Oskar Lafontaine verlässt die Linkspartei: Letzter Abgang mit Racheeffekt
Eine Woche vor der Landtagswahl wirft der Gründungsvorsitzende Lafontaine der Linken Verrat an ihren Ideen vor - und das Parteibuch vor die Füße.
Auf Knalleffekte, das muss man ihm lassen, versteht er sich.
1999 krachte es laut, als Oskar Lafontaine Hals über Kopf den SPD-Vorsitz und den Finanzminister-Posten hinwarf. 2005 rappelte es, als er West- und Ostlinke zur Linkspartei zusammenführte.
Diesmal ist es nur noch der Zeitpunkt, der seinem letzten Abgang Wirkung verschafft. Gut eine Woche vor der Landtagswahl im Saarland wirft er auch seiner eigenen Schöpfung die Brocken hin. Am Donnerstag ist Lafontaine aus der Linkspartei ausgetreten.
Richtig überraschend kommt das nicht. „Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt“, schreibt der 78-Jährige in einer Erklärung, „deshalb habe ich die Partei Die Linke mitgegründet. Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben.“
Das klingt nach einer sehr prinzipiellen Entscheidung. Aber wie immer bei seinen effektvollen Abgängen steckt mindestens noch eine zweite, banalere Wahrheit dahinter. "So viele Menschen, die mal Vorsitzende von zwei Parteien waren und dann ausgetreten sind, gibt es nicht", kommentierte denn auch der frühere Vorsitzende Bernd Riexinger. "Vermutlich liegt das nicht nur an den Parteien."
1999 lag es daran, dass er sich verrechnet hatte. Lafontaine glaubte, in der Kombination aus SPD-Chef und Herr des Bundeshaushalts die Richtung der rot-grünen Koalition bestimmen zu können.
Als ihm nach einem halben Jahr klar wurde, dass der Kanzler hier wie dort den Ton angibt, warf er seinem Sekretariat einen Abschiedsbrief an Gerhard Schröder auf den Tisch und verschwand ins Saarland. Nach Wochen posierte er mit dem kleinen Sohn auf dem Arm für die Fotografen - seine Version des Götz von Berlichingen.
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Auch diesmal vermischen sich inhaltliche Entfremdung und persönliche Enttäuschung, nur diesmal vor allem auf der kleinen Saarbrücker Bühne.
Lafontaine focht dort seit Jahren einen Machtkampf mit dem Landesvorsitzenden Thomas Lutze aus. Die Auseinandersetzung trug starke Züge eines Mafia-Stücks auf dem Schmierentheater.
Es geht um den Vorwurf erschlichener Mehrheiten, gefälschter Mitgliederlisten und von Geldumschlägen, die Lutze seinen Unterstützern zugesteckt haben soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Langjährige Parteifunktionäre kehrten der Partei den Rücken, zwei Abgeordnete gründeten eine neue Fraktion.
Lafontaine rief öffentlich dazu auf, die Partei nicht mehr zu wählen. Seither läuft gegen ihn ein Ausschlussverfahren.
Sein Austrittsschreiben, wird an der Saar kolportiert, sei schon vor Wochen fertig gewesen. Darin wirft er nicht nur Lutze ein „Betrugssystem“ und der Bundespartei Wegschauen vor, sondern geht auch die Bundes-Covorsitzende Susanne Henning-Wellsow an.
Die Thüringerin war daheim eine der realpolitischen Architektinnen der links-geführten Regierungen unter Bodo Ramelow. Lafontaine wirft ihr jetzt vor, sie habe „friedenspolitische Grundsätze“ geopfert, als sie mit anderen dafür plädiert habe, das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr zu billigen.
Die Bundestagsfraktion sagte letztlich dann doch Nein zu dem Plan von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Aber aus Lafontaines Sicht war ein grundlegender Kurswechsel ohnehin schon seit 2015 im Gange: Die Linke habe sich allmählich zur Partei gewandelt, die ähnliche Ziele und Wählergruppen anpeile wie die Grünen. Geringverdiener oder Rentner fühlten sich nicht mehr vertreten.
2015, muss man wissen, war das Jahr, in dem seine Frau Sahra Wagenknecht Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion wurde. Inzwischen ist sie in der eigenen Partei weitgehend zur Solistin geworden. Gehör findet sie dafür in Talkshows.
Wagenknecht bleibt trotzdem an Bord. Lafontaines Abgang hingegen war absehbar.
Das Quartett der Partei- und Fraktionschefs der Bundespartei kommentiert den Vorgang denn auch schmallippig: „Wir halten seinen Austritt für falsch und bedauern ihn.“
Auf Lafontaines Vorwürfe gehen Henning-Wellsow, Janine Wissler, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch nur indirekt ein: Gerade in Zeiten wachsender Ungleichheit, von Krieg und Aufrüstung brauche es dringend eine starke Linke.
Zumindest an der Saar dürfte die allerdings jetzt erst mal Geschichte sein. Nach den Umfragen muss die Linke zittern, am 27. März überhaupt wieder in den Landtag einzuziehen. Als Wissler und Bartsch neulich in der Saarbrücker Fußgängerzone im Wahlkampf auftraten, blieb kaum jemand stehen.
Bitter für eine Partei, die lange für zweistellige Ergebnisse gut war. Aber die hatten eben sehr viel mit dem Mann zu tun, den sie in Saarlouis oder St. Wendel nur als „den Oskar“ grüßen.
Wenn er in Wahlkämpfen mit einer altmodischen Polaroid auf den Marktplätzen auftauchte, wollten alle ein Sofortbild-Selfie mit ihm. An der Saar blieb er für viele der frühere Ministerpräsident, der es in der Bundespolitik zu etwas gebracht und 1989 als Kanzlerkandidat sogar beinahe Helmut Kohl besiegt hätte, wäre nicht die deutsche Einheit dazwischengekommen.
Auf so einen konnte man im kleinsten der Flächenländer auch dann immer ein bisschen heimatstolz sein, wenn man ihn nicht wählte.
Umso größer die Wirkung, die er im letzten seiner Abgänge erzielen könnte. In der Partei sehen viele darin einen Racheakt. „In höchstem Maße unfair“ sei der Zeitpunkt gewählt, klagt etwa die sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Eva von Angern in Magdeburg – und das „ganz bewusst aus meiner Sicht"