Interview mit Hermann Gröhe: „Die meisten Kinder besuchen keine Krippe“
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe über das umstrittene Betreuungsgeld, die Zukunft der Koalition – und einen Pizzadienst für die Piratenpartei.
- Robert Birnbaum
- Antje Sirleschtov
Herr Gröhe, was ist für Sie „bürgerlich“?
Bürgerlich ist eine Politik, die auf die Bereitschaft der Menschen zur Selbstverantwortung, zur Mitverantwortung für andere und zum Gemeinsinn setzt.
Wieso ist dann diese bürgerliche Politik schon wieder an dem Punkt, an dem Ihr CSU-Kollege die Handlungsfähigkeit der Koalition infrage gestellt sieht?
Eine Koalition ist immer ein Bündnis selbstbewusster Parteien, die auch ihr jeweiliges Profil pflegen. Wenn ich das Verhältnis in der Koalition mit der Zeit vor zwei Jahren vergleiche, dann lässt sich feststellen: Es gibt Differenzen in Sachfragen, aber ein ganz vernünftiges Miteinander.
Ja toll: Sie brüllen sich nicht mehr öffentlich an!
Gebrüllt hat niemand. Aber das Miteinander war verbesserungswürdig und teilweise nicht angemessen für bürgerliche Politik. Inzwischen gibt es mehr verbindenden Stolz auf die gemeinsamen Erfolge unserer Arbeit. Schauen Sie sich nur die glänzenden Wirtschaftsdaten an. Das hat ganz wesentlich auch mit unserer Politik zu tun. Die wahlkämpfenden Landesverbände freuen sich über Rückenwind aus Berlin. Dass wir in Partei und Koalition über die Ausgestaltung des Betreuungsgelds diskutieren, ist Teil eines normalen Meinungsbildungsprozesses.
Die CSU argwöhnt, dass es nicht nur um das Wie geht, sondern ums Prinzip.
Wir sollten keinen Zweifel an der Umsetzung aufkommen lassen. Das Betreuungsgeld wurde nach intensiver Debatte ins CDU-Grundsatzprogramm aufgenommen. Außerdem: Wir sind koalitionstreu und halten Vereinbarungen ein. Offene Fragen sollten im Gesetzgebungsverfahren beantwortet werden, etwa Fragen danach, wie man Fehlanreize durch das Betreuungsgeld vermeiden kann.
Die Gefahr der Fehlsteuerung besteht also aus Ihrer Sicht?
Die überwiegende Zahl der Kinder unter drei Jahren besucht keine Kinderkrippe. Bei den allermeisten muss wahrlich niemand befürchten, dass sie durch die liebevolle Zuwendung ihrer Eltern irgendeinen Nachteil erleiden. Sorgen bereitet lediglich eine kleine Minderheit überforderter Eltern. Aber ich bin gegen eine generelle Misstrauenserklärung gegen alle Väter und Mütter.
Die CSU sagt: „Bargeld und sonst nichts!“
Wir haben uns in der Koalition für eine Barleistung entschieden. Es gibt jetzt Fragen, die den Kreis derer betreffen, die gefördert werden sollen. Hinzu kommt das Anliegen der Frauen-Union, zu einer besseren Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente zu kommen. Auch das hat ein CDU-Parteitag beschlossen.
Die CDU löst ihren inneren Konflikt auf Kosten der Staatskasse?
Es gehört zur Programmatik der Union seit Anfang der 80er-Jahre, dass Kindererziehung als Beitrag zum Generationenvertrag anerkannt und honoriert werden muss. Da ist seither einiges passiert, aber wir müssen diesen Weg weiter gehen.
Wie geht man um mit einem Koalitionspartner am Rande der Existenz?
Wir würden gern noch beim bürgerlichen Gemeinsinn bleiben. Die FDP hat davon ja auch ein eigenes Verständnis: Sie blockiert zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung.
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es nicht um einen Konflikt zwischen Union und FDP oder zwischen zwei Ministern. Es ist unsere Pflicht als EU-Mitglied, eine europäische Vorgabe in nationales Recht umzusetzen. Angesichts des in Brüssel eingeleiteten Verfahrens ist unsere Zeit dafür begrenzt. Deshalb sollten wir uns jetzt nicht öffentlich das Leben schwer machen, sondern zügig eine Lösung erarbeiten. Aber natürlich müssen sich dabei die Bundesregierung und auch die zuständige Ministerin gegenüber der EU rechtstreu verhalten.
Wenn der CDU-Generalsekretär die FDP-Justizministerin zur Rechtstreue mahnt – das nennen Sie dann eine gutbürgerliche Koalition?
Am Ende des Tages ist das Entscheidende, dass eine Regierung das Land gut führt. Die Zustimmungswerte zur Kanzlerin sind einzigartig für einen Regierungschef in Europa. Die Zustimmung zur Regierung ist ordentlich, die zur Koalition könnte besser sein. Die Union behauptet sich in einem sich erheblich verändernden Umfeld mit weitem Abstand auf Platz Eins – das ist alles andere als selbstverständlich in einer Zeit, in der Newcomer mal eben auf Platz Drei geschossen werden!
Nur den kleinen Koalitionspartner FDP bringt dieser Erfolgskurs irgendwie an den Rand der Existenz.
Es wäre falsch, die FDP vorschnell abzuschreiben. Die Situation ist für die Freien Demokraten natürlich schwierig. Ich denke aber, die FDP reagiert richtig, wenn sie sich mit ihrem Grundsatzprogramm jetzt breiter aufstellen will. Eine Partei darf sich nicht auf wenige Einzelthemen reduzieren lassen. Die FDP sagt selber, dass es dauern wird, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dabei bin ich sicher, dass dies gelingen kann.
Was kann die CDU tun, um dem langjährigen Wunschpartner zu helfen?
Jede Partei muss ihren Kurs selbst festlegen. Wir stehen zu einem fairen Miteinander mit der FDP. Ansonsten sollten alle die Nerven behalten, gut zusammenarbeiten und das Land gemeinsam nach vorn bringen.
Aber Sie können sich doch abzählen, dass es nach 2013 für Schwarz-Gelb nicht mehr reichen wird.
Vor einem halben Jahr haben alle geschrieben, wir könnten uns den Wahlkampf sparen, weil die nächste Regierung sowieso Rot-Grün sein wird. Davon redet heute keiner mehr. Vieles ist in Bewegung – ich wäre da mit Vorhersagen vorsichtig.
Und wenn diese Bewegung die FDP in NRW dann Richtung Ampel treibt?
Die FDP hat aus guten Gründen die Ampeldiskussion schnell für beendet erklärt.
Welche guten Gründe hat die FDP denn Ihrer Ansicht nach?
Die Wählerinnen und Wähler der FDP wollen eine bürgerliche Politik. Es würde auch wenig überzeugend daherkommen, wenn man erst rot-grüner Verschuldungspolitik den Kampf ansagt, um dann doch gemeinsame Sache zu machen.
Die Union steht ohne Partner da
NRW zeigt jetzt schon, was der Union 2013 droht: Sie steht ohne Partner da. Glauben Sie im Ernst, dass Ihre Anhänger eine große Koalition wählen wollen?
Man macht sein Kreuz bei Personen und Parteien. Die politische Landschaft ist in Bewegung. Umso mehr verlangen stabile Verhältnisse in Deutschland nach einer starken CDU. Auch die in der ganzen Welt anerkannte Regierungschefin Angela Merkel gibt's nur mit der CDU. Sie rackert mit großem Erfolg für Deutschland. Ich mache mir jetzt keine Gedanken über Koalitionsoptionen, sondern darüber, wie wir weiter erfolgreich arbeiten können.
Was kann die CDU von der Piratenpartei lernen?
Für mich ist ganz klar: Man muss sie ernst nehmen. Auch wenn noch nicht zu erkennen ist, was daran Eintagsfliege ist und was Bestand haben wird.
Der CDU-General will nicht in den Anti-Piraten-Kampf ziehen?
Wir müssen die Digitalisierung selbst gestalten, nicht Parteien bekämpfen. Wir müssen der Download-Generation vermitteln, warum das geistige Eigentum ein Grundpfeiler unserer Kultur und Wirtschaft ist. Wir müssen aus neuen Formen digitaler Bürgerbeteiligung lernen. Zugleich bin ich davon überzeugt, dass neue Verfahren zur Meinungsbildung kein inhaltliches Programm ersetzen.
Der Jung-Christdemokrat Gröhe hat sich mit jungen Grünen in der Pizza-Connection getroffen. Würden Sie heute mit Piraten einen Pizzadienst teilen?
Als wir uns damals beim Italiener getroffen haben, wollten wir genauer hinschauen, einander zuhören und Vorurteile abbauen. Wir sollten auch die Piraten nicht als Spukgestalten mit Laptop und Augenklappe abtun. Aber ich hab' damals schon gesagt: Mein Lieblingsprojekt ist, aus Grünen Schwarze zu machen. Das geht nur, wenn wir unsere Kompetenz in deren Themenbereichen verstärken, ob damals in der Ökologie oder heute im Internet.
Zur Person:
Hermann Gröhe ist von klein auf bei der CDU. Schon als Schüler trat er der Jungen Union bei, mit 16 war er Parteimitglied. Gröhe, Jahrgang 1961, stammt aus Niederrhein. In Köln hat er Rechtswissenschaften studiert. Nach dem Referendariat ging Gröhe schnurstracks in die Politik. Seit 1994 sitzt er im Bundestag. Schon zuvor war er fünf Jahre lang als Bundesvorsitzender der Jungen Union aktiv. Im Bundestag war er unter anderem Fraktionsjustiziar. Sein Wahlkreis ist Neuss I.
Im Oktober 2009 wurde Gröhe zum Generalsekretär der CDU bestimmt. Zuvor war er ein Jahr lang Staatsminister im Bundeskanzleramt. Als oberster Parteimanager hat er nun die Aufgabe, den Bundestagswahlkampf für 2013 vorzubereiten.