zum Hauptinhalt
Abstand halten im Bundestag.
© imago images/Christian Thiel

Parlament gibt Kontrolle aus der Hand: Die Regierung ermächtigt sich in der Corona-Krise selbst – zulässig ist das nicht

Wir müssen die Verfassung schützen. Auch in diesen Zeiten. Es geht um die schwersten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Ermächtigung der Regierung zum Erlass von Rechtsverordnungen ist ein Problem, ein ernsthaftes. Denn auch in diesen Zeiten müssen wir die Verfassung schützen. Wo sind eigentlich die Abgeordneten? Wer hält die Flagge des Rechtsstaats hoch? Wer kämpft für die Einhaltung der Grundrechte? Wo ist eigentlich die Justizministerin?

Nach den schlimmen Erfahrungen mit diesem Rechtsinstitut der Verordnungen in der Weimarer Republik dürfen sie nur nach Maßgabe des Artikel 80 im Grundgesetz erlassen werden. Danach müssen „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Das ist nicht hinreichend der Fall.

Das Parlament ist der eigentliche Gesetzgeber

So kann jetzt der Schreibwarenladen geschlossen werden, das Spielzeuggeschäft, der Friseur - nur aufgrund von Rechtsverordnungen, ohne dass das Parlament mitbestimmt. Dazu gehört auch, dass - wie in Berlin - jede und jeder die Gründe bei Polizei und Ordnungsbehörden „glaubhaft“ machen muss, die das Verlassen der Wohnung nach den Bestimmungen der Verordnung erlauben.

[Verfolgen Sie in unseren Liveblogs die aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in Berlin und zum Coronavirus weltweit.]

Es darf aber nicht sein, dass die Abgeordneten das Handeln so stark aus der Hand geben. Das Parlament ist doch der eigentliche Gesetzgeber. Der wird hier entweder nicht gefragt oder mit nebensächlichen „Folgenbeseitigungen“ beschäftigt. Die wichtigen Entscheidungen treffen die Landesregierungen zuweilen buchstäblich über Nacht.

Einzelnorm ist kein „Ermächtigungsgesetz“

Und das alles erfolgt auf Grundlage einer Verordnungsermächtigung in Paragraph 32 des Infektionsschutzgesetzes, nach dem nun jeder noch so schwere Eingriff in Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Eigentum (Art. 14 GG) zulässig sein soll. Obwohl diese Grundrechte in Paragraph 32 IfSG gar nicht erwähnt werden.

Diese Einzelnorm war und ist gewiss nicht als „Ermächtigungsgesetz“ gedacht, das jede parlamentarische Kontrolle aushebeln kann.

Der Bundestag ist also aufgefordert, dieses Defizit unverzüglich zu beseitigen und im Infektionsschutzgesetz die notwendige Grundlage zu schaffen, aber nicht allgemein, sondern wie von Artikel 80 GG gefordert. Immerhin geht es um die schwersten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik.

Zur Startseite