zum Hauptinhalt
Abdel Basset Sayda ist der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates. Anders als das Komitee, das sich während des Aufstandes in Libyen formierte, gilt der SNC nicht als anerkannte Vertretung des syrischen Volkes.
© dpa

Syriens Opposition zerstritten: Die fragwürdigen Ziele des Syrischen Nationalrats

Bei ihrem jüngsten Treffen in Kairo flogen am Ende die Fäuste. Syriens Opposition kämpft nicht nur gegen das Regime von Bashar al-Assad. Syriens Opposition kämpft auch untereinander, und das, seitdem der Volksaufstand vor 16 Monaten begann.

Mit am Tisch beim Syrischen Nationalrat (SNC), der von Istanbul aus operiert, sitzen Nationalisten und Marxisten, Islamisten und Säkulare, Kurden und Araber sowie Freizeitpolitikern und Langzeit-Exilanten. Wichtige Minderheiten wie Alawiten und Christen dagegen sind praktisch nicht vertreten. Dominiert wird der SNC von der Muslimbruderschaft, die in Syrien seit 1963 verboten ist.

Von Anfang an verfocht der Exil-Verband eine kompromisslose Linie - keine Verhandlungen mit dem Regime, Bewaffnung der „Freien Syrischen Armee“ sowie Sturz des Baath-Regimes mit Gewalt. Selbst über den genauen Beginn des diesjährigen Ramadans lag die Opposition mit dem Regime über Kreuz, während Aufständische und Armee sich in Damaskus und Aleppo, in Homs und Hama sowie im Norden und Osten des Landes erbitterte Gefechte lieferten. Das Regime fastet erst ab Samstag, die Rebellen schon ab Freitag, die inzwischen alle Grenzübergänge in den Irak und einige in die Türkei unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Kampf um Damaskus:

Die konkreten Vorstellungen des SNC für die Zeit nach Assad jedoch bleiben auch nach ersten Gefechten in Hörweite des Präsidentenpalasts ohne klare Konturen. In Kairo debattierten vor zwei Wochen 250 Delegierte von über 30 Gruppierungen über einen Zukunftsplan, ohne einen substantiellen Konsens zustande zu bringen. In dem Papier ist von einer Reform der Armee die Rede, auch von einer Säuberung des öffentlichen Dienstes von Mitgliedern der Baath-Partei sowie einer Strafverfolgung für Assads Schergen. Bei der Zusammensetzung der 16-köpfigen Spitzendelegation, die Syriens Opposition künftig in politischen Gesprächen bei den Vereinten Nationen, auf den Treffen der „Freunde Syriens“ sowie bei allen diplomatischen Kontakten offiziell vertreten soll, schlugen dann die Wogen hoch.

Die Diskussion drohte in Handgreiflichkeiten auszuarten.

Eilig schafften Kellner in dem Kairoer Dusit Thani-Luxushotel Stühle und Tische zur Seite, damit sie von den Kontrahenten nicht als Wurfgeschosse genutzt werden konnten. Nach Handgemenge und erregtem Gebrüll zerstreute sich die Menge schließlich in den breiten Fluren der Luxusherberge. Als Fazit verlass ein Sprecher dann ein dürres Kommunique. „Die Gruppen der Opposition stimmen darin überein, dass es wichtig ist, Frieden in Syrien und die nationale Einheit zu bewahren.“

Video: Assad zeigt sich im Fernsehen:

Anders als in Syrien galt seinerzeit der Nationale Übergangsrat in Libyen von Anfang an als die unbestrittene Vertretung der Aufständischen und als international anerkannte Gegenregierung. Die syrische Opposition dagegen kann bis heute noch nicht einmal ein allseits respektiertes Gesicht an ihrer Spitze vorweisen, vergleichbar dem libyschen Übergangspräsidenten Mustafa Abdul Jalil. Erst agierte der glücklose Soziologie-Professor von der Sorbonne, Burhan Ghalioun, als Aushängeschild. Vor vier Wochen folgte ihm der Kurde Abdel Baset Sayda, der sich bisher lediglich als Spezialist für Zivilisationen des Altertums einen Namen gemacht hat. Seit fast 20 Jahren lebt Sayda in Schweden im Exil und hat wie sein Vorgänger praktisch keine politischen Erfahrungen.

Und so will die innersyrische Opposition, zusammengeschlossen zum Nationalen Syrischen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel  (NCCDC), mit den Hitzköpfen aus dem Exil schon seit letzten Herbst nichts mehr zu tun haben. Ihrem Verband gehören vor allem national gesinnte Oppositionelle an, aber auch Unabhängige und einzelne prominente Dissidenten, wie Michel Kilo und Aref Dalila. Anders als der Syrische Nationalrat (SNC) lehnt der NCCDC jede militärische Intervention von außen kategorisch ab und ist nach wie vor zu politischen Verhandlungen mit Präsident Bashar al-Assad über einen Machttransfer bereit. Seit Monaten werfen ihre Mitglieder dem SNC vor, die Gefahren für Syrien völlig falsch einzuschätzen, wenn die Rebellen immer stärker von außen bewaffnet werden. Inzwischen aber sind ihre schlimmsten Befürchtungen wahr geworden. Der Bürgerkrieg ist in vollem Gange und könnte das ganze Land in den Abgrund reißen.

Martin Gehlen

Zur Startseite