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Machtwechsel im Nahen Osten: Syrien steht keine rosige Zukunft bevor

Der Arabische Frühling hat eine ganze Region umgewälzt. Syrien liegt im Herzen der arabischen Welt und vereint all deren Konflikte auf einmal. Die Zukunft des Landes sieht Martin Gehlen deshalb problematisch.

Baschar al Assad hat wohl beide Bilder vor Augen. Den Gitterkäfig mit dem hilflosen Hosni Mubarak und den Pick-up mit dem blutüberströmten Muammar al Gaddafi. Nach Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen steht mit Syrien nun der nächste Machtwechsel im Nahen Osten an. Und von allen arabischen Autokraten hat sich bisher nur Libyens Gaddafi ähnlich bestialisch gegen seinen Sturz gewehrt wie der gelernte Augenarzt in Damaskus. Libyen und Syrien, so scheint es, haben die meisten Parallelen: zwei despotische Langzeitpotentaten, zwei säkulare Regime, die jede islamistische Opposition mit großer Härte verfolgten, sowie am Ende zwei verheerende Bürgerkriege.

In Libyen ist der Albtraum nun seit neun Monaten vorbei, inzwischen macht das Land wieder positive Schlagzeilen. Der ersten freien Wahl in seiner Geschichte stellten die ausländischen Beobachter ein nahezu makelloses Zeugnis aus. Bewaffnete Zwischenfälle blieben vereinzelt, stattdessen feierten die Menschen in der Nacht nach der Abstimmung ihre neuen Freiheiten. Und anders als in Tunesien und Ägypten wurden nicht die Muslimbrüder im Triumph auf den Schild gehoben und die säkularen Kräfte mit mageren Prozentzahlen abgespeist. Im Gegenteil – gerade in den Metropolen Tripolis und Bengasi dominiert eine säkulare Allianz, während die Islamisten abgeschlagen als Juniorpartner ins Ziel kamen. Zwei Drittel der 200 Mandate wiederum gingen an Einzelpersonen und Miniparteien, die entschlossen sind, sich jenseits der beiden Lager als unabhängige politische Kraft zu etablieren.

Damit hat Libyen trotz aller inneren Spannungen nicht die Teilung und nicht den Weg in einen islamischen Staat gewählt. Denn Muammar Gaddafi war – wie auch Syriens Baschar al Assad – lange Jahre ein vom Westen verfemter Zeitgenosse. Seine Tyrannei wurde vom eigenen Volk nicht wahrgenommen als ein säkulares Machtsystem, bei dem der Westen als heimlicher Komplize bei der Unterdrückung mitmischt. In der arabischen Welt galt „Bruder Führer“ bestenfalls als kuriose Kategorie für sich, eine Mischung aus sozialistischem Grünbuch- Prediger, Schutzpatron aller Terrorgruppen dieser Erde sowie megalomanem Selbstdarsteller mit Beduinenzelt. Und so haben Gaddafis ehemalige Untertanen mit ihrem Votum für säkulare Verhältnisse und gegen einen islamistischen Staat einen eigenen Meilenstein gesetzt.

Eine solche Perspektive ist für die Post-Assad-Zeit dagegen nicht in Sicht. Libyen ist ein Randfall, Syrien das Herzstück der arabischen Welt. Hier kreuzen sich so viele innere und äußere Konfliktlinien wie nirgendwo sonst. Im Inneren stehen Sunniten gegen Alawiten, Araber gegen Kurden, Stadtbevölkerung gegen vernachlässigte Landbevölkerung. Außenpolitisch verdichten sich an diesem Knotenpunkt die Konflikte zwischen den Golfstaaten und dem Iran, den Vereinigten Staaten und Russland, der Türkei und Iran, Israel und Libanons Hisbollah. Der Bürgerkrieg mit bisher 17 000 Toten schädigt eine ganze Generation. Die Religionsgruppen machen Jagd aufeinander, während das Land zu einem Drehkreuz internationaler Gotteskrieger mutiert. Die säkularen Mittelschichten von Damaskus und Aleppo, auf die sich das Regime vor allem stützt, gehören zu den großen Verlierern. Und die sunnitische Mehrheit will dem Land endlich ihren religiösen Stempel aufdrücken. Libyen könnte sein Schicksal in den nächsten Jahren meistern. Für Syriens Zukunft jedoch lassen sich daraus keine Hoffnungen gewinnen.

Martin Gehlen

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