Start des Mitgliederentscheids zur GroKo: Die SPD-Basis ist am Zug
Mit Regionalkonferenzen hat die SPD ihren Mitgliederentscheid vorbereitet. Die Abstimmung über die große Koalition läuft nun bis zum 2. März.
Die Post ist raus. Spätestens am Dienstag sollen alle 463.723 SPD-Mitglieder in Deutschland die Unterlagen für das Mitgliedervotum in der Hand halten, um über die große Koalition mit der Union zu entscheiden. Am 2. März um 24 Uhr ist Einsendeschluss, am Sonntag, 4. März wird ausgezählt. Dann weiß die Republik, ob die Sozialdemokraten noch mitregieren wollen. Die ersten vier von sieben Regionalkonferenzen, auf denen die Genossen pro und contra Groko diskutieren, haben schon stattgefunden.
Drei weitere folgen am nächsten Wochenende, ergänzt durch einige Dutzend kleine Veranstaltungen, zu den die SPD- Landesverbände einladen. Hinzu kommt die No-Groko-Tour von Kevin Kühnert, dem Bundeschef der Jungsozialisten, der in 25 Städten zwischen München und Hamburg gegen eine erneute Regierungskoalition von SPD und CDU/CSU kämpft. Trotz des innerparteilichen Widerstands, der nicht nur politischem Kalkül, sondern auch dem tiefen Frust über den Zustand der Partei entspringt, rechnet die SPD-Führung um Andrea Nahles und Olaf Scholz mit einer Mehrheit für den Koalitionsvertrag.
Anders sieht es in Berlin aus, wo 21.579 SPD-Mitglieder über die Groko mitentscheiden dürfen. Im mehrheitlich linken Landesverband ist – nicht nur bei den Funktionären, sondern wohl auch an der Basis – mit einer Ablehnung der Groko zu rechnen. Die Genossen in der Hauptstadt geben sich auch nicht mit der Regionalkonferenz am 24. Februar in Potsdam zufrieden. Drei Tage später soll, voraussichtlich im Willy-Brandt-Haus, eine eigene Veranstaltung stattfinden, in der Befürworter und Gegner einer Regierungsbeteiligung gleichberechtigt zu Wort kommen sollen. Der Berliner SPD- Landeschef Michael Müller wird das Grußwort sprechen.
Nicht als Parteichef, sondern als Regierender Bürgermeister hatte sich Müller am Sonntag für die große Koalition ausgesprochen. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag, hatte er dem Tagesspiegel gesagt, trage eine „klare sozialdemokratische Handschrift“. Müllers innerparteilicher Gegenspieler, der SPD-Fraktionschef Raed Saleh, hielt erwartungsgemäß dagegen. Schon 2013 hatte er sich, vor dem damaligen Mitgliedervotum, gegen die Groko positioniert. Zur Frage, ob der Mitgliederentscheid, so wie er jetzt organisiert ist, aus Sicht der Groko-Gegner fair und ausgewogen sei, wollte sich Saleh nicht äußern.
Der SPD-Landesvorstand hatte vor einer Woche auf Antrag der Berliner Jusos ein „faires Verfahren“ eingefordert. Jetzt sind vor allem junge und linke Sozialdemokraten von der Parteiführung enttäuscht. Die Vize-Bundesvorsitzende des Forums „Demokratische Linke“ in der SPD, die Berliner Abgeordnete Ülker Radziwill, wirft dem SPD-Bundesvorstand einen „kraftvollen Machtmissbrauch“ vor. Von einer Waffengleichheit der Groko-Gegner könne keine Rede sein. Auch die Juso-Landesvorsitzende Annika Klose sprach am Montag von einem „sehr unfairen und einseitigen Verfahren des Parteivorstands“.
Müller sieht sich in der Pflicht, den Koalitionsvertrag zu verteidigen
Der Parteivorstand widerspricht. In einer Sonderausgabe der Parteizeitung „Vorwärts“ wird eindringlich für den Koalitionsvertrag geworben. Wer nicht alle 177 Seiten lesen will, kann im Online- Shop der SPD eine Kurzfassung bestellen, die allen Chefs der SPD-Ortsverbände bereits unaufgefordert zugeschickt wurde. An der komplizierten Gemengelage in der Partei ändert das nichts. In der Berliner SPD muss deren Landeschef Müller seit Wochen auf dem Grat zwischen Ja und Nein balancieren.
Als Mitglied des Parteivorstands sieht er sich in der Pflicht, den Koalitionsvertrag zu verteidigen. Andererseits will er die linke Mehrheit in den eigenen Reihen nicht verprellen, die ihn im Mai als Berliner SPD-Parteichef wiederwählen soll. Das führte zu paradoxen Situationen. Als sich der Landesvorstand Mitte Januar strikt gegen Koalitionsgespräche aussprach, lobte Müller die „solidarisch abwägende Diskussion“ im Führungsgremium. Um anschließend darauf zu drängen, zum Verhandlungsteam der Bundespartei zu gehören, die mit der Union den Koalitionsvertrag ausgehandelt hat.
Bei aller Kritik an der Parteiführung sind sich aber auch in der Berliner SPD viele Mitglieder bewusst: Eine Ablehnung des Koalitionsvertrags mit anschließenden Neuwahlen angesichts der aktuellen Umfragewerte wäre schlimm. Das Institut Insa sieht die SPD mit 15,5 Prozent erstmals hinter der AfD, die auf 16 Prozent kommt. Ein Erfolg der Groko-Gegner wäre „das Ende der Partei“, formuliert es eine Genossin sehr dramatisch. Etwas peinlich ist es den Sozialdemokraten auch, dass der Berliner Genosse Stephan Kohn für den Parteivorsitz gegen Andrea Nahles kandidieren will. Vor 15 Jahren bewarb sich der Diplom-Politologe schon einmal – für den Bürgermeisterposten in Wedel, Kreis Pinneberg. Damals warb er für sich so: „Ich habe das Potenzial, unbefangen auf alle Gruppen zuzugehen.“