Angela Merkels Regierungserklärung: Die Tagesordnung der Kanzlerin
In ihrer Regierungserklärung geht Merkel auf viele internationale Themen ein: Osteuropa, G7 und Lateinamerika. Zur NSA-Spionageaffäre sagt sie dagegen kein Wort. Die Opposition schäumt
Vom Erhabenen zum kleinen Alltag ist der Weg im Bundestag oft kurz, aber so pfiffig wie Gregor Gysi hat lange keiner mehr die Abkürzung gefunden. Angela Merkel hat gerade – ausführlich und wie es ihre Art ist – eine Regierungserklärung zu gleich drei internationalen Gipfeln in den nächsten Tagen abgegeben. Die Treffen der EU-Spitzen mit den östlichen Partnerländern, den G7 und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik sind dem Linksfraktionschef allerdings erst mal egal. Gysi will über etwas anderes reden. „Ich hab’ es ja geahnt“, ruft er vom Rednerpult in den Plenarsaal, „kein Wort zur Spionageaffäre!“ Bei der Union rumort es. Einer ruft dazwischen, das sei jetzt ja auch nicht das Thema! Gysi lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Klar wäre das ein Thema für die Kanzlerin, denn: „Bei jedem Treffen findet sie Leute, die abgehört worden sind!“
Die SPD rudert wieder zurück
Tatsächlich bleibt der Linke nicht der Einzige, der an diesem Donnerstagmorgen die Gipfel-Debatte zum innenpolitischen Kampfplatz umwidmet. Es gibt ja auch nicht allzu viele Gelegenheiten, in dieser Sache mit der Kanzlerin ins Gericht zu gehen. Seit die BND-Affäre das politische Berlin umtreibt, hat Merkel geschwiegen. Hier gibt sie immerhin durch Mienenspiel und Getuschel mit dem Vizekanzler zu erkennen, dass ihr das Thema nicht völlig egal ist. Außerdem marschiert Unionsfraktionschef Volker Kauder zu den beiden, während Gysi über „Willfährigkeit und Duckmäusertum“ gegenüber den USA und ihrem Geheimdienst NSA schimpft.
Natürlich kann man nicht hören, was an der Regierungsbank geredet wird. Aber wenn man Kauders Gestik und Sigmar Gabriels Gesichtsausdruck nicht ganz falsch deutet, dann hat der CDU- Mann dem SPD-Mann sinngemäß ein „Jetzt siehste mal, mit wem du dich da gemeingemacht hast“ vorhält. Gabriels letzter öffentlicher Beitrag hatte schließlich in der Forderung bestanden, Merkel müsse endlich „Rückgrat“ gegenüber dem großen Verbündeten zeigen.
Aber das war am vorigen Wochenende, also vor einer Ewigkeit. Inzwischen hat die SPD auf Koalitionsfrieden zurückgeschaltet. Das knirscht ein bisschen im Getriebe. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann rügt, einerseits, dass es nicht hinnehmbar wäre, wenn die NSA den BND dazu benutzt hätte, deutsche Unternehmen und befreundete Regierungen auszuspähen. „Ein solcher Dienst führt ein Eigenleben, das ihm in einem Rechtsstaat nicht zusteht“, sagt Oppermann. Aber er benutzt vorsichtige Konjunktive – „sollte sich das als richtig erweisen“ – und dazu eine Formel, die ihm bei der Union beifälliges Nicken einträgt: Erst die Fakten klären, dann Konsequenzen ziehen, „das ist die richtige Reihenfolge“.
BND-Mann vor dem Ausschuss
Was diese Klärung der Fakten angeht, müht sich der NSA-Untersuchungsausschuss fast zur selben Zeit mit dem nächsten Zeugen ab. Der BND-Mann Hartmut Pauland, seit 2013 Leiter der Abteilung Technische Aufklärung, gibt zu Protokoll, dass er von Problemen mit irgendwelchen Selektoren nie etwas gehört habe. Erst in diesem März habe er davon etwas mitbekommen. Das war der Zeitpunkt, zu dem das Kanzleramt nach seiner eigenen Darstellung darauf gestoßen war, dass die Amerikaner in den Abhörverkehr Richtung Nahost immer wieder Suchbegriffe eingeschmuggelt hatten, die sich nicht mit der Vereinbarung vertrugen, dass keine Daten von Deutschen weitergeleitet werden.
Die SPD also redet vorerst nicht mehr von „Staatsaffäre“, und im NSA-Ausschuss verhindert sie zusammen mit der Union, dass der Regierung eine Frist zur Vorlage der geheimen Selektorenliste der NSA-Suchbegriffe gesetzt wird. Die Linke empört sich darüber fast noch mehr als über Merkels Stillschweigen. „Rückgratlos“ nennt es der Linke Jan Korte später in einer Aktuellen Stunde; Gabriel habe mal „drei helle Tage“ gehabt, jetzt zeige sich: „Es war alles Taktik und Theater.“ Auch die Grünen sind sauer. Dass die Koalition jetzt plötzlich einen Sonderermittler ins Spiel bringe, der die Liste unter dem Siegel der Geheimhaltung einsehen könnte, kritisiert der Grünen-Obmann Konstantin von Notz als „Ablenkungsmanöver zur Gesichtswahrung des Vizekanzlers“. Sein Fraktionschef Toni Hofreiter nimmt sich zugleich Merkel vor: Die habe ihren „Gaukler“ Ronald Pofalla vorgeschickt, um der Republik im Wahlkampf vorzutäuschen, dass die USA ein No-Spy-Abkommen angeboten hätten. Jetzt versuche sie schon wieder alles auszusitzen wie einst Helmut Kohl.
Viele Themen nur gestreift
Aber Hofreiter kommt vom Alltag auch noch aufs Erhabene zu sprechen. Merkel hat in ihrer Regierungserklärung den weit gespannten Themenkatalog der drei Gipfel vorgetragen – von der Ukraine-Krise über das Problem der Antibiotika-Resistenzen bis zum Freihandel. Sie hat Russland wissen lassen, dass es zu G-7-Treffen erst wieder eingeladen werde, wenn es sich zu den „grundlegenden Werten des Völkerrechts bekennt und danach handelt“, hat den Russen aber zugleich versichert, dass sich die östliche Partnerschaft der EU nicht gegen ihn richte, und zudem der Ukraine mitgeteilt, ohne innere Reformen werde es nichts mit einer weiteren Annäherung an Europa. Auch das Weltklima erwähnt Merkel – da werde es „schwierig“ mit einer gemeinsamen Position. Eine typische Merkel-Erklärung sei das gewesen, rügt Hofreiter – viele Themen, alle nur gestreift: „Sie sind die Kanzlerin der Tagesordnungen, Frau Merkel!“