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Ob's treppauf treppab geht, ist eine Frage der Denkrichtung. Ein Blick in die Kulissen der Volksbühne.
© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Avantgarde und Reaktion: Die Sehnsucht nach dem Alten und das Unbehagen an der Moderne

Was die Ausländerfeinde von Rechts und die Berliner Posse um die Volksbühne verbindet, ist nicht nur die ihnen eigene arrogant-ignorante, beleidigende (und selbst beleidigte) Aggressivität. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Dr. Peter von Becker

Manchmal verbinden sich Avantgarde und Reaktion – im Sinne des sonst verpönt „Reaktionären“ – auf unverhoffte Weise. Der Schriftsteller Botho Strauß hat eine solche Zusammenschau des scheinbar höchst Verschiedenen gerade wieder in der „Zeit“ angestellt. Dabei ging es zunächst um die rein geistige Lage, um das irdische Seelenheil, welches der Kräfte der Kunst und Literatur bedarf, um nicht im Flachsinn des Tagesgeschwätzes auf allen Kanälen und durch alle Netzwerke irre zu werden.

Strauß schilt vor allem die rationalitätsgesteuerten Intellektuellen. So freilich klingt es bisweilen, wenn Intellektuelle Intellektuelle Intellektuelle nennen. Im Übrigen setzt Strauß das Poetisch-Mystische gegen die Aufklärungsgewissheit der „sozialen Diskurse“. Sein Respekt vor dem in nicht näher definierten menschlichen Tiefen gründenden Reaktionären könnte man etwas einfacher auch ein Lob des Wertkonservativen nennen. Und ein furioser Intellektueller wie Karlheinz Bohrer beschreibt soeben in seiner höchst lesenswerten Autobiografie „Jetzt“, wie radikaler Konservativismus und poetischer Scharfsinn sich in der Sphäre der Literatur und überhaupt des Ästhetischen immer wieder zu bedingen und jäh zu verschwistern vermögen.

Das berührt vornehmlich Erfahrungen der Kultur. Es gilt so nicht umstandslos für die Politik, selbst wenn Hitler den frühen Ernst Jünger und Stalin den von ihm gedemütigten Regisseur Sergej Eisenstein nach eigener Willkür geschätzt haben. Neuerdings ist indes eine sonderbare Nähe zwischen stramm Rechts und stark Links auch in ausgeweiteten Kampfzonen zu beobachten. Beispielsweise beim Streit um die Berliner Volksbühne. Die Nichtverlängerung des Intendantenvertrages von Frank Castorf nach immerhin 25 Amtsjahren wird von seinen im Theater oder in der benachbarten Linkspartei versammelten Fans zum Staatsstreich stilisiert. Als ginge es gegen den Führer, Kulturpapst, Theatergott auf Ewigkeit. Eine Berliner Posse.

Der Konflikt heißt Globalisierung vs. Grenzziehung

Weniger amüsant wirkt allerdings, wie man dabei dem designierten Nachfolger Chris Dercon, einem aus Belgien stammenden, international hoch renommierten Kunst- und Theaterkenner, begegnet. Da hat sich eine arrogant-ignorante, beleidigende (und selbst beleidigte) Aggressivität breitgemacht, mit Tönen auch, die an provinzieller Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit der AfD kaum nachstehen. Und bis heute hat Berlins neuer Kultursenator Klaus Lederer von der Linken dazu kein wirklich klärendes, kein gegenüber Dercon und seinem Team entschuldigendes Wort gefunden. Was jetzt seine Amtspflicht wäre, statt auch noch bilderstürmerische Verrücktheiten wie die Entfernung des symbolischen Volksbühnen-Rads gutzuheißen.

Eine Ebene höher und weiter gedacht, drückt sich in der Abwehr des Neuen und Fremden einmal mehr das seit Beginn der Industrialisierung vom allgemein Ökonomischen und Sozialen bis hin zur individuellen psychischen Verfasstheit nie ganz genau zu bestimmende Unbehagen an der Moderne aus. Immer deutlicher erweist sich da als zivilisatorischer Grundkonflikt: der Gegensatz zwischen bedrohlich empfundener Globalisierung und der Sehnsucht nach neuer Grenzziehung innerhalb des Alten, Nationalen und Regionalen, des nicht Diversiven und vermeintlich Homogenen.

Der Einzelne kann nichts mehr ausrichten

Dies alles hat auch mit Selbstbesinnung und letztlich mit Identitätsbestimmung zu tun. Abschottung kann dabei inhuman und irreal sein. Beschränkung aufs Eigene kann andererseits auch Konzentration, Vertiefung, Nachhaltigkeit fördern, von der Landwirtschaft über die Küche bis zur Kultur. Bewusste Beschränkung ist jedoch nicht dasselbe wie generelle Abschottung. Wie Patriotismus nicht zwangsläufig Nationalismus bedeuten muss. Es begegnen sich in der geistigen, politischen Gemengelage also Linkes und Liberales mit reaktiv Rechtem.

Was dabei unkontrollierte Finanzströme angeht oder die Ausbeutung armer Länder durch das Recht des Stärkeren im sogenannten freien Welthandel, ist Globalisierungskritik angesagt. Was Menschenrechte, Informationsströme und universelle Solidarität betrifft, ist (oder wäre) wirkliche Globalisierung ein Segen. Aber vielleicht weist der rastlos für die UN engagierte Jean Ziegler in seinem neuen Buch „Der schmale Grat der Hoffnung“ einen Weg. Ganz schlicht mit der Unterscheidung zwischen Globalisierung und Internationalität. Kein Einzelner vermag ja in der Welt noch etwas auszurichten, nur in internationaler Gemeinschaft. Genau das bleibt der Kern: auch für Europa.

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