Rechtspopulismus: Warum die AfD keine konservative Partei ist
Alles Fassade: Die AfD benutzt die Bürgerlichkeit nur als Tarnung für ihre radikalen Ziele. Dabei ist Angst ein schlichter Ratgeber. Eine Analyse.
Geschichte wird von Gentlemen gemacht. Von Großen, die sich für die Gemeinschaft aufopfern. Männern wie Robert Walpole, der als Ministerpräsident die Kabinettsdisziplin einführte, wie Gladstone, Disraeli oder Winston Churchill, der „Politik als Fortsetzung einer Kavallerieattacke mit anderen Mitteln“ betrieb.
In seinem Buch „Gemeine und Lords“, das 1989 bei Suhrkamp erschien, schwärmt Alexander Gauland von britischen Spitzenpolitikern des 17. bis 20. Jahrhunderts und von der „angelsächsischen Weltzivilisation“. Die deutsche Parteienpolitik erscheint ihm im Vergleich eher armselig: „Unsere repräsentativ-demokratische Verfassung leidet nicht an einem Mangel an Demokratie, sie leidet an einem Mangel an Persönlichkeiten.“
Gaulands Bewunderung galt der liberalen Demokratie eines Landes, in dem es radikal rechte Parteien wie British First oder die British National Party nie ins Parlament schafften. Ausnahme: die EinThema-Partei Ukip, die für den Austritt aus der EU trommelte. Den Liberalismus hat Gauland inzwischen hinter sich gelassen. Auch als allseits geachtete Persönlichkeit kann man ihn nicht mehr bezeichnen. Wie aus dem knorrigen, elegant formulierenden Vertreter der Suhrkampkultur, lange Jahre CDU-Mitglied, ein Scharfmacher und Anheizer johlender Massen werden konnte, ist ein erstaunlicher Fall von Altersradikalismus.
Alexander Gaulands Idol heißt Bismarck
Der 75-jährige Vizechef der Alternative für Deutschland (AfD) befand mit Bezug auf sein Idol Bismarck, die großen Fragen der Zeit würden nicht durch Reden entschieden, „sondern durch Eisen und Blut“ und denunzierte Freiwillige, die sich für Flüchtlinge einsetzen, als „nützliche Idioten“. Skandal machte seine Behauptung, deutsche Bürger wollten „einen Boateng nicht als Nachbarn haben“. Nach heftigen Protesten sagte er, nicht gewusst zu haben, dass der Afrodeutsche Jérôme Boateng Fußballnationalspieler ist.
Vom Äußeren her könnte Alexander Gauland in einer Forsthaus- oder Krankenhausvorabendserie auftreten. Den Seniorförster oder Chefarzt würde man ihm abnehmen. Mit seinen Tweedsakkos und den Krawatten, auf denen Jagdhunde abgebildet sind, verkörpert Gauland für die AfD eine Bürgerlichkeit, für die auch der Vorsitzende Jörg Meuthen und die jedoch adlige, gerne im Samtkragen auftretende Bundesvizevorsitzende Beatrix von Storch stehen.
Seriosität, Ehrlichkeit, Arbeitsethos sind Tugenden, die sich mit dem Kammgarn-Bürgertum verbinden, man fühlt sich an backsteinerne Patrizierhäuser wie aus den „Buddenbrooks“ erinnert. Auch der ehemalige SPD-Senator Thilo Sarrazin, der mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ viele Thesen der AfD vorwegnahm, gehört ins Lager dieser Zorn-Bürger.
Für die AfD sind alle anderen nur noch "Altparteien"
Allerdings gelang es dem Wirtschaftsprofessor Meuthen nicht, einen antisemitischen Abgeordneten aus seiner Fraktion im baden-württembergischen Landtag zu werfen. Zuletzt kündigte er an, er werde keine „vernünftigen Vorschläge“ ablehnen, nur weil sie von der NPD stammten. Als die „New York Times“ kürzlich über von Storchs verbissenen Kampf gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung berichtete, die sich um die Opfer rechter Gewalt kümmert, wies die Zeitung darauf hin, dass die Politikerin eine „Enkelin von Nazi-Deutschlands Finanzminister“ ist. Im letzten Jahr hatte von Storch gefordert, gegen Flüchtlinge an der Grenze Schusswaffen einzusetzen, notfalls auch gegen Frauen und Kinder. Später entschuldigte sie sich damit, sie sei nur mit der Maus auf ihrem Computer „abgerutscht“.
In den Gesprächsrunden nach der Wahl von Mecklenburg-Vorpommern, bei denen die AfD zur zweitstärksten Kraft aufstieg, war von „Angst als einzigem Gewinner“ die Rede und von der AfD als Partei jener „Menschen, die sich abgehängt fühlen“. Politiker von SPD, CDU, der Linken und den Grünen, die von der AfD verächtlich „Altparteien“ genannt werden, beschworen Sorgen und Ängste, die Wähler zur rechten Konkurrenz getrieben hätten. Aber Angst, so schien es, hatten diese Politiker vor allem selbst, Angst vor einer Partei, deren schlichten Parolen sie wenig entgegenzusetzen haben.
Hintergrund der Exit-Strategie: Deutschtümelei rein!
Die AfD ist eine bürgerliche Partei – aber keine konservative. Konservative sehen sich als Bewahrer, berufen sich auf Tradition, Herkunft, Religion und wollen die Welt vor Veränderungen schützen. Idealtypische Verkörperung dieser Haltung ist Fontanes Romanheld Dubslav von Stechlin, bei dem sich Kulturkritik und Resignation mischen: „Über kurz oder lang wird man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon steigt.“ Die AfD belässt es nicht beim seufzenden Beschwören vergangener, vermeintlich besserer Zeiten, sie möchte Staat und Gesellschaft radikal umbauen.
Raus aus Euro, EU und Nato, so lauten die Exit-Strategien. Deutschtümelei rein. „Importierte kulturelle Strömungen“ sieht die AfD als „ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit“. In ihrem Programm beruft sie sich auf den „bürgerlichen Protest“ der Revolutionen von 1848 und 1989, doch Leitbegriffe wie (Kultur-)Nation, Freiheit, Familie erinnern eher an den Sound der westdeutschen Nachkriegszeit.
Die gern benutzte Vokabel Volk entstammt einer noch älteren Mottenkiste. Die „rasante, unaufhaltsame Besiedelung Europas, insbesondere Deutschlands, durch Menschen aus anderen Kulturen und Weltteilen“ sei die Folge eines „irregeleiteten Humanitarismus“. Im Humanitarismus, urteilte der Soziologe Arnold Gehlen bereits 1969, steckt eine Gefahr, weil er die „ethische Alleinherrschaft“ anstrebe. Für die AfD sind Bürger mit humanitären Idealen schlicht „Gutmenschen“ mit Helfersyndrom.
Das Wirtschaftsprogramm? Extrem bürgerlich
Gegen die Fremdbesiedelung Deutschlands helfe nur ein Mittel: Grenzen dicht. Im Sinne größerer Bürgerbeteiligung will die AfD das „selbstverständliche Recht auf freie Rede für freie Bürger wieder einsetzen“. Niemand dürfe Angst haben, seine Meinung zur Einwanderungs- und Asylpolitik zu äußern. Deutschland, so sieht es die Partei, ist zu einem Unterdrückungs- und Überwachungsstaat geworden. Dazu passt die Rede von der „Kanzlerdiktatorin“.
Hardcore-Rhetoriker wie der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke erscheinen wenig bürgerlich. Er forderte, man müsse „blonde Frauen beschützen“ und sagte ergriffen: „1000 Jahre Deutschland – ich gebe euch nicht her.“ Extrem bürgerlich wiederum, teils neoliberal wirkt das Wirtschaftsprogramm mit vielen FDP-nahen Plänen wie Bürokratie abbauen, Subventionen streichen oder Märkte deregulieren. Das Arbeitslosengeld soll privatisiert, Hartz IV durch eine „aktivierende Grundsicherung“ ersetzt werden.
Angst ist schon immer ein Aggregatzustand des Bürgertums gewesen. Angst vor dem Absturz, Angst vor der Deklassierung. Vor dem „Verfall“, der bei den „Buddenbrooks“ bereits im Untertitel angekündigt wird. Die Weltbühne betrat das Bürgertum, als sich der dritte Stand 1789 bei der Einberufung der Generalstände nach Versailles zur französischen Nationalversammlung erklärte. Allerdings wurde sein Machtanspruch bald vom Proletariat, dem vierten Stand, infrage gestellt, der die Kämpfe der französischen Revolution mitkämpfte.
Nach 1945 gingen die Ideologien auf Null
Karl Marx nannte das 19. Jahrhundert ein „bürgerliches Zeitalter“. Unternehmer, Handwerker, Kaufleute, Beamte und Angehörige der freien Berufe gewannen in Deutschland die ökonomische und kulturelle Vorherrschaft. Bloß die politische Emanzipation ließ auf sich warten. So klagte der Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen 1899 in einer Testamentsklausel, er habe gewünscht, ein Bürger zu sein, aber „das ist nicht möglich in unserer Nation, bei der der Einzelne, auch der Beste über den Dienst im Gliede nicht hinauskommt“.
Im 20. Jahrhundert wurde dem Bürgertum dann endgültig der Totenschein ausgestellt. Thomas Mann konstatierte 1918 einen „Prozess der Entbürgerlichung“, die „deutsche Katastrophe“ (Friedrich Meinecke) des Nationalsozialismus erschütterte die bürgerliche Ideenwelt, und das Auf-Null-Setzen der deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ließ Klassen- und Standesgrenzen schwinden. Was blieb, war die Angst.
Wo ist bloß Sonnenkönig Helmut Kohl geblieben?
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat der AfD soeben im Berliner Wahlkampf vorgeworfen, ein „undemokratisches Gesellschaftsbild“ zu haben. Wie soll man diese Partei nennen? Rechts, neorechts, rechtsradikal? Oder nationalkonservativ, fremdenfeindlich, rassistisch? Vielleicht „rechtspopulistisch“, wie die „Tagesschau“ es tut? Die AfD selbst bezeichnet sich als „bürgerlich-demokratische Partei“, so der smarte mecklenburg-vorpommersche Spitzenkandidat Leif-Erik Holm.
Eines ist sie gewiss: eine Retropartei. In der Welt ihrer Parolen und Visionen geht es zurück in die alte Bundesrepublik, zurück in die achtziger Jahre, als Helmut Kohl wie ein Sonnenkönig ein prosperierendes Land regierte, Mutter dem Vater abends nach der Arbeit einen Schweinebraten auf den Tisch stellte, die Rente sicher, der „Genderirrsinn“ und das Wort „Political Correctness“ noch nicht erfunden waren. Endlich, um den Schauspieler Joachim Meyerhoff zu zitieren, soll es wieder so werden, „wie es nie war“. Willkommen in der Traum- und Märchenlogik.
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