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Die BND-Außenstelle Bad Aibling steht weiter im Fokus. Hier arbeiten Deutsche und Amerikaner in der Telekommunikationsaufklärung eng zusammen.
© Angelika Warmuth/dpa

Geheimdienst-Chef Schindler sagt heute aus: BND hielt Europäer offenbar für legitime Ausspäh-Ziele

Bis Angela Merkel 2013 sagte, Ausspähen unter Freunden gehe gar nicht, galten Europäer im BND offenbar als legitime Ziele. Das sagte ein BND-Mitarbeiter am Mittwoch im Untersuchungsausschuss. Am Donnerstag wird der BND-Präsident vernommen.

Der NSA-Untersuchungsausschuss vernimmt am heutigen Donnerstag in öffentlicher Sitzung den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, sowie den Leiter der BND-Abteilung Technische Aufklärung, Hartmut Pauland. Die Abgeordneten erhoffen sich weiterhin Aufklärung in der Frage, ob und wenn ja wann die Leitungsebene des Bundesnachrichtendienstes über jenen brisanten Fund informiert wurde, dessen Bekanntwerden die derzeitige Affäre ausgelöst hatte: Mehrere Zehntausend von der NSA gelieferte Suchbegriffe, die sich auf europäische Institutionen und Unternehmen beziehen sollen, fanden BND-Mitarbeiter demnach im August 2013 bei einer Überprüfung der Suchdateien. Sie waren bis dahin nie aussortiert worden. Schindler sagte bislang ebenso wie der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, er sei erst im Frühjahr 2015 über den Fund informiert worden.

BND-Mitarbeiter wollen BND-Präsidenten Schindler erst 2015 informiert haben

In Vorbereitung auf die Vernehmung von Pauland und Schindler hat der Ausschuss am Mittwoch in einer Sondersitzung bis in die Nachtstunden BND-Mitarbeiter vernommen, die unmittelbar mit der „Sonderprüfung“ der Datenbank mit den NSA-Suchbegriffen betraut waren. Den Aussagen dieser und der Vorwoche zufolge kamen im Sommer 2013 zwei unterschiedliche Unterabteilungen im BND unabhängig von einander auf die Idee, die Datenbank zu überprüfen. Beide unmittelbar mit der Prüfung beauftragten Mitarbeiter sowie ihre jeweiligen Vorgesetzten, die Unterabteilungsleiter W.K. und D.B., gaben an, die Ergebnisse nicht nach oben weitergegeben zu haben. Der BND-Mitarbeiter W.O., der die Datenbank eigenen Angaben zufolge auf Suchbegriffe geprüft hatte, die sich auf „europäische Regierungen“ beziehen, sagte, erst bei zwei Terminen im März 2015 in Berlin und in Pullach habe er erstmals Gerhard Schindler und dann auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) informiert, wie Netzpolitik.org zu später Stunde in seinem Blog berichtete.

 Der BND hielt europäische Ziele offenbar bis 2013 für legitim

Indirekt wurde in der Sondersitzung am Mittwoch deutlich, dass europäische Regierungen bis zu den Snowden-Enthüllungen im Sommer 2013 offenbar für den BND legitime Spähziele waren. Der Unterabteilungsleiter W.K. wurde nach einer Weisung des BND-Präsidenten von Herbst 2013 gefragt, die neue Regeln für den Umgang mit europäischen Zielen erließ. Diese Weisung hatte ein Zeuge in der Vorwoche erwähnt. Auf die Frage von Martina Renner (Die Linke), warum diese Weisung erlassen wurde, antwortete der Zeuge, weil die Kanzlerin gesagt habe, Ausspähen unter Freunden gehe gar nicht. Dem habe man Folge geleistet.

Am Rande stellte sich außerdem heraus, dass der BND Suchbegriffe, die nicht Emails oder Telefonnummern sind, nicht mit automatisierten Verfahren prüfen kann. Das hieße, dass etwa alle Messanger-Identitäten oder Facebook-Profile, die die NSA liefert und die zur Datenerhebung verwendet werden, gar nicht daraufhin überprüft werden können, ob sie deutschen Interessen zuwider laufen oder Deutsche Personendaten enthalten.

Koalitionsfraktionen sprechen sich für einen "Sonderermittler" aus

Ob und wie die Abgeordneten Einblick in die Selektorenliste nehmen können, ist immer noch offen. Die NSA hatte ihrem Kooperationsparnter BND Suchbegriffe geliefert, eine Überprüfung hatte spätestens im Sommer 2013 ergeben, dass darunter auch solche Begriffe sind, die sich gegen europäische Unternehmen und Institutionen richten und die der BND selbst wegen des Verdachts der Spionage aussortiert hatte. Das Parlamentarische Kontrollgremium und der NSA-Untersuchungsausschuss fordern Einblick in die Liste der aussortierten Begriffe. "Nichts ist entschieden", hieß es am Mittwoch nach Informationen der Deutschen Presseagentur im Bundeskanzleramt. Die Konsultationen würden andauern, war zu hören, und eine eigene Entscheidung sei noch nicht gefallen. Erst nach Pfingsten wolle man das Verfahren festlegen.

Die Obleute der Koalitionsfraktionen im NSA-Untersuchungsausschuss zeigten sich am Mittwoch offen, sich auf den Kompromiss eines "Sonderermittlers" einzulassen, der an ihrer statt die Liste prüft. Sowohl das Untersuchungsausschussgesetz als auch das Kontrollgremiumsgesetz sehen die Möglichkeit vor, einen "Sachverständigen" beziehungsweise einen "Ermittlungsbeauftragten" zu benennen, die stellvertretend für die Abgeordneten einen Teil der Untersuchung übernimmt und ihnen berichtet. Der Obmann der SPD-Fraktion im Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, sagte, er halte das Sichten der Dokumente durch einen Sonderbeauftragten für einen "ersten Schritt". So komme der Ausschuss zumindest weiter. Sollten sich nach dem Bericht des Sonderbeauftragten weitere Fragen ergeben, könne man immer noch neu reden. Nina Warken, Obfrau der Unionsfraktion, sagte, ein "Sonderermittler" sei ein gangbarer Weg. Das sei eine "geeignete Art, uns Kenntnis zu verschaffen." Der Ausschussvorsitzende, Patrick Sensburg (CDU) hatte die Idee eines Sonderermittlers als Kompromiss bereits selbst einmal ins Spiel gebracht.

Die Aufklärung rückt damit in weite Ferne

Die Opposition griff beides, die Idee eines Sonderermittlers und die Vertagung der Entscheidung über die Vorlage der Listen, erneut scharf an. Konstantin von Notz, Obmann der Grünen, sagte, die Verzögerung sei eine "weitere Unterschämtheit" gegenüber dem Parlament. Die Bundesregierung stelle sich "auf die Seite der Vertuscher dieses Skandals". Hans-Christian Ströbele hatte bereits am Mittwoch von einer "Entrechtung des Parlaments" gesprochen. Auch Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, griff die Bundesregierung erneut an und kündigte an, seine Fraktion werde notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.
Eine Aufklärung rückt vor allem zeitlich in weite Ferne. Denn zunächst müssten sich die Abgeordneten auf einen Sonderermittler einigen. Nach welchem der beiden Gesetze würde man vorgehen? Der Untersuchungsausschuss kann einen "Ermittlungsbeauftragten" mit dem Votum eines Viertels der Mitglieder einsetzen, für das Einsetzen eines "Sachverständigen" bräuchte es im PKGr eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Schon die Frage, ob es sich dabei um einen Parlamentarier handeln sollte oder um einen Außenstehenden, wurde am Mittwoch uneinheitlich beantwortet, unklar wäre auch, wie lang eine Sicherheitsüberprüfung dauern würde. Bis zur Sommerpause sind es allerdings nur noch wenige Wochen, drei davon Sitzungswochen. Das letzte Mal tagt das Plenum am 3. Juli, danach ist Pause bis September.

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