Orbán geht's wie Erdogan: Die Opposition erobert Budapest
Vorbild Istanbul: Gergely Karácsony gewinnt die Bürgermeisterwahl in Ungarns Hauptstadt gegen den Amtsinhaber – eine Schlappe für den mächtigen Premier Orbán.
Es konnte nur mit geeinter Kraft geschehen. Der gemeinsame Oppositionskandidat Gergely Karácsony hat am Sonntag die Oberbürgermeisterwahl von Budapest gewonnen. Nach vollständiger Stimmenauszählung kam er auf einen Anteil von 50,9 Prozent, der amtierende Fidesz-Bürgermeister István Tarlós stand bei 44,1 Prozent. Tarlós gratulierte Karácsony nach Angaben des Onlineportals 24.hu schon Sonntagabend zum Sieg. Auch im Stadtparlament ist Karácsony die Mehrheit der Verordneten sicher. Es ist der größte Erfolg der Opposition in der Amtszeit des mächtigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Der gab sich demütig. "Neun Jahre lang war es üblich, dass die Regierungspartei in diesem Land auch den Oberbürgermeister der Hauptstadt stellt", sagte Orbán nach der Wahlschlappe. "Die Budapester haben sich heute anders entschieden. Diese Entscheidung nehmen wir zur Kenntnis und sind zur Kooperation bereit." Er kündigte an, dass er das Wahlergebnis in Ruhe analysieren und die Politik seiner Partei "zukünftig dementsprechend gestalten" werde. Obwohl die Regierungspartei Fidesz in vielen Teilen des Landes weiterhin die führende Kraft blieb, wird Orbán kaum anderes übrigbleiben: In der Hauptstadt lebt mit 1,7 Millionen Einwohnern fast ein Fünftel der ungarischen Bevölkerung.
"Holen wir uns Budapest zurück!" Karácsonys Leitspruch wurde an diesem Sonntag Wirklichkeit. Seit 2010 regiert Tarlós in der Hauptstadt. Er steht für die Fidesz-Elite, die in den Augen vieler frustrierter Budapester die Stadt der Regierung Orbán überlässt. Erst Anfang des Jahres zog Viktor Orbán seinen Sitz in das Burgviertel, vielen liberalen Orbán-Gegnern war das ein Dorn im Auge. Sie möchten nicht, dass der rechtsnationale Ministerpräsident in einem Palast über ihnen thront.
Karácsony verspricht seinen Wählern ein transparentes, grünes, freies Budapest, "Bäume statt Beton" und "Freiheit statt Angst". Das erinnert an die Bürgermeisterwahl von Istanbul im März und schließlich bei der Wiederholung im Juni, wo sich ebenfalls überraschenderweise der Oppositionelle Ekrem İmamoğlu gegen den Kandidaten der AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan durchsetzen konnte.
Seit der Kommunalwahl 2006 werden ein Großteil der ungarischen Gemeinden und Städte von Orbáns Fidesz-Partei regiert. Für die Opposition, durch ihre eigene interne Zersplitterung und neun Jahre der starken Machtstellung von Fidesz geschwächt, bedeutete jeder Sieg ein Stück Landgewinn.
Mehr als 16.000 Mandate standen am Sonntag ungarnweit zur Wahl. Es entschied sich, wer Bürgermeister wird und wer in den Kommunalparlamenten vertreten sein wird. Pro Mandat trat meist nur ein Kandidat der Opposition an. Karácsony machte den Start: Er gewann die Budapester Vorwahl der Opposition im Juni und wurde seitdem neben dem sozial-demokratischen Bündnis Párbeszéd-MSZP von den drei weiteren linken Oppositionsparteien im Land unterstützt.
Gegen Orbáns gefügige Medien hilft nur Geschlossenheit
Die geeinte Kampagne ist keine neue Methode der ungarischen Opposition. In einem Wahl- und Mediensystem, dass sich die Regierung Orbán in den letzten neun Jahren zu ihren Gunsten umgebaut hat, kommt die Opposition mittlerweile an diesem weit über Parteigrenzen hinweg reichenden Zusammenschluss nicht vorbei. "Wir gegen sie" ist mathematisch existenziell, wenn Riesenplakate an den Straßen und in den Bushaltestellen die Erfolge der Regierung Orbán plakativ darstellen.
Diesmal ist die Strategie allem Gegenwind zum Trotz aufgegangen. Von Pécs im Süden des Landes bis Miskolc im Norden wird die Opposition auch in einigen regionalen Großstädten den Bürgermeister stellen, sowie in 14 der 23 Budapester Bezirken. Damit verliert Fidesz auch innerhalb der Bezirke ihre Mehrheit, regierte sie zuvor noch in 17 der 23.
Besonders auf die neuesten Partei Momentum kaprizierten sich viele Hoffnungen. Die 2017 gegründete liberale Partei wurde bei der Europawahl drittstärkste Kraft und sandte viele Kandidaten der Nachwendegeneration ins Rennen.
Der Oberbürgermeister von Györ – koksend bei einer Sexparty
Der Wahlkampf war auf beiden Seiten intensiv, einer der spannendsten der letzten Jahre, aber auch gnadenlos. Kurz vor der Wahl veröffentlichte ein anonymer Blog ein Video des Oberbürgermeisters der Stadt Györ, ein großer Standort von Audi, koksend bei einer Sexparty an der Adriaküste.
Seine Partei Fidesz, die christliche Familienwerte und eine Null-Toleranz-Drogenpolitik propagiert, hielt sich nach den Vorwürfen bedeckt. Viktor Orbán sagte bei einer Pressekonferenz nach seiner Stimmabgabe am Sonntagmorgen, er würde sich erst am Montag dazu äußern und sei "mit den Györern".
„Hulk“ machte der Opposition per Facebook Hoffnung
Oppositionskandidat Karácsony wurde bei mehreren öffentlichen Auftritten in Budapest von vermummten Personen gestört, die lautstark Zirkusmusik spielten. Damit spielten sie an auf die regierungsnahe Presse, die Karácsony als "unfähig" und als "Clown" bezeichnet.
Dagegen sandte "Hulk"-Darsteller Mark Ruffalo den Ungarn zwei Tage vor der Wahl per Facebook-Post eine Nachricht der Hoffnung. So wie Viktor Orbán schüchtere auch Donald Trump die Bevölkerung ein, um dann "unbegrenzte Macht an sich zu reißen, die freie Presse zu stürzen, die Gerichtsbarkeit zu beeinflussen und sich und ihre Kumpel mit öffentlichen Geldern bereichern." Als "Verfechter der Demokratie" inspiriere ihn wie sich die ungarische Opposition "mutig versammle" um in einer Kampagne der Einigkeit ihre "Demokratie zu schützen".
Wie einig werden Orbáns Gegner nach dem Sieg bleiben?
Die energischsten Oppositionskandidaten findet man außerhalb der Parteien. Sie sind erfahrene Aktivisten, die sich jahrelang gegen Korruption oder für eine bessere Sozialversorgung in ihrem Bezirk eingesetzt haben. So wie Krisztina Baranyi, die Anfang des Jahres durch ihre Mobilisierung gegen die Veruntreuung der bezirklichen Parkgebühren im 9. Bezirk bekannt wurde und die Vorwahl zur gemeinsamen Oppositionskandidatin gewann.
Oder András Pikó, der im schnell gentrifizierenden Arbeiterviertel im 8. Bezirk antritt. Mit seiner Gruppe "C8" setzt sich Pikó seit Jahren dafür ein, dass die vielen Roma-Familien, die hier wohnen, nicht verdrängt werden, oder für einen würdevollen Umgang mit Obdachlosen. Im Kampagnenbüro von Pikó führte die Polizei noch im September eine Razzia durch und beschlagnahmte Laptops nach Verdacht auf Betrug. Doch vor einer Woche wurden die Ermittlungen eingestellt, da keine Straftat bestand. Trotz des schikanenreichen Wahlkampfs hat sich das Vertrauen der Aktivisten in die traditionelle Parteienpolitik gelohnt: Sowohl Pikó als auch Baranyi gewannen am Sonntag - in Bezirken, die traditionell rechts wählen.
Die Frage ist, ob sich die, die jetzt gewonnen haben, weiter zusammenhalten werden. Sie müssen sich dem von Orbán geschaffenen "System der nationalen Zusammenarbeit" stellen, der weiterverbreiteten Korruption und der Macht, die Orbáns Parteifreunde in diesem System genießen. Die Regierung Orbán drohte noch kurz vor den Wahlen damit, oppositionell geführte Städte und Gemeinden könnten weniger Geld erhalten, als bisher geplant. Außenminister Péter Szíjjártó dankte bei der Pressekonferenz der Fidesz-Wahlparty am Sonntagabend den Wählern. Danach gefragt, ob Budapest jetzt weniger staatliche Gelder bekommen werde, sagte er, "er könne noch keine Antwort darauf geben."