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Donald Trump zeichnet ein Idealbild von den USA: Hoch die Gläser!
© Win Mcnamee/Pool Getty Images/AP/dpa

Trumps "State of the Union": Die Kunst des Spaltens

In seiner ersten Rede zur Lage der Nation streckt US-Präsident Donald Trump eine Hand zum Kompromiss aus - die andere hat er zur Faust geballt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Worte sind Schall und Rauch. Wer Donald Trumps Absichten verstehen will, sollte die Augen schließen und dem Klang seiner Stimme lauschen. Ist sie unnatürlich weich wie letzte Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos, wo er zum Investieren in den USA aufrief, will er seine Gegner umwerben. Ist sie hart wie bei seinen Wahlkampfauftritten in der amerikanischen Provinz, ist er auf Streit aus. Letzteres entspricht mehr seiner Natur.

Er beginnt mit weicher Stimme

Bei seiner ersten Rede zur Lage der Nation in der Nacht zu Mittwoch war die Tonlage künstlich weich, wenn auch nicht ganz so kreideweich wie in Davos. Metallisch hart wie bei den Rallies vor Hard-Core-Anhängern war der Ton zu Beginn jedenfalls nicht.

Welche Strategie würde Trump einschlagen? Das war seit Tagen die Frage. Der Auftritt war einerseits seine erste Rede zur Lage der Nation ein Jahr nach der Amtseinführung. Im Herbst steht jedoch bereits die nächste Wahl an, die Kongresswahl alle zwei Jahre. Wahljahre sind keine gute Zeit für überparteiliche Kompromisse. Würde Trump also die Demokraten mit Forderungen unter Druck setzen? Oder sich als Präsident anbieten, der der Konsens sucht?

Trump versuchte sich an einer widersprüchlichen Botschaft. Er wollte so klingen, als gehe er auf seine Kritiker zu, ohne freilich auch nur einen Spalt Boden im innenpolitischen Kampf preiszugeben. Er hatte sozusagen die eine Hand zur Einigung ausgestreckt und gleichzeitig die andere zur Faust geballt.

Standing Ovations der Republikaner, versteinerte Demokraten

Die Kunst, mit oberflächlich werbenden Worten zu spalten, fand ihre Entsprechung im Verhalten der unmittelbaren Zuhörer im Kongressgebäude: die Abgeordneten und Senatoren. Die Republikaner sprangen alle paar Minuten von ihren Sitzen zu "Standing Ovations". Die Demokraten blieben die meiste Zeit versteinert sitzen. Nur wenn Trump unstrittige Werte beschwor oder seine Sympathie für Menschen ausdrückte, die auf den ersten Anschein die amerikanischen Ideale leben, spendete die Opposition pflichtschuldig Beifall.

Menschen auftreten lassen mit ihren persönlichen Geschichten, die bei jedem unvoreingenommenen Zuhörer Mitgefühl oder Bewunderung auslösen: Das gehört zu den Wirkungsmechanismen, die Politiker in den USA beherrschen und Politiker in Deutschland sträflich vernachlässigen. Auch Trump bediente sich dieses emotionalen Kunstgriffs und hatte die Loge der First Lady mit Ehrengästen gefüllt: der Teenager, der die Gräber Gefallener mit Flaggen schmückt; der Feuerwehrmann, der Menschen in Kalifornien aus Waldbränden rettet; der Soldat, der dem Kameraden nach einer Explosion unter Vernachlässigung der Gefahr für das eigene Leben das Überleben sichert. Der Flüchtling aus Nordkorea, der nach Folter auf Krücken die Freiheit sucht.

Ökonomische Erfolgsbilanz

Eine Stunde, 20 Minuten betätigte sich Trump als Geschichtenerzähler und Laudator der eigenen Regierungsleistung. Und dieser Part gelang ihn gar nicht schlecht. Er beschwor ein harmonisches Amerika, wo einer für den anderen eintritt und auch die Politik sich vom Gedanken der Solidarität leiten lässt. Die Steuerreform kommt allen zugute. Die Wirtschaft boomt. Die Arbeitslosenrate unter Latino-Einwanderern ist auf dem niedrigsten Stand der US-Geschichte.

Zum Großteil stimmten die Fakten, mitunter überschritt Trump die Grenze zur Flunkerei. Warum behauptet er, zum Beispiel, erst jetzt würden wieder Autofabriken in den USA gebaut, in den Obama-Jahren habe man solche Bilder nicht gesehen? VW hatte unter Obama die Produktion in Tennessee begonnen, Nissan in Mississippi.

Kein Wort über die selbst geschaffenen Konflikte

Die selbst geschaffenen Kontroversen kamen nicht vor. Kein Wort vom Kampf um einen regulären Haushalt. Kein Wort von der "Russland-Affäre" und den Ermittlungen gegen sein Wahlkampfteam.

Zudem wollte Trump auf die Passagen, die seine Anhänger begeistern, nicht verzichten, auch wenn sie alles oberflächliche Werben um Kompromisse mit den Demokraten zunichte machen. Er kritisierte Sportler, die bei der Hymne knien. Er stellte Bedingungen für eine "faire" Reform des Einwanderungsrechts, die für Demokraten kaum annehmbar sind. Und: Das Gefangenenlager für Terrorverdächtige in Guantanamo bleibt. Da war seine Stimme nicht mehr weich, sondern auftrumpfend.

Nicht nur Latinos, auch Amerikaner sind "Dreamer"

Nun klang es fast so, als wolle er sich über den moralischen Antrieb der Progressiven lustig machen. Sie streben eine Legalisierung der so genannten "Dreamer" an: Latinos, die als Kinder illegal in die USA kamen, aber hier aufgewachsen sind, hier ihre Zukunft sehen und den amerikanischen Traum leben wollen. Junge Amerikaner seien auch "Dreamer", insistierte Trump, und verfolgten ihren eigenen amerikanischen Traum.

Nach dieser Rede stehen die USA erst recht vor einem Jahr der politischen Konfrontation und gegenseitigen Blockade.

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