Rücktritt von Andrea Nahles: Die SPD-Chefin geht, aber die Probleme bleiben
Die Zeit der Vorsitzenden und Fraktionschefin Andrea Nahles ist vorbei. Die Partei braucht eine Vision, sonst endet die Ära der Sozialdemokratie. Ein Kommentar.
Ein Jahr Parteivorsitzende, anderthalb Jahre Fraktionschefin – Andrea Nahles hat keine Ära geprägt. Und doch wird ihre Zeit in Erinnerung bleiben. Die erste Frau an der Spitze der anderthalb Jahrhunderte alten SPD hat in diesen vergangenen Monaten Nackenschläge und Rückschläge einstecken müssen wie kein Mann vor ihr. Währenddessen kämpft die Sozialdemokratie ums Überleben und gegen sich selbst, verliert sie in der Wählergunst Mal um Mal. Die Partei ist in mehreren Bundesländern inzwischen einstellig, im Bund gerade noch zweistellig.
Auf Verdienste der Vergangenheit aber gibt es keine Dividende, und keinen Vorschuss auf die Zukunft. Als Arbeitsministerin war Nahles hochgelobt. Sie wollte mehr. Doch auch darum ist Nahles gescheitert: Weil ihr die Wähler und die SPD-Mitglieder in seltener Übereinstimmung nicht die strategische Kompetenz zugetraut haben, die nötig ist, um diese Partei und, mehr noch, ein Land zu führen.
Kurzatmig, ja schrill klangen zuletzt ihre Antworten, und selbst Wohlmeinende hörten nicht mehr durch, wie es wohl inhaltlich werden könnte mit ihr an der Spitze. Dazu wurde alles, ob Grundrente oder Respekt-Rente oder CO2-Steuer, immer überlagert von der Frage: Wem nutzt was – aber innerparteilich. Taktik über allem, und eine Mär, dass Nahles sich auf beispielsweise Olaf Scholz als Vizekanzler im Kabinett hätte unverbrüchlich verlassen können. Dann hätte der nicht sagen dürfen, dass er sich den Kanzler, respektive die Kandidatur, zutraut. Was soll die Partei, die Öffentlichkeit, was soll Nahles anderes denken als dass einer unbedingt da rein will, gewissermaßen schröderesk.
So kam es, wie es angesichts des Drucks von außen und innen, oben und unten kommen musste. Nahles geht. Die Probleme aber bleiben: 55 Prozent der Deutschen trauen keiner Partei die Lösung der Probleme zu. 55 Prozent! Und nur drei von 100 Befragten der SPD. Das muss die Partei ändern, dringend, um (sich) nicht noch weiter zu verlieren. Sie war doch immer staatstragend im besten Sinn: die Demokratie tragend.
Solidarität muss auch innerparteilich durchbuchstabiert werden
Was helfen könnte? Demut. Nein, das heißt nicht, ohne Mut zu sein, sondern einer Vision ohne Ängste zu folgen. Der von einer modern-demokratischen, parlamentarisch legitimierten Alternative. Die Aufschluss gibt über das, was die SPD will und wofür sie steht. Oder fällt. Ohne Wenn und Aber.
Ob in einer Groko oder draußen, dieser Schritt muss begründbar sein. Was jetzt kommt, darf nicht wirken wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod und nicht taktisch. Sondern es muss strategisch sein, inhaltlich, eine Entscheidung auf rationaler Grundlage. Mit dieser Leitlinie für alle Bereiche: Sozial ist, was Sicherheit schafft. Solidarität ist nicht von gestern, sie muss allerdings unter den radikal veränderten Bedingungen neu durchbuchstabiert werden. Übrigens auch innerparteilich.
Schafft die SPD das alles nicht, geht mehr zu Ende als die Zeit von Andrea Nahles. Es kann auch die Ära der Sozialdemokratie vergehen.