Bürgerkrieg: Die syrische Opposition kämpft gegen Assad und sich selbst
Die Machtsbasis von Präsident Baschar al Assad bröckelt zusehends – und die Kämpfe in Syrien werden blutiger. Doch in welchem Zustand ist die Opposition? Und welche Pläne gibt es für die Zeit nach Assad?
Auch wenn syrische Regierungstruppen am Freitag offenbar einige Viertel in der Hauptstadt Damaskus von den Rebellen zurückeroberten – die Staatsmacht scheint zunehmend die Kontrolle über das Land zu verlieren. Die Kämpfe werden immer erbitterter, und sie fordern immer mehr Opfer.
Wie ist die aktuelle Situation in Syrien?
Mit 310 Toten war der Donnerstag nach Angaben der Aufständischen der bislang blutigste Tag seit Beginn der Proteste gegen Präsident Baschar al Assad im März 2011. Darunter sollen 139 Zivilisten, 98 Soldaten und 65 Rebellen gewesen sein. Laut dem UN-Flüchtlingskommissariat flohen in den vergangenen 48 Stunden bis zu 30 000 Syrer in den Libanon.
Syrische Regierungstruppen versuchten, bewaffnete Aufständische aus einigen Vierteln in Damaskus und im Umland von Aleppo zu vertreiben, die diese am Vortag unter ihre Kontrolle gebracht hatten. In Damaskus hätten zahlreiche Familien aus Furcht vor den Kämpfen die Nacht in Moscheen und Kirchen verbracht. Die reguläre Armee löst sich nach Angaben der Opposition immer weiter auf. Inzwischen soll ein Drittel der Soldaten desertiert sein. Aber auch für diese Information gibt es, wie für so viele derzeit, keine Bestätigung von unabhängiger Seite.
Syrische Rebellen eroberten nach irakischen Militärangaben einen Stützpunkt der syrischen Streitkräfte nahe der Grenze zum Irak sowie einen Grenzübergang. Der Irak habe die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt und zusätzliche Truppen in die Grenzregion entsandt. Auch an der türkischen Grenze übernahmen Rebellen einen Übergang.
Bildergalerie: Tage der Entscheidung in Syrien
Unterdessen erlag der bei dem Anschlag auf den Krisenstab am Mittwoch verletzte Leiter der Behörde für Nationale Sicherheit, Hischam Ichtiar, seinen schweren Verletzungen, wie das Staatsfernsehen meldete. Bei dem Anschlag waren Verteidigungsminister Daud Radschha, sein Stellvertreter Assef Schaukat, ein Schwager Assads und der Leiter des Krisenstabs Hassan Turkmani getötet worden.
Wie einig ist die Opposition?
Bei ihrem jüngsten Treffen in Kairo flogen am Ende die Fäuste. Syriens Opposition kämpft nicht nur gegen das Assad-Regime. Sie kämpft auch untereinander, und das, seitdem der Volksaufstand vor 16 Monaten begann. Mit am Tisch beim Syrischen Nationalrat (SNC), der von Istanbul aus operiert, sitzen Nationalisten und Marxisten, Islamisten und Säkulare, Kurden und Araber sowie Freizeitpolitiker und Langzeit-Exilanten. Wichtige Minderheiten wie Alawiten und Christen dagegen sind praktisch nicht vertreten. Dominiert wird der SNC von der Muslimbruderschaft, die in Syrien seit 1963 verboten ist. Von Anfang an verfocht der Exil-Verband eine kompromisslose Linie – keine Verhandlungen mit dem Regime, Bewaffnung der „Freien Syrischen Armee“ sowie Sturz des Baath-Regimes mit Gewalt.
Pläne für die Stunde Null
Hat die Opposition Pläne für die Zeit nach Assad?
Was sich der SNC vorstellt, bleibt weiterhin ohne klare Konturen. In Kairo debattierten vor zwei Wochen 250 Delegierte von über 30 Gruppierungen über einen Zukunftsplan, ohne einen substanziellen Konsens zustande zu bringen. In dem Papier ist von einer Reform der Armee die Rede, auch von einer Säuberung des öffentlichen Dienstes von Mitgliedern der Baath-Partei sowie einer Strafverfolgung für Assads Schergen. Bei der Zusammensetzung der 16-köpfigen Spitzendelegation, die Syriens Opposition künftig in politischen Gesprächen bei den Vereinten Nationen, auf den Treffen der „Freunde Syriens“ sowie bei allen diplomatischen Kontakten offiziell vertreten soll, schlugen dann die Wogen hoch. Eilig schafften Kellner in dem Kairoer Dusit Thani-Luxushotel Stühle und Tische zur Seite, damit sie von den Kontrahenten nicht als Wurfgeschosse genutzt werden konnten. Nach Handgemenge und erregtem Gebrüll zerstreute sich die Menge schließlich in den breiten Fluren der Luxusherberge. Als Fazit verlas ein Sprecher dann ein dürres Kommuniqué. „Die Gruppen der Opposition stimmen darin überein, dass es wichtig ist, Frieden in Syrien und die nationale Einheit zu bewahren.“
Video: Assad zeigt sich im Staatsfernsehen
Welche Führungspersonen sind erkennbar?
Anders als seinerzeit in Libyen kann die syrische Opposition bis heute kein allseits respektiertes Gesicht an ihrer Spitze vorweisen. Erst agierte der glücklose Soziologie-Professor von der Sorbonne, Burhan Ghalioun, als Aushängeschild. Vor vier Wochen folgte ihm der Kurde Abdel Baset Sayda, der sich bisher lediglich als Spezialist für Zivilisationen des Altertums einen Namen gemacht hat. Seit fast 20 Jahren lebt Sayda in Schweden im Exil und hat wie sein Vorgänger praktisch keine politischen Erfahrungen. Und so will die innersyrische Opposition, zusammengeschlossen zum Nationalen Syrischen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCCDC), mit den Hitzköpfen aus dem Exil schon seit letztem Herbst nichts mehr zu tun haben. Ihrem Verband gehören vor allem national gesinnte Oppositionelle an, aber auch Unabhängige und einzelne prominente Dissidenten wie Michel Kilo und Aref Dalila. Anders als der Syrische Nationalrat (SNC) lehnt der NCCDC jede militärische Intervention von außen kategorisch ab und ist nach wie vor zu politischen Verhandlungen mit Assad über einen Machttransfer bereit. (mit dpa/AFP)
Martin Gehlen
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