, und siehe da: Es ist derselbe Weg, den Erdogan schon lange vorgezeichnet hatte – nur wird es jetzt wahrscheinlich etwas schneller gehen. Schon im Frühjahr könnte die Türkei das Präsidialsystem einführen, so zeichnet es sich in dieser Woche ab. Der Putschversuch mag die AKP kurz aufgehalten haben, doch im Ergebnis wird er den Umbau des Landes beschleunigt haben.
Im ersten Anlauf war Erdogan mit seinen Plänen für das Präsidialsystem bei den Parlamentswahlen vom Juni 2015 gescheitert. Im Wahlkampf hatte der Staatschef den Urnengang zu einer Art Volksabstimmung über eine entsprechende Verfassungsänderung stilisiert – obwohl er als offiziell überparteilicher Präsident in dem Wahlkampf eigentlich gar nichts zu suchen hatte. Die Wähler erteilten ihm eine Absage und verhalfen der Kurdenpartei HDP ins Parlament, weil die explizit gegen das Präsidialsystem auftrat. Erdogan ließ die Wahl noch im selben Jahr wiederholen. Wegen der inzwischen wieder aufgeflammten Kämpfe im Kurdengebiet wurde die HDP zwar vom Wähler abgestraft, aber für die AKP reichte es immer noch nicht zur verfassungsändernden Zweidrittel-Mehrheit gegen die oppositionellen Kurden, Kemalisten und Nationalisten.
Doch vom Wählervotum lässt sich Erdogan nicht beirren. Schon Monate vor dem Putschversuch fädelte die AKP im Frühjahr einen neuen Plan ein, der nach der putschbedingten Politpause in dieser Woche zur Reife kam. Wenn die AKP vom Wähler nicht genug Stimmen für die Verfassungsänderung bekommt, so die Überlegung, dann muss sie diese Stimmen anderswo finden – also bei der Opposition im Parlament. Die schwache Stelle fand die AKP bei den Nationalisten, genauer bei deren Parteichef Devlet Bahceli, der sich im Frühjahr nach zwei Jahrzehnten im Amt einem innerparteilichen Aufstand gegenüber sah. Seine Rivalen versammelten sich im Mai in Ankara schon zum Sonderparteitag, um ihn abzusägen – da ließ die Regierung Wasserwerfer auffahren und unterband das Treffen.
Der starke Mann der Türkei
Seither ist Bahceli nur noch von Gnaden der AKP in seinem Amt als Parteichef - und in dieser Woche war Zahltag. Die Nationalisten sträubten sich nicht mehr gegen die Pläne der AKP zur Volksabstimmung über das Präsidialsystem, verkündete er – und machte damit den Weg frei für einen Neuanlauf zum Umbau der Türkei. Zusammen mit den Nationalisten kommt die AKP zwar immer noch nicht auf die verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit von 367 Stimmen im Parlament. Die beiden Parteien erreichen zusammen aber die 333 Stimmen, mit denen das Parlament eine Volksabstimmung über einen verfassungsändernden Vorschlag ansetzen kann.
Die Regierung, offenkundig wenig überrascht vom Umschwung des Oppositionspolitikers, zog sofort einen Zeitplan aus der Tasche. Schon im Januar solle die Verfassungsänderung im Parlament zur Abstimmung kommen, kündigte die AKP an. Die Volksabstimmung könne dann für das Frühjahr angesetzt werden, voraussichtlich für April.
Keine zwei Jahre nach ihrer klaren Ablehnung des Präsidialsystems bei der Wahl vom Juni 2015 sollen die Türken also genau dieses System im Referendum absegnen – und dank des Putschversuches könnte es diesmal sogar klappen. Nach einer neuen Umfrage des regierungsnahen Instituts Andy-Ar liegen die Präsidialamts-Befürworter mit 42 Prozent erstmals vor den Gegnern, die auf 40 Prozent kommen. Entscheidend könnten demnach die Stimmen der vielen derzeit noch unentschiedenen Wähler sein.
Vom gewalttätigen Staatsstreich erschüttert und verunsichert, werden sich beim Referendum also möglicherweise mehr Türken einen starken Mann an der Spitze wünschen als noch vor zwei Jahren, als es dem Land gut ging. Vor allem aber wird die öffentliche Debatte um das Referendum recht einseitig werden, weil fast alle kritischen Medien seit dem Putschversuch verboten worden sind.