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Einig: Olli Kotro (l-r), Die Finnen (PS), Jörg Meuthen, Alternative für Deutschland (AfD), Matteo Salvini, Lega Nord, und Anders Vistisen, Dänische Volkspartei.
© Luca Bruno/AP/dpa

Europa der Nationalisten: Die Rechtspopulisten in der EU formieren sich

Auf den ersten Blick mögen Nationalismus und die EU Widersprüche sein. Doch die Populisten wollen die Institutionen für ihre Zwecke nutzen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Soll Großbritannien noch einmal eine Brexit-Verlängerung bekommen? Darüber berät an diesem Mittwoch der Europäische Rat. Es scheint, als wolle eine Mehrheit der EU-Mitglieder einen No-Deal-Brexit am Freitag verhindern. Aus ökonomischer Sicht – und mit Blick auf die britische Innenpolitik – ist das absolut sinnvoll.

Ein schwerwiegendes Argument spricht allerdings dagegen: Bei einer verlängerten Deadline müsste Großbritannien an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen. Das würde eine große Zahl radikalisierter und politisch völlig unberechenbarer Brexiteers in das europäische Parlament schwemmen. Dort würden sie zu einem voraussichtlich gewachsenen Block nationalistischer und populistischer Parteien stoßen.

Was das bedeuten könnte, hat der britische Radikal-Brexiteer Jacob Rees-Mogg kürzlich so formuliert: „Wir werden so schwierig sein wie irgendwie möglich.“ Die Obstruktion ist dabei für viele populistische Parteien nur ein Mittel zum Zweck. Die europäischen Anti-Europäer sind eigentlich keine mehr. Sie wollen die EU nicht zerstören – sondern für ihre Zwecke nutzen, vorerst.

Auf den ersten Blick mögen Nationalismus und die EU Widersprüche sein – doch die ideologischen Fronten sind nicht mehr so klar. Frankreichs Rechtsauslegerin Marine Le Pen bezeichnet die EU als „totalitäres System“; der ungarische Präsident Viktor Orban feiert das Konzept nationaler Souveränität.

Doch ein Europa der Nationen, geeint gegen das vermeintliche Eindringen fremder Kulturen, das ist durchaus eine Vorstellung, hinter der sich viele dieser Parteien versammeln. Als am Montag der italienische Lega-Chef Matteo Salvini mit Jörg Meuthen von der AfD sowie finnischen und dänischen Rechtspopulisten die Bildung einer gemeinsamen Gruppe im Europäischen Parlament ankündigten, sagte Salvini, „Identität und Tradition“ minderten Meinungsverschiedenheiten. Auch der Reflex gegen gesellschaftspolitischen Liberalismus, für den die EU aus ihrer Sicht steht, eint diese Parteien. Für Salvini, Meuthen, dem Finnen Olli Kontro und dem Dänen Anders Vistisen ist das Gegenbild „eine Union des gesunden Menschenverstands“.

Eine „düstere Variante“ von Europa

Die Euroskeptiker haben ihr eigenes Europa-Bild entwickelt, in dem Kooperation durchaus Sinn macht. Sie wollen die Institutionen nutzen. Alexander Clarkson, der Europastudien am King’s College unterrichtet, schreibt: Sie streben eine „düstere Variante“ von Europa an. Denn die Union nützt ihnen. Auf die Hilfen aus den Strukturfonds können sie nicht verzichten.

Auch für die populistischen Vorstellungen von Migrationspolitik könnte die EU durchaus nützlich sein. Zwar hat das Europäische Parlament hier wenig Entscheidungsgewalt. Doch es kann politischen Druck ausüben: gegen offene Grenzen in der EU, für militärisch gesicherte Außengrenzen, zur Not über den Haushalt.

Eineinhalb Monate vor der Wahl sieht es so aus, als könnten populistische und nationalistische Parteien ein Drittel oder mehr der Sitze erringen. Damit könnten sie viele der Entscheidungen und Resolutionen, die der absoluten Mehrheit bedürfen, blockieren oder behindern – zumal wenn die anderen Parteien und Blöcke keine gemeinsame Linie finden.

Die Brexiteers brauchen sie dazu wahrscheinlich gar nicht. Aber die Zeiten im Europäischen Parlament dürften unruhig genug werden – da braucht es nicht auch noch die Briten, die ihre ungelösten nationalen Konflikte in das Hohe Haus tragen.

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