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Kehrt Bundesfinanzminister Olaf Scholz der schwarzen Null bald den Rücken zu?
© Thomas Trutschel/Imago Images/Photothek

Streit um staatliche Investitionen: Die schwarze Null im Visier

Unter Ökonomen wächst die Kritik an der Schuldenbremse. Sie soll verändert werden für mehr Investitionen. Die Haushälter der Koalition lehnen das ab.

Der Artikel 109 des Grundgesetzes ist recht eindeutig. Dort steht klipp und klar: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Die schwarze Null hat somit Verfassungsrang. Union und SPD hatten gar keine Wahl, als sie vor einem Jahr den Etat ohne neue Schulden im Koalitionsvertrag verankerten. Wenn die Wirtschaft wächst, die Konjunktur also normal verläuft, sollen keine neuen Kredite aufgenommen werden, so will es die Verfassung.

Als Finanzminister Olaf Scholz (SPD) unlängst seine Haushaltsplanung vorstellte, stand die schwarze Null bis 2023 in dem Eckwertepapier – und Scholz bezeichnete sie als oberstes haushaltspolitisches Ziel. Die Ausnahmeregelung, die das Grundgesetz durchaus vorsieht, greift erst bei einer Abweichung von der Normallage, also wenn es zu einer Rezession kommt, zu einer Finanzkrise oder einer Naturkatastrophe.

Doch nun kommt die Schuldenbremse unter Druck. Und zwar nicht nur von einer Seite. Linke und gewerkschaftsnahe Ökonomen (auch der linke Flügel der SPD, Linkspartei und ein Teil der Grünen) kritisieren die Schuldenregelung in der Verfassung schon immer. Achim Truger zum Beispiel, der gerade erst seinen Platz im Gremium der Wirtschaftsweisen eingenommen hat, der obersten ökonomischen Beraterrunde der Bundesregierung, ist für eine weniger eingehegte Schuldenfinanzierung staatlicher Investitionen offen, wenn es dem Wachstum dient. Er hält es für kontraproduktiv, wenn die Schuldenbremse dazu zwinge, gegen eine Krise anzusparen.

Zu den Kritikern der aktuellen Regelung gehört auch der Mannheimer Ökonom Tom Krebs. Er will sie erweitern: Nicht nur in schweren Krisen oder Rezessionsphasen soll eine größere Schuldenfinanzierung staatlicher Investitionen möglich sein, sondern auch im Fall eines „Investitionsnotstands“ – wenn das „Ausbleiben der Investitionen die Zukunftsfestigkeit der deutschen Volkswirtschaft gefährdet“.

Krebs hat dabei einen weiteren Investitionsbegriff, der auch Bildung und Digitalisierung und nicht nur die klassischen Bereiche wie Bau und Verkehr einschließt. Finanz-Staatssekretär Wolfgang Schmidt, engster Vertrauter von Scholz, hat den entsprechenden Aufsatz von Krebs auf Twitter gerade erst als „lesenswert“ empfohlen.

Aber nicht nur von dieser Seite nehmen Ökonomen die schwarze Null unter Beschuss, auch marktliberale und arbeitgebernahe Ökonomen tun es neuerdings. Zum Beispiel Michael Hüther. Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft m(IW) in Köln hat gerade ein bisschen Furore gemacht in der Szene, weil er die Meinung vertritt, die Schuldenbremse sei nicht mehr zeitgemäß. Wie andere Kritiker verweist auch er auf die niedrigen Zinsen, die ja in der Tat verlockend sind: Wann, wenn nicht jetzt, lautet die Argumentation, können Zukunftsinvestitionen billig finanziert werden.

Jakob von Weizsäcker, der von Scholz berufene neue Chefökonom im Bundesfinanzministerium, wird auf dessen Webseite mit der Einschätzung zitiert, das sich in Zeiten langfristig niedriger Zinsen „viele öffentliche und private Investitionen lohnen könnten, die sich in der Vergangenheit vielleicht nicht gelohnt hätten“. Und die Europäische Zentralbank wird den Leitzins so schnell nicht erhöhen, möglicherweise wird sie auch künftig als indirekte Aufkäuferin von nahezu zinsfreien Staatspapieren auftreten, die sonst ja kaum jemand will.

Nebenhaushalt für Investitionen?

Wichtige Innovationsförderungen blieben auf der Strecke, konstatiert Hüther, und plädiert für einen „gesamtstaatlichen Sonderhaushalt“, der also auch Ausgaben der Länder und Kommunen umfasst, die ja noch stärker als der Bund fürs Investieren zuständig sind, aber ein strengeres Schuldenregime haben als der Bund. Hüther denkt dabei ebenfalls über den klassischen Investitionsbegriff hinaus, wenn er zum Beispiel die staatliche Förderung der künstlichen Intelligenz darunter fasst. "Wir sind mitten in einem technologischen Sprung und drohen wegen der Schuldenbremse den Anschluss zu verlieren." Zwar hat der liberale Wirtschaftsweise Lars P. Feld seinem Kollegen Hüther entgegengehalten, die Schuldenbremse sei keineswegs eine Investitionsbremse, es komme eben darauf an, in den Etats Prioritäten zu setzen. Aber in der Ökonomenszene scheint sich immer mehr Sympathie breitzumachen für eine Reform der Grundgesetzregelung hin zu größerer Flexibilität.

Doch was sagen die Haushälter im Bundestag dazu, die Wächter über den ausgeglichenen Etat, das oberste Ziel der Koalition? Johannes Kahrs, Chefhaushälter der Sozialdemokraten, gibt zu bedenken: „Das Problem aktuell ist nicht die Schuldenbremse, sondern der stockende Abfluss von Investitions- und Fördermitteln. Die Wirtschaft ist ausgelastet, vielerorts fehlen Arbeitskräfte – was nicht fehlt, ist Geld.“

Mit der Binnennachfrage gebe es derzeit keine Schwierigkeiten, hier müsse der Staat auch nicht eingreifen. „Insofern kann ich mit den klugen Vorschlägen, nun die Schuldenbremse zu lösen, nichts anfangen“, sagte Kahrs dem Tagesspiegel. „Billiges Geld allein ist noch kein Grund, mehr Schulden zu machen. Es führt auch häufig zu Fehlallokationen, oder anders gesagt: Es wird dann viel Unsinn gemacht. Und irgendwann steigen die Zinsen auch wieder.“

Kahrs will prinzipienfest bleiben. „Entweder man hat eine Schuldenbremse oder man hat sie nicht. Wer sie lockern will, schafft sie faktisch ab. Wir haben sie aber im Grundgesetz verankert. Die nötige Mehrheit im Bundestag, sie abzuschaffen, sehe ich nicht.“

Rehberg: Ausreichend Einnahmen

Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Eckhardt Rehberg, sagte dem Tagesspiegel: „Für die Union kommt die Rückkehr zur alten Schuldenpolitik nicht infrage. Die Schuldenbremse bleibt.“ Die öffentlichen Haushalte verfügten über ausreichend Steuereinnahmen, um die notwendigen Zukunftsausgaben und Investitionen zu finanzieren. „Im Bundeshaushalt gibt es ungenutzte Mittel von über 20 Milliarden Euro in Sonderhaushalten und als Ausgabereste, die wir endlich abrufen müssen.“ Investitionen scheiterten nicht am Geld, sondern an fehlenden Planungskapazitäten in den Behörden, der überlasteten Bauwirtschaft, aber auch hohen Umweltstandards, rechtlichen Hürden und Bürgerbegehren. „Hier müssen wir ansetzen, wenn wir mehr investieren wollen.“

Kahrs verweist zudem auf einen Punkt, der auch Rehberg umtreibt. „Der Bund hat in den vergangenen Jahren Milliardensummen für die Länder und Kommunen bereitgestellt, damit diese ihre Investitionen erhöhen können. Beide Ebenen haben Überschüsse“, stellt der SPD-Haushälter fest. „Einige Länder haben begonnen, damit ihre Schulden zu tilgen. Warum soll der Bund nun Schulden machen, wenn die Länder Schulden zurückzahlen? Das macht keinen Sinn.“

Otto Fricke, der oberste FDP-Haushälter, sieht ebenfalls Spielräume, ohne neue Schulden machen zu müssen. „Die große Koalition hat in zwei Wahlperioden 386 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuermehreinnahmen gegenüber 2013 zur Verfügung“, sagte er. „Hiervon könnte der Finanzminister auch mehr als nur 3,5 Prozent investieren, wenn er es denn wollen würde.“ Im Übrigen gebe die Schuldenbremse nicht vor, ob die üppigen Steuereinnahmen investiert oder in konsumtive Ausgaben gesteckt würden. „Das ist eine bewusste Entscheidung der Regierung.“

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