Lange Verschiebung möglich: Die Briten könnten Ende des Jahres noch in der EU sein
Einen Tag vor dem EU-Gipfel in Brüssel deutet sich eine großzügige Brexit-Verlängerung an. Europa stellt Regierungschefin May aber Bedingungen.
Am morgigen Mittwoch wollen die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Sondergipfel in Brüssel entscheiden, ob sie der britischen Regierungschefin Theresa May beim Brexit eine weitere Verlängerung gewähren sollen. Damit die am kommenden Freitag auslaufende Frist ein weiteres Mal verschoben wird, braucht es eine einstimmige Zustimmung unter den verbleibenden 27 EU-Staaten. Den Ton gab dabei am Dienstag EU-Chefunterhändler Michel Barnier vor. Nach den Worten des Franzosen ist die EU grundsätzlich zu einer erneuten Verschiebung des Brexit-Datums bereit.
Ganz problemlos dürfte May bei dem am Mittwochabend beginnenden Gipfel die Zusage der EU-27 für eine Verlängerung aber nicht erhalten. Das fängt schon mit dem Wunsch der Premierministerin an, die Brexit-Frist am 30. Juni enden zu lassen. Das Ende der Frist liegt nach der Europawahl, an der Großbritannien nach dem Willen zahlreicher Politiker auf der Insel eigentlich gar nicht teilnehmen will.
Andererseits könnten zweieinhalb Monate angesichts des politischen Chaos auf der Insel nicht ausreichen, um eine Klärung der politischen Fronten herbeizuführen. Deshalb könnten die Staats- und Regierungschefs der britischen Regierungschefin am Mittwoch eine Verlängerung bis zum Ende dieses Jahres oder sogar darüber hinaus bis 2020 anbieten.
Frankreich sieht lange Frist skeptisch
Zwar sehen einige EU-Staaten, darunter Frankreich, Griechenland, Slowenien, Österreich und Spanien, eine ausgiebige Fristverlängerung skeptisch. In EU-Diplomatenkreisen hieß es am Dienstag aber dennoch nach einem Treffen der Europaminister in Luxemburg, dass die Idee einer ausgiebigen Fristverlängerung immer mehr Unterstützer finde.
May lotet ihre Chancen in Berlin und Paris aus
Grundsätzlich würde eine Verschiebung der Brexit-Frist bis zum Jahresende oder darüber hinaus zwar auch eine britische Teilnahme an der Europawahl zur Folge haben. Aber die Briten hätten dann mehr Zeit für grundlegende Entscheidungen – etwa durch Neuwahlen oder ein zweites Referendum.
Am Dienstag stattete May unmittelbar vor dem Gipfel noch einmal eine Visite bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin und beim französischen Staatschef Emmanuel Macron in Paris ab. Bei den Last-Minute-Besuchen wollte die Premierministerin offenbar noch einmal ausloten, welches Minimal-Angebot sie beim Gipfel an diesem Mittwoch machen muss, um einen am Freitag weiterhin drohenden No-Deal-Brexit vom Tisch zu bekommen.
Von May war ursprünglich erwartet worden, dass sie in Brüssel einen schlüssigen Plan für ihr weiteres Vorgehen vorlegt. Doch angesichts der schleppenden Gespräche mit der Labour-Opposition und des anhaltenden Widerstands der Brexit-Hardliner in den eigenen Reihen ist zweifelhaft, ob May dies tatsächlich liefern kann.
Nicht zuletzt zwischen Berlin und Paris tun sich indes unter den EU-Staaten bei der Bewertung des Londoner Brexit-Hickhacks Differenzen auf. Während Merkel bereits bekundet hat, „bis zur letzten Stunde“ einen ungeregelten Brexit verhindern zu wollen, zeigen Frankreichs Politiker weniger Entgegenkommen. So forderte Chefdiplomat Jean-Yves Le Drian am vergangenen Wochenende am Rande eines Außenministertreffens der G7-Staaten, dass sich die EU nicht permanent „mit den Unwägbarkeiten der britischen Innenpolitik“ auseinandersetzen könne. Zuvor war Macron in der vergangenen Woche noch deutlicher geworden. „Die Europäische Union darf nicht dauerhaft zur Geisel einer politischen Krise im Vereinigten Königreich werden“, hatte der Staatschef gefordert.
Großbritannien soll sich konstruktiv verhalten
Dennoch wird erwartet, dass Macron beim Gipfel über seinen Schatten springt und einer Verlängerung der Brexit-Frist zustimmt. Dabei könnte eine Bedingung helfen, die May nun offenbar beim Sondertreffen der EU erfüllen muss. Dem Vernehmen nach soll sich die Regierungschefin verpflichten, dass Großbritannien auch dann keinen Sand ins EU-Getriebe streut, wenn das Vereinigte Königreich noch länger Mitglied der Gemeinschaft bleibt.
Eine solche Selbstverpflichtung käme einer Kampfansage an Brexit-Hardliner wie den Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg gleich. Der Tory-Politiker hatte unlängst zu einer Blockade der EU-Institutionen aufgerufen und gefordert: „Wenn wir gezwungen sind, bleiben zu müssen, müssen wir das schwierigste Mitglied sein“.
Grünen-Europaexpertin Brantner: Künftig mit Unterhaus-Delegation verhandeln
Für den Fall, dass Großbritannien der EU noch ein wenig länger erhalten bleibt, schlägt die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Franziska Brantner, noch etwas anderes vor. Da May in der eigenen Partei „offensichtlich keinen Rückhalt mehr hat“, müsse die EU künftig nicht nur mit der Premierministerin, sondern parallel auch mit einer parteiübergreifenden Delegation des Unterhauses verhandeln, sagte sie dem Tagesspiegel.