Münchner Sicherheitskonferenz: Wer gehört heute noch zu den Supermächten?
Viele erwarten, dass die Welt künftig von zwei Großen dominiert wird: den USA und China. Die liegen derzeit im Clinch miteinander.
Viele kommen nach München, um übereinander zu reden, statt miteinander zu reden, hatte Gastgeber Wolfgang Ischinger bei der Eröffnung der Sicherheitskonferenz angemerkt. Am Sonnabend fiel das besonders ins Auge. Wie kooperativ oder konfrontativ sich die internationale Lage entwickelt, hängt in hohem Maße von den USA und China ab - und wie sie miteinander umgehen. Ihre Spitzenvertreter in München, Vizepräsident Mike Pence und Politbüromitglied Yang Jiechi, setzten sich auf kein gemeinsames Podium. Sie redeten nacheinander. Und übereinander.
Kleine Hierarchie der Großmächte: Wie viele hören zu?
Tritt die Welt in eine neue Phase dualer Rivalität? Das erwarten viele Beobachter. Das Kürzel dafür ist "G 2". Oder wird es eine Ära des Wettbewerbs mehrerer Großmächte? Da ist ja noch Russland, nicht zu reden von Indien und Europa.
So ganz ebenbürtig sind sie nicht, das ließ sich schon am Publikumsinteresse ablesen. Bei Pence war der Saal übervoll, bei Yang voll. Als nach ihnen der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach, blieben einige Plätze leer.
Nach Pence's Worten erlebt die Welt eine neue Phase amerikanischer Stärke. "Amerika führt wieder." Das sei Donald Trump zu verdanken. Nato-Mitglieder geben mehr für Verteidigung aus. Die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 steht in Frage - "wegen unserer harten Haltung". Pence attackierte Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas und drohte. "Wir können nicht Verbündete im Westen verteidigen, die sich derart abhängig vom Osten machen."
Der Wunsch wird zum Vater der Worte
Die behauptete neue Stärke der USA führt Pence auf Trumps starke Führung zurück und auf das Prinzip: "Wir gehen mit der Welt so um, wie sie ist - nicht, wie wir sie gern hätten." Doch dann folgten mehrere Beispiele, wo eher der Wunsch Vater der Worte zu sein schien, nicht die Fakten. Der "Islamische Staat" (IS) sei "besiegt". Die USA hätten tausende, Iraker, Syrer Kurden befreit. "In diesen Stunden wird das letzte Gebiet unter der schwarzen IS-Flagge zurückerobert."
In Afghanistan "kommen die Taliban an den Verhandlungstisch, weil Amerika so stark ist", behauptet Pence. Die Europäer haben eher den Eindruck, dass die USA sich mit den Taliban arrangieren, weil sie abziehen wollen. Am Vortag hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kritisiert, dass die USA mit den Taliban separat reden, ohne die afghanische Regierung und ihre Nato-Verbündeten einzubeziehen.
Iran sei "der Hauptsponsor von Terror in der Welt". Deshalb sollten alle Staaten sich den neuen US-Sanktionen gegen Teheran anschließen. "Das Böse muss bekämpft werden, wo immer es auftritt", schlug Pence einen Bogen zu seinem Besuch im KZ Auschwitz am Freitag. "Iran hat es zum Ziel erklärt, Israel von der Karte zu tilgen."
Nordkorea war Pence's nächster Beleg für Stärke. Das Regime "hat seit Jahren die Nachbarn bedroht". Trump habe das beendet: "keine neuen Atomtests, keine neuen Raketenstarts; die gefangenen US-Bürger kamen nach Hause." Der nächste Gipfel Trump-Kim werde weitere Fortschritte bringen.
Erst bei China wird der Ton konzilianter
Bei China wurde der Ton konzilianter. Er habe "großen Respekt vor Präsident Xi". China "hat einen privilegierten Platz in unserem Bild von Asien- sofern es die Souveränität seiner Nachbarn respektiert." Im Handelsstreit stehe eine Einigung in Aussicht. Auch das sei das Ergebnis von "Standfestigkeit".
Rückfragen aus dem Publikum waren nicht vorgesehen. So blieb ein pathetisches Schlussbekenntnis im Raum stehen. "Der Westen wird nicht zerbrechen. Unsere Werte werden sich durchsetzen. Denn die Freiheit siegt immer."
Widerspruch erntete Pence weig späte von seinem Vorgänger. Joe Biden, Vizepräsident unter Barack Obama, fragte: "Was soll das für eine Führungsstärke sein? Führen kann nur, wer Verbündete hat. Wer seine Alliierten verstört, kann nicht führen."
Der Gast aus China wirbt für Multilateralismus
Yang Jiechi gab sich mehr Mühe, die Zuhörer für sich zu gewinnen. China unterstütze den Multilateralismus, denn der "dient dem Frieden". In China habe man die USA für eine Macht gehalten, die das multilaterale System ebenfalls hochhält. Daran gebe es heute Zweifel. Auch er zog freilich eine rote Linie: Ja zu Konsultation und Kooperation, aber "keine Einmischung in innere Angelegenheiten".
China respektiere zudem den Rechtsstaat, behauptete Yang. Er überging dabei, dass Peking die Urteile des Internationalen Schiedsgerichts zu Hoheitsrechten im Chinesischen Meer nicht befolgt.
Die "Verwirklichung des chinesischen Traums hängt von Kooperation ab", sagte Yang. Er bestätigte, dass die USA und China auf gutem Weg sind, ihren Handelsstreit mit einer umfassenden Vereinbarung zu befrieden.
Bei allen friedlichen Tönen versteht sich inzwischen auch Peking als Supermacht, die mit Gewalt droht, wenn sie ihre Interessen bedroht sieht. China werde sein Territorium und vitalen Interessen verteidigen, wenn sie angegriffen werden.
Versteckte Drohungen: Amerika und Europa sollen sich raushalten
Als Beispiel nannte er, "wenn unter dem Vorwand des freien Schiffsverkehrs Hoheitsgebiete verletzt" werden. Das hört sich nach Konflikt an, denn eben diese Hoheitsgebiete interpretieren die Nachbarstaaten, die USA und die internationalen Gerichte anders als Peking. "Nicht-regionale Mächte müssen die Souveränität der Region respektieren", verlangte Yang weiter. Im Klartext: Die USA und Europa sollten sich Gebietsstreit in Asien heraushalten.
Kanzlerin Merkel hatte am Morgen gefordert, auch China müsse sich an Verträgen zur Begrenzung von Atomwaffen beteiligen. Dazu sagte Yang nicht. Würde der vor dem Aus stehende INF-Vertrag auf China angewandt, müsste Peking den Großteil seiner Atomraketen verschrotten.
Yang kam zum Abschluss seiner langen Rede auf den Multilateralismus zurück. China sei Gastgeber der G 20, gründe Gerichte für Urheberrechte und Entwicklungsbanken - trage also zur "Good Governance" in der Welt bei. Wer alleine arbeite, schafft etwas Nützliches, zitierte Yang ein Sprichwort. "Wer zusammenarbeitet, multipliziert den Nutzen."
Lawrow macht 2019 ein freundliches Gesicht
Dann kam Sergej Lawrow. In den vergangenen Jahren glichen seine Auftritte Strafpredigten über den Westen. Diesmal sprach er in weniger strengem Ton und freundlichem Gesicht. Die Beschwerde aber blieb die gleiche: "Die Lage in Europa ist sehr angespannt". Schuld sei der Westen. Adenauer und de Gaulle, Kohl und Mitterand hätten "ein partnerschaftliches Verhältnis mit Russland" angemahnt. Das seien "leere Vorsätze geblieben".
Danach war nicht mehr vom bösen Westen die Rede, sondern von bösen außereuropäischen Mächten, die Europa einen "Nato-Zentrismus" aufzwingen und eine Raketenabwehr. "Europa hat sich in eine sinnlose Rivalität mit Russland hineinziehen lassen."
Moskaus Angebot: Ein Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok
Neu war: Lawrow machte Kooperationsangebote - freilich solche, in denen Russland nicht abgehängte Großmacht ist, sondern den Status einer Weltmacht auf Augenhöhe hat. "Die Präsidenten der Eurasischen Union und der Europäischen Union sollten über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok verhandeln" - soll heißen: Russland und die EU. Offenbar glaubt Lawrow nicht, dass es so kommt. "Die Frage sei, ob es der EU erlaubt werde", beschrieb er Europa erneut als Vasallen der USA. Das wahre Hindernis: Die EU ist eine freie Marktwirtschaft, Russland nicht - und sie ist ökonomisch rund sieben Mal stärker.
Angebote zur Rettung des INF-Vertrags oder zum Frieden in der Ukraine machte Lawrow nicht.
Nach umfassender Kooperation hörte sich das alles nicht an. Aber es wies auch nichts auf eine demnächst explodierende Konfrontation großer Mächte hin. In diesen Zeiten ist das eine Menge wert.