Asylsuchende vom Balkan: Die nahen Fremden aus dem Kosovo
Die Asylsuchenden vom Balkan sind für die EU-Länder ein besonderes Problem – vor allem jene aus dem Kosovo. Warum kommen gerade von dort so viele Menschen?
Sie haben oft einen Rucksack auf dem Rücken und eine Reisetasche umgehängt. Sie sind nervös. Leute, die so aussehen, als würden sie längere Zeit verreisen, werden bereits an der Grenze gestoppt. Manche schon am Flughafen in Tirana. Die Dokumente werden kontrolliert und geprüft, ob sie bereits öfters nach Deutschland reisten – und das nicht nur als Touristen. Wer verdächtigt wird, in der EU um Asyl anzusuchen, soll gar nicht mehr ausreisen dürfen.
Wie stehen die Balkanländer selbst zu der Abwanderung?
Der Druck auf die Innenminister der Balkanstaaten ist enorm. Auch der Imageschaden macht vielen zu schaffen. Die Regierungen im Kosovo und in Montenegro plädieren deshalb dafür, dass ihre Staaten von Deutschland zu sicheren Drittländern erklärt werden, in die man sehr schnell abschieben kann.
Der kosovarische Regierungschef Isa Mustafa betonte kürzlich, dass es weder Verfolgung noch Folter in seinem Staat gäbe. Und sein montenegrinischer Kollege Milo Djukanovic schrieb an das EU-Parlament, dass es keinerlei Grund gäbe, dass Montenegriner irgendwo um Asyl ansuchten. In diesem Punkt ist man sich mit deutschen Politikern also völlig einig. Kürzlich fuhr der deutsche Botschafter Hellmut Hoffmann sogar gemeinsam mit der albanischen Vize-Innenministerin Elona Gjebrea an einen Grenzübergang, um zu zeigen, wie wichtig es Berlin ist, dass weniger Südosteuropäer in diesen Sommermonaten in den Norden reisen, um dort um Asyl zu bitten. Denn allein im Juli gingen 5900 Asylanträge von Albanern in Deutschland ein.
Welche Chancen haben die Menschen vom Balkan auf Asyl im Norden?
Eine Chance, Asyl zu bekommen, hat eigentlich niemand. Manche tragen – meist gefälschte – „Bestätigungen“ mit sich, dass ihre Familie „unter Blutrache“ stehe, dass ihr Leben also bedroht sei. Doch auch die albanischen Behörden haben mittlerweile Datenbanken angelegt, um dies zu unterbinden. An den albanischen Grenzübergängen sind seit Mitte Juli zwölf deutsche Beamte stationiert, die ihren albanischen Kollegen helfen sollen, die Leute davon abzuhalten, nach Deutschland zu gehen. Auch die Abschiebung von Personen, die bereits einen negativen Asylbescheid bekommen haben, wird vorangetrieben. Im ersten Halbjahr 2015 wurden 13 210 Albaner aus EU-Staaten nach Hause abgeschoben. Albanien ist aber nur ein Beispiel.
Warum wollen die Leute trotzdem weg?
Vor allem junge Leute sehen keine Chance für ihre Zukunft, sie haben keine Jobs, und wenn sie nicht zu irgendeiner Partei gehen, dann werden sie auch keine bekommen. Die Arbeitslosenrate liegt auf dem Balkan – regional unterschiedlich – zwischen 20 und 50 Prozent. In Bosnien-Herzegowina liegt die Jugendarbeitslosenrate bei 63 Prozent.
Asylgründe gibt es aber kaum, obwohl es Gruppen gibt, die diskriminiert werden – Roma, andere ethnische Minderheiten, Homosexuelle und Kritiker der herrschenden politischen Klasse. In Mazedonien etwa gibt es einige Personen, die regelmäßig mit dem Tod bedroht werden, weil sie etwa als Journalisten tätig sind. Doch diese Personen sind meist auch in den westeuropäischen Außenministerien bekannt und können geschützt werden. Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Serbien werden bereits seit dem Vorjahr von Deutschland als sichere Drittländer betrachtet. Andere Asylbewerber – etwa Syrer, die über den Balkan in die EU flüchten – beschweren sich mittlerweile auch über die „Konkurrenz“ der Albaner. Die Asylanträge vom Balkan würden die Verfahren für sie selbst verzögern, hört man unter den Flüchtlingen.
Der überwiegende Teil jener Südosteuropäer, die in Deutschland um Asyl ansuchen, wollen der Armut entkommen. Reiseagenturen und Menschenschmuggler suggerieren den Menschen, dass sie in Deutschland eine Chance hätten, Asyl zu bekommen, und dass bestimmte Berufsgruppen gesucht würden. Die Gegenkampagnen fruchten nur langsam, auch deshalb, weil die Leute oft eher ihren Nachbarn als Politikern glauben. Der Anstieg an Asylsuchenden während der Sommermonate hat auch damit zu tun, dass viele Südosteuropäer davon leben, dass sie in der „Bausaison“ für ein paar Monate in den wohlhabenderen europäischen Staaten arbeiten und dann mit dem verdienten Geld auch im Winter auskommen wollen.
Ein weiterer Anreiz ist das „Taschengeld“, das sie im Asylverfahren bekommen, und die kostenlose ärztliche Behandlung. Viele Menschen in Südosteuropa sind nicht sozialversichert, selbst wenn sie große Schmerzen haben, gehen sie nicht zum Arzt, weil sie sich das einfach nicht leisten können. Und bei einem ganz normalen Job in Serbien oder in Montenegro verdient man monatlich 300 Euro – davon kann eigentlich niemand leben.
„Diese Leute verabschieden sich aus den wirtschaftlichen und politischen Systemen ihrer Herkunftsländer, weil diese in den vergangenen Jahren nie reformiert worden sind“, sagt der Experte Tobias Flessenkemper von der deutschen Südosteuropagesellschaft. „Das Asylverfahren ist ein Ersatz für die zusammengebrochenen Sozialsysteme vor Ort.“ Flessenkemper betont auch, dass der wirtschaftliche Anpassungsdruck der südosteuropäischen Staaten an den Euro-Raum sehr groß sei, weil die Währungen alle an den Euro gebunden sind. Eigentlich ist der Balkan demnach längst in den Euro-Raum integriert.
Wie viele Asylsuchende kommen aus den Balkanstaaten nach Deutschland?
Etwa 22 000 Bürger Albaniens, 14 000 aus Serbien, 6700 aus Mazedonien, 4061 aus Bosnien-Herzegowina und 1400 aus Montenegro haben von Januar bis Juni 2015 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Besonders auffallend ist der Kosovo. 26 Prozent der Asylsuchenden EU-weit waren im ersten Quartal 2015 Kosovaren, damit liegt der Kosovo auf Platz eins aller Asylantragsstaaten. Allein 21 095 Kosovaren haben in diesem Zeitraum in Deutschland um Asyl gebeten, bis Juni waren es 31 400. Deutschland liegt mit 40 Prozent aller Anträge EU-weit auf Platz eins, wenn es um die Erstanträge geht. Die große Zahl an Asylbewerbern aus dem Kosovo hat vor allem damit zu tun, dass die Kosovaren – anders als alle anderen Südosteuropäer – ein Schengen-Visum beantragen müssen, um einreisen zu können. Sie können also nicht als Touristen nach Deutschland kommen wie alle anderen.
Denn die Schengen-Staaten haben 2009 und 2010 die südosteuropäischen Staaten – bis auf das Kosovo – von der Visumspflicht befreit. Bereits damals war klar, dass die Bürger dieser Staaten kein Asyl mehr bekommen würden. Doch für viele ist der Weg über den Asylantrag die einzige Möglichkeit, legal in der EU zu sein. Experten wie der Thinktank European Stability Initiative (ESI) fordern deshalb seit Jahren die Verkürzung der Verfahren für die Südosteuropäer. Als Deutschland 2012 die Verfahren für Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien beschleunigte, sank die Antragsrate sofort. Die Schweiz war mit einer Verkürzung (48 Stunden) besonders effektiv.
Wie ergeht es jenen, die wieder abgeschoben werden?
Das betrifft vor allem viele Kosovaren. Nach einigen Monaten müssen sie wieder zurückkehren. Oft haben sie bei ihrem Versuch, in der EU Asyl zu bekommen, viel Geld verloren. Etwa die Familie Halili aus Vushtri im Kosovo, die ihr Haus verkaufte, um die Schmuggler bezahlen zu können. „Wir hatten kein Geld mehr, um Essen für die Kinder zu kaufen“, erklärt Deuta Halili, warum sie und ihr Mann beschlossen, auszuwandern. „Außerdem ist die Schule acht Kilometer von unserem Haus entfernt. Der Schulbus kostet pro Kind zehn Euro im Monat. Und dieses Geld haben wir nicht.“ Im Februar sind die Halilis also mit ihren fünf Kindern in den Bus nach Belgrad gestiegen, von dort ging es nach Subotica. Und mit einem Schlepperminibus nach Ungarn. Im April wurden sie aus der EU wieder abgeschoben. Und jetzt? „Das Haus kostet jetzt 7000 Euro, wenn ich es zurückkaufen will“, sagt Herr Halili. Denn der neue Besitzer hat es in Abwesenheit der Halilis renoviert. Herr Halili hat aber keine 7000 Euro. Er will es abstottern.
Das Schicksal der Halilis ist kein Einzelfall. Viele Südosteuropäer bekommen nach der Abschiebung einen Stempel in den Pass, sodass sie gar nicht mehr in die EU gelangen können.
Adelheid Wölfl