Münchner Sicherheitskonferenz: Die Puzzlestücke der Weltordnung
China, Russland und Iran wollen einen Keil zwischen Europa und die USA treiben. Gelingt ihnen das? Was hat die Sicherheitskonferenz gebracht? Eine Bilanz.
Drei Tage Straßensperren im Zentrum einer deutschen Großstadt, 4400 Polizisten im Einsatz, mehrere Millionen Euro Steuergelder für die Unterstützung der Konferenz mit Fahrdiensten, Sicherheitsvorkehrungen und manches mehr. Und was hat die 55. Münchner Sicherheitskonferenz messbar ergeben? Sind die Ukraine, Syrien oder der Jemen dem Frieden näher als zuvor? Werden die Klimapolitik oder die Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika nun effektiver? Ist die Erde sicherer oder friedlicher als zuvor?
Gastgeber Wolfgang Ischinger zog eine bittere Bilanz: „Einige Gäste kamen nicht hierher, um die Puzzlestücke der Weltordnung zusammenzusetzen, sondern um sie in noch kleinere Teile zu zerbrechen.“ Die vereinbarten Regeln würden heute „mehr zum Schutz von Diktatoren missbraucht als zum Schutz von Menschen genutzt“. Positive Gegenbeispiele seien rar, etwa die Einigung im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien. Dafür erhielten die Regierungschefs Alexis Tsipras und Zoran Zaev am Samstagabend den Ewald-Kleist-Preis.
Unmittelbar danach lasse sich der Nutzen nicht messen, sagen deutsche Regierungsmitglieder. Aber ohne die Gespräche zwischen den Kontrahenten der internationalen Politik wäre die Lage noch bedrohlicher. Aus gutem Grund wollen jedes Jahr mehr Staats- und Regierungschefs nach München kommen wollen; 30 waren es 2019, dazu 80 Außen- und Verteidigungsminister. „München wird jedes Jahr zur Bühne der Weltpolitik“, sagt der Vorstand einer internationalen Werbeagentur. „Die Sicherheitskonferenz ist eine deutsche Marke und ein unbezahlbarer Imagegewinn für Deutschland.“ Teilnehmer vergleichen das Treffen mit dem Check-up beim Arzt: Blutdruck messen. Veränderungen im Gesundheitszustand feststellen. Untersuchen, ob Krankheiten voranschreiten oder auf dem Weg der Heilung sind. Wie steht es um ...
... die Weltordnung?
Über Jahrzehnte haben die USA als Einzelmacht und über ihr Bündnis mit Europa die internationale Politik dominiert. Diese Dominanz erodiert jedes Jahr weiter, vor allem durch den Aufstieg Chinas. Russland verliert an Einfluss. Amerika hat einen komparativen Vorteil: Es hat Verbündete. China und Russland können das nicht von sich sagen. Aber ist dieser Vorteil der Regierung Trump bewusst? Sie geht oft unilateral vor, bezieht die Alliierten zu wenig ein, stellt sie vor vollendete Tatsachen und erwartet Zustimmung, klagen die Europäer. Den Auftritt von US-Vizepräsident Mike Pence nannten viele „arrogant“.
... den Multilateralismus?
Die Kontroversen zwischen Multilateralisten, die an den Nutzen einer regelbasierten Ordnung glauben, und Unilateralisten, die ihre nationalen Interessen auch gegen die vereinbarten Regeln verfolgen, nehmen zu. Man müsse freilich unterscheiden zwischen denen, die Multi- oder Unilateralismus propagieren, und denen, die dann auch so handeln, sagt Cameron Munter, Präsident des East-West-Instituts in New York. „Angela Merkel predigte in München Multilateralismus und glaubt daran. Mike Pence predigte Unilateralismus und glaubt daran. Der Chinese Yang Jiechi predigte Multilateralismus, glaubt aber nicht daran. (Peking beruft sich auf die Regeln, wo es ihm nutzt, ignoriert sie aber, wo sie seinen Interessen schaden.) Der Russe Sergej Lawrow predigte Unilateralismus, glaubt aber nicht daran.“ Russland sei zu schwach, um eine Konfrontation mit China oder Amerika durchzuhalten.
... den Zusammenhalt des Westens?
Auffallend war, wie sehr prominente Redner aus China, Russland, und dem Iran einen Keil zwischen Europa und Amerika zu treiben versuchten. Das haben sie zwar auch früher getan. Aber wegen der Spannungen im Westen ist die Resonanz heute größer. Merkel beschwerte sich über amerikanische Drohungen mit Autozöllen. Pence gab den Europäern Anweisungen, wie sie sich im Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 und um die Iransanktionen verhalten sollten. Yang pries China als Partner an, der den Multilateralismus mit Europa gegen die USA durchsetzen wolle. Lawrow versuchte die EU mit dem Angebot einer gemeinsamen Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok zu ködern. Irans Außenminister Sarif will mit Europa das Atomabkommen gegen die USA retten.
... das deutsch-amerikanische Verhältnis?
„Die Beziehungen zwischen den Regierungen werden noch schwieriger“, sagt Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. „Positiv ist die Rekordzahl an Kongressabgeordneten in München. Es gibt ein Amerika, das am Bündnis interessiert ist.“ In vielen Gesprächsrunden in München hatten Demokraten und Republikaner erklärt, sie stünden zu Europa, zur Nato, zur Sicherheitgarantie. Falls Trump die Nato in Frage stelle, werde es „einen Aufschrei in Amerika geben“. Obamas Vizepräsident Joe Biden sagte mit Blick auf die Wahl 2020: „We will be back!“
... den Umgang mit China?
Peking ist Hauptnutznießer des Streits zwischen Europa und Amerika. „China und Russland sind in München zu gut weggekommen“, sagt die niederländische Europaabgeordnete Marietje Schaake (Liberale). „Die EU muss sich auf eine Chinastrategie einigen.“ Im Handel und beim Urheberrecht müsse Europa seine Interessen gegen China härter verteidigen, fordert Stefan Mair vom Bundesverband der Deutschen Industrie.
... den Umgang mit Russland?
Russland hatte sich durch die Annexion der Krim, den Krieg in der Ukraine und die Cyberangriffe zur Manipulation westlicher Wahlen weitgehend isoliert. Der transatlantische Zwist hilft auch Moskau. Es hat hohes Stör- und Zerstörungspotenzial, ist aber nicht fähig zu konstruktiver Machtausübung. In München glaubte niemand, dass Russland und die Türkei Syrien zum Frieden verhelfen können. Moskau hat nur „Hard Power“, es fehlt die „Soft Power“.
... Europa?
Europas Macht in der Welt liegt weit unter seinem ökonomischen Potenzial. Die EU einigt sich zu selten auf gemeinsame Positionen. Militärisch ist sie ein Zwerg. „Soft Power“ allein reicht eben auch nicht.
... den Nahen und Mittleren Osten?
Der Palästinakonflikt stand 2019 nicht auf der Tagesordnung. Syrien hat keine Friedensperspektive. Die Rivalität zwischen Saudi Arabien und dem Iran befeuert Bürgerkriege, etwa im Jemen.
... die Bedeutung von Atomwaffen?
30 Jahre waren sie kein Thema. Plötzlich spielen sie wieder eine Rolle. Abrüstungsverträge zwischen den USA und Russland stehen vor dem Aus. Es gibt neue Atommächte, die nicht an sie gebunden sind, voran China. Die USA und Russland wollen, dass Obergrenzen und Verbote auch für China gelten. Peking lehnt das ab. Diese Entwicklung bedroht die Sicherheit Europas. In Deutschland fehlen aber Experten, weil Atomwaffen 30 Jahre kein Thema waren. „In allen Parteien müssen wir uns wieder mehr Sachkenntnis verschaffen“, mahnt der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer.
... die Datensicherheit?
In der Debatte, ob der chinesische Konzern Huawei die Technik für das Mobilnetzwerk 5 G stellen darf, ist die Bundesregierung gespalten. Das Auswärtige Amt und die Geheimdienste sind wegen Sicherheitsbedenken dagegen, war in München zu hören. Das Kanzleramt und das Wirtschaftsministerium wollen Huawei zulassen. Norbert Röttgen verlangt feste Prinzipien: „Der Zugriff ausländischer Regierungen und besonders ihrer Geheimdienste auf den in Deutschland operierenden Netzwerkausrüster muss ausgeschlossen sein. Das betrifft sowohl die Rechtslage in dem anderen Land als auch das Machtverhältnis zwischen dem Land und dem Unternehmen.“ Diese Prinzipien würden Huawei ausschließen.