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So sieht's aus. Eine weitere große Koalition dürfte der Parteibasis in der SPD nicht gefallen.
© imago/Pacific Press Agency

Entscheidung für die Opposition: Die SPD braucht vier Jahre zur Selbstbesinnung

Die Sozialdemokraten sind aus der Regierung gewählt. Ihr einziger Fehler am Sonntagabend war, das zu früh zu kommunizieren. Ein Kommentar.

Am Sonntag hat für die SPD eine Reise ins Ich begonnen. Sie wird nun auf ihrem Seelengrund forschen, was sie wirklich bewegt und bewegen will, so wie sie auch die Menschen im Land noch besser kennenlernen muss, um am Ende nicht wieder enttäuscht zu werden von fehlender Zustimmung.

Vier Jahre Opposition sind daher die richtige Entscheidung. Wenn man der SPD jetzt etwas vorwerfen will, dann allenfalls, dass sie diese Entscheidung zu früh kommuniziert hat. Dass ihr Personal nicht am Wahlabend mit staatstragender Miene etwas von Verantwortung erzählt hat und von einer Entscheidung, die man sich nicht zu leicht machen dürfe. Andererseits: Die SPD hatte genügend Zeit, sich auf diese Entscheidung vorzubereiten. Denn nach all den Umfrageergebnissen der vergangenen Wochen wäre ein deutlich höheres Ergebnis eine Sensation gewesen. Mit dem schlechtesten Ergebnis nach dem Krieg ist der Platz der SPD der in der Opposition.

Häme hat die SPD nun genauso wenig verdient wie Mitleid. Sie hat unter ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz einen ordentlichen Wahlkampf geführt. Das Spiel aber haben andere bestimmt. Allzu lange hat die SPD die Formel soziale Gerechtigkeit wie eine Monstranz vor sich hergetragen, ohne zu erklären, was es damit genau auf sich hat. Mit der Pflege, der Rente, der Verteilungsgerechtigkeit hätte die Partei lauter, stärker und vor allem auch genauer in die Auseinandersetzung gehen müssen. Erst auf der Zielgeraden spielten solche Themen die Rolle, die sie verdienen. Diese Chance hat die SPD vertan.

Dem Land geht es vergleichsweise gut, das stimmt, aber sich derer anzunehmen, die das am wenigsten spüren, gehört auch zur Sozialdemokratie. Die Mitte schien der SPD jedoch genug zu sein. Da klebt sie fest. Nach einer DIW-Analyse verdienen SPD-Sympathisanten überdurchschnittlich. Für die sozial Schwachen kann sich die SPD auf jeden Fall den Mindestlohn auf die Habenseite schreiben, doch schon bei der Rente mit 63 hatte sie nicht die wirklich Bedürftigen im Blick, weil in den Genuss dieser Regelung vor allem gut qualifizierte Fachkräfte mit einer langjährigen lückenlosen Erwerbsbiografie kommen – und eben nicht die Benachteiligten, die die SPD auch ansprechen könnte.

Und noch etwas hat die SPD nicht einbringen können, was sie als genetisches Merkmal in sich trägt: eine Kraft des Fortschritts zu sein. Es geht da weniger um Breitbandnetze als um gesellschaftlichen Fortschritt.

Nach den zweiten vier Jahren großer Koalition wirkt die SPD erschöpft. Da hat auch ein vermeintlich frischer Kandidat von außen nicht ausreichend Schwung bringen können. Martin Schulz hat sich schwergetan, die Unterschiede zur Kanzlerin zu benennen. Und wenn er welche fand, hatte er – wie beim Umgang mit der Türkei – nicht bedacht, dass Merkel aus Unterschieden im Handumdrehen eine Gemeinsamkeit machen könnte. Mit Außenpolitik, also Schulz’ starker Seite, ließ sich diese Wahl ohnehin nicht gewinnen.

Bei ihrem Aufbruch könnte die SPD jedoch schon bald bessere Aussichten finden. Die Union dürfte nach rechts rücken, um die AfD nicht noch stärker werden zu lassen, die FDP ist es bereits. Da bieten sich neue Räume für die Sozialdemokratie an. Gleichzeitig kann sie sich überlegen, ob sie mit der Linken und den Grünen einen mehrheitsfähigen Gegenentwurf zur nächsten Regierung aufstellt. Da würde die SPD dann in eine neue Rolle schlüpfen: in die der Anführerin. Das sollte eine reizvolle Herausforderung sein.

Friedhard Teuffel

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