Parteitag zum Brexit: Die Tories sind verliebt ins Irreale
Die Briten wollen Grenzen, die EU Klarheit - wie der Brexit aussieht, bleibt unklar. Die britische Regierung hat keinen Plan, die Zeit drängt. Ein Kommentar.
Der Parteitag der britischen Konservativen endet als böses Omen. So wird das nichts mit einem geregelten Brexit, der die Briten, die Iren und die EU-Bürger vor vermeidbarem Schaden bewahrt. Wo ist das Talent zu pragmatischen Lösungen geblieben, das man den Engländern nachsagt? Oder war auch das nur ein Mythos ohne Erdung in der Realität, ähnlich den Brexit-Verheißungen?
In den zwei Jahren seit der Volksabstimmung hat sich die Regierungspartei unfähig gezeigt, ihren Teil zu einer glimpflichen Lösung beizutragen. Die Zeit drängt. Die Grundzüge eines Abkommens müssen in den nächsten Wochen stehen, damit alle Seiten die praktischen Vorbereitungen treffen können und am 29. März 2019 kein Chaos ausbricht.
GB hat sich selbst in die jetzige Situation gebracht. Die Regierung ist gespalten und agiert hilflos. Gleiches gilt für Labour. Die Briten werden die Folgen des Brexit sehr negativ zu spüren bekommen.
schreibt NutzerIn timmel
Doch in Birmingham siegte die Liebe zum Irrealen. Boris Johnson hielt eine fulminante Verführungsrede und nährte erneut die Illusion, das Königreich könne durch Austritt aus der EU die Kontrolle über Grenzen und Migration zurückgewinnen und die finanziellen Vorteile des Binnenmarkts beibehalten. Wenn das nicht gelinge, liege das an der duckmäuserischen Verhandlungslinie der Premierministerin Theresa May.
Boris Johnson will Mays Job - Details stören da
Er will ihren Job, nur jetzt noch nicht. Er braucht sie als Opferlamm. Mit Detailfragen hielt er sich nicht auf. Er schilderte die EU als bösartige Macht, die die Briten „demütigen“ und als Trophäen vorführen wolle, wie es siegreiche Heerführer einst taten.
Auch May agiert irreal – weil sie keinen Plan hat. Ihre Angebote an die EU bemessen sich daran, was sie konzedieren kann, ohne gestürzt zu werden, wohl wissend, dass die EU darauf nicht eingehen kann. Also spielt sie auf Zeit, in der Hoffnung, dass sie bei einem Last-Minute-Gipfel mehr erreicht, weil auch die EU einen harten, nicht gemanagten Brexit fürchtet.
Der Spielraum ist jedoch begrenzt. Beide Seiten haben zu Recht „rote Linien“ gezogen. Die Briten wollen die Freizügigkeit im EU-Binnenmarkt und die automatische Anerkennung der Brüsseler Regeln los werden. Es gibt aber nur „drinnen“ mit allen Rechten und Pflichten oder „draußen“. Wenn ihnen die Kontrolle über die Grenzen so wichtig ist, bleibt nur „draußen“. Man kann dann über eine Freihandelszone verhandeln.
Die EU muss die Briten ernst nehmen - aber sich nicht selbst schaden
Die Devise der EU darf gewiss nicht sein, die Briten für eine falsche Entscheidung zu bestrafen. Sie soll eine enge Kooperation nach dem Brexit anstreben, etwa in der Verteidigung, und Kompromisse schließen. Ihre „rote Linie“ muss aber sein, alles zu vermeiden, was der EU schadet. Es wird eine harte Grenze für Waren und Personen geben müssen.
Wo wird die zwischen Großbritannien und dem EU-Mitglied Irland verlaufen? Zieht man sie zwischen Nordirland, das zum Königreich gehört, und Irland, gefährdet das den Friedensprozess. Verlegt man sie in die Irische See zwischen England und Nordirland, wäre die Regierung May am Ende, weil sie ohne die nordirische Partei DUP, die diese Variante ablehnt, keine Mehrheit hätte. Langfristig stellte dies zudem den Zusammenhalt des Königreichs infrage. Dennoch muss die EU in solchen Fragen hart bleiben. Unklare Außengrenzen für Waren und Dienstleistungen laden zu milliardenschwerem Betrug ein.
Die Tories werden die Geister, die sie gerufen haben, nicht so leicht wieder los. Basisdemokratie, das ist die warnende Lehre, funktioniert nur, wenn vor einer weitreichenden Entscheidung redlich über potenzielle Folgen informiert wird. Uninformierter Volkswille kann schaden.
Christoph von Marschall