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Ein Zeichen der Ratlosigkeit von Kanzlerin Merkel - aber nicht nur deshalb sorgt sich Pascale Hugues um die Stabilität von Deutschland.
© dpa

Rechtspopulismus: Die neue deutsche Instabilität

Bisher galt, dass Angela Merkel es schon richten wird. Was auch immer. Das gilt nicht mehr. Und was, wenn Angela Merkel dem nicht standhält? Eine Kolumne.

Als ich neulich die Haushaltsdebatte im Bundestag sah, musste ich mir eingestehen, dass er doch ganz schön schwankt in der Brandung, der legendäre deutsche Fels. Es geschehen schlimme Dinge in diesem Land. Alice Weidel trat ans Mikrofon, die Anspannung im Halbkreis war regelrecht greifbar. Die Hand in die Hüfte gestemmt, feuerte sie ihre provozierenden Salven ab und wies anklagend mit dem Zeigefinger auf die Kanzlerin. Und was tat Angela Merkel? Gönnte sie sich eine meditative Pause? Das Kinn in die Hände gestützt, starrte sie ins Leere. Man muss zugeben, das es einer gehörigen Portion Selbstbeherrschung bedarf, um so einen hasserfüllten Schwall über sich ergehen zu lassen, ohne in die Luft zu gehen. Längst vorbei die Zeiten, als der Bundestag eher einem Salon ähnelte, wo man fast schon höflich unterschiedliche Standpunkte austauschte.

Wie viele Franzosen habe ich es lange nicht glauben wollen: Ich war überzeugt davon, dass die Vergangenheit Deutschlands es zu einem absoluten Tabu gemacht hatte, sein Kreuz bei einer rechtsextremen Partei zu setzen. Ich dachte, die stabile Wirtschaftslage und die niedrige Arbeitslosenzahl wären ein Bollwerk gegen Demagogen. Der Beweis: Niemals hatte es eine rechtsextreme Partei in den Bundestag geschafft. Hin und wieder ein Fieberschub bei einer Landtagswahl. Nichts Ernsthaftes.

Als die AfD bei lokalen Wahlen immer mehr Erfolge einheimste und bald in fast allen Landesparlamenten vertreten war, habe ich es weiterhin nicht ernst genommen: eine schlecht organisierte Bande von Amateuren. Die haben sowieso nicht genug kompetente Leute, um ihre Mandate zu besetzen.

Der letzte Halm: AfD zieht nur im Osten

Und wie soll man diese notorischen Unruhestifter ernst nehmen, die sich untereinander zerfleischen? Kein Grund zur Unruhe: Ihre Wähler sind Protestwähler. Es geht ihnen nicht um politische Programme. Ihr werdet sehen, die verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Außerdem vertrauen wir Angela Merkel. Dank ihrer protestantischen Rechtschaffenheit und ihres Pragmatismus wird sie dem Sturm standhalten.

Andererseits waren wir bösen Franzosen nun endlich nicht mehr allein mit unseren Rechtsextremen. Ich muss zugeben: Ich war erleichtert. Man kennt die Fortsetzung der Geschichte: Die „Flüchtlingskrise“ war ein Geschenk für die AfD, die mit 92 Abgeordneten in den Bundestag kam – eine umso erschreckendere Zahl, als die Abgeordneten des Front National (inzwischen Rassemblement National) nur acht Sitze in der Nationalversammlung haben. Das französische Wahlsystem benachteiligt kleine Parteien. Mit Blick auf Sachsen versuchten wir noch, uns an den letzten Halm zu klammern: Der rechtsextreme Populismus verführt nur Ostdeutsche – nicht erstaunlich, nach so vielen Jahren hinter der Mauer, nach so viel Umbruch und Entwürdigung in den Jahren nach dem Mauerfall.

Doch dann gab es Chemnitz und Köthen: Der Hitlergruß am helllichten Tag in der Öffentlichkeit jagte uns Schauer über den Rücken. Es gab die Maaßen-Affäre: der Präsident des Verfassungsschutzes, der verdächtigt wird, mit den Rechtsextremen zu sympathisieren. Einer der Pfeiler der Demokratie wird dadurch erneut befleckt. Es gab schließlich schon den NSU-Skandal. Und wenn im nächsten Monat Bayern „kippt“? Eine so reiche und gut funktionierende Region, Musterschülerin der Bundesrepublik, die wir für unantastbar hielten. Und was, wenn Angela Merkel nicht standhält und gehen muss?
- Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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