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Sieger in Istanbul: Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu (Mitte)
© Reuters/Kemal Aslan

Sieg der Opposition in Istanbul: Die türkische Demokratie lebt

Das Macht-Abonnement von Erdogans AKP ist mit der Niederlage in Istanbul abgelaufen. Der Triumph von Imamoglu macht Hoffnung auf Veränderung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Der Erdrutschsieg des Oppositionspolitikers Imamoglu bei der Wiederholung der Oberbürgermeisterwahl in der türkischen Metropole Istanbul ist eine Zäsur für die Türkei. Präsident Erdogan hat die Herrschaft über alle großen Städte des Landes verloren, seine Partei AKP und ihre nationalistische Partnerin MHP haben nun auch in Istanbul keine Mehrheit mehr. Nach mehr als 16 Jahren an der Macht ist Erdogan angezählt, vorgezogene Neuwahlen sind nicht mehr ausgeschlossen.

Als „tektonische Verschiebung“ in der türkischen Politik bezeichnet der türkische Journalist Kadri Gürsel das Wahlergebnis. Imamoglu siegte, weil er Linke, Kurden und auch konservative Wähler hinter sich brachte. Selbst AKP-Stammwähler müssen zu ihm übergelaufen sein, anders ist sein riesiger Stimmenvorsprung nicht zu erklären. Auch in Stadtbezirken, die zu den Hochburgen der AKP in Istanbul zählen, siegte am Sonntag die Opposition.

Das bedeutet: Das mehr als 16-jährige Macht-Abonnement der AKP in der Türkei ist abgelaufen. Erdogan und seine Partei können ab sofort nicht mehr in der Gewissheit handeln, dass die meisten Bürger am Ende hinter ihnen stehen werden. Ihre schmachvolle Niederlage in der größten, reichsten und wichtigsten Stadt des Landes haben sie nicht erlitten, weil sie die Metropole schlecht verwalteten. Sie haben verloren, weil sie nie die Möglichkeit einkalkuliert haben, dass ihnen die Türken die Gefolgschaft verweigern könnten.

Die Wahl ist deshalb auch ein Lehrstück in Sachen Hochmut und Arroganz der Macht. Erdogan wollte die Niederlage seiner Partei bei der ersten Wahl im März nicht hinnehmen, setzte die Neuwahl vom Sonntag durch – und wurde vom Wähler abgewatscht.

Das Istanbuler Wahlergebnis ist ein wichtiges Lebenszeichen der türkischen Demokratie. Die zehn Millionen Wähler am Bosporus haben sich von ihrer Regierung nicht gängeln lassen und einen Politiker gewählt, der einen Neuanfang wagen will. Imamoglu muss jetzt liefern: Er verspricht ein Ende von Ausgrenzung und Korruption. Erdogan wird das Ergebnis wohl hinnehmen müssen. Ein erneuter Einspruch gegen das Resultat, wie schon nach der ersten Wahl im März, würde seine eigene Partei spalten.

Vier Gründe für den Sieg der Opposition

Für den Sieg der Opposition gibt es vier wichtige Gründe. Erstens läuft die türkische Wirtschaft so schlecht, dass die AKP ihren wichtigsten Trumpf – das Versprechen von mehr Wohlstand – nicht ausspielen konnte. Zweitens verfügen die Erdogan-Gegner mit dem 49-jährigen Imamoglu von der Partei CHP zum ersten Mal seit langen Jahren über eine charismatische Führungsfigur. Drittens betonte Imamoglu in seinem Wahlkampf das Miteinander der Menschen und setzte diese Botschaft erfolgreich gegen Erdogans Taktik der Polarisierung. Viertens ging Imamoglu ein inoffizielles Bündnis mit der Kurdenpartei HDP ein, was ihm wichtige Stimmen brachte.

Alle türkischen Politiker können aus dieser Wahl lernen. Opposition wie Regierung haben erlebt, dass die Wähler nicht gegeneinander aufgehetzt werden wollen. Sie haben auch gesehen, dass es von Vorteil ist, die kurdische Minderheit im Land in den politischen Prozess einzubinden.

Am schwierigsten wird diese Lektion für Erdogan zu verdauen sein. Der 65-jährige Autokrat duldet kaum noch Widerspruch. In Imamoglu hat er jetzt jedoch einen Gegner gefunden, der für viele Türken die Hoffnung auf Veränderung symbolisiert. Seit Sonntagabend ist Erdogan nicht mehr der Jäger, sondern der Gejagte.

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