zum Hauptinhalt
Der Berliner AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann im Februar 2018 auf der von Russland annektierten Krim.
© Sergei Malgavko/ imago / ITAR-TASS

Die Russland-Reisen der AfD: „Die Krim ist jetzt die russische Krim“

In kein anderes Land fahren Abgeordnete der AfD so oft wie nach Russland und in die von Moskau kontrollierten Gebiete der Ukraine. Eine Dokumentation.

Wenn an diesem Donnerstag in Jalta auf der Krim eine Wirtschaftskonferenz beginnt, werden auch Politiker der AfD wieder dabei sein. Bei dem Termin geht es nur am Rande um Handelsfragen. Allein durch ihre Anwesenheit billigen die Teilnehmer die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. Abgeordnete der AfD reisten 2018 nach Tagesspiegel-Recherchen mindestens zwölf Mal nach Russland und in die von Moskau kontrollierten Gebiete in der Ukraine. Die meisten dieser Besuche befördern in erster Linie die Agenda des Kremls.

Berlin, im März 2018. Im Bundestag ruft Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble Tagesordnungspunkt 19 auf: Die AfD-Fraktion fordert in einem Antrag, sofort Grenzkontrollen einzuführen und mit der „Zurückweisung bei unberechtigtem Grenzübertritt“ zu beginnen. Zwar ist klar, dass die anderen Fraktionen den Antrag ablehnen werden, aber die AfD will es jetzt wissen: Sie beantragt eine namentliche Abstimmung.

Ausgerechnet in der Fraktion, die anfangs Wert auf eine vollständige Anwesenheit im Plenum legt, bleiben mehrere Plätze leer, als es um das wichtigste Thema der Partei geht. Am Ende unterstützen nur 81 AfD-Abgeordnete den Antrag. Während die Parlamentarier in Berlin ihre Stimme abgeben, sitzen mehrere Fraktionsmitglieder bereits in einer Aeroflot-Maschine Richtung Moskau.

Von Russland bestellte Wahlbeobachter

Zwei Tage nach der Abstimmung wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Allerdings ist von vornherein klar, dass Wladimir Putin im Amt bestätigt werden wird. Neun AfD-Bundestagsabgeordnete sind als Beobachter dabei. Allerdings gehört nur einer von ihnen der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa an. Die anderen sind auf russische Einladung gekommen. „Wir machen uns ein Bild davon, dass alles fair und demokratisch abläuft und sind vor Ort“, schreibt der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier auf Twitter.

Mit der eigenen Wahlbeobachtermission, deren Teilnehmer aus mehreren europäischen Ländern kommen, will die russische Führung ein Gegengewicht zu den kritischen Berichten der offiziellen Beobachter schaffen. Organisiert wurde der Besuch von Leonid Sluzki. Der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten gehört den rechtsextremen Liberaldemokraten an. Für die AfD sind neben Frohnmaier die Abgeordneten Dietmar Friedhoff, Stefan Keuter, Steffen Kotré, Robby Schlund sowie die beiden Russlanddeutschen Anton Friesen und Waldemar Herdt dabei. Ulrich Oehme reist sogar als „Wahlbeobachter“ auf die von Russland annektierte Krim, obwohl die Abstimmung dort international nicht anerkannt wird.

Nach der Wahl sagt Kotré dem russischen Staatsmedium Sputnik: „Wie wir gesehen haben, gab es keine Unregelmäßigkeiten.“ Zugleich erklärt er das deutsche Wahlsystem für fehleranfällig: „Man kann den Wahlzettel, wenn man Wahlhelfer ist, auf einen anderen Haufen legen, und dann wird er anders gezählt. Das geht relativ leicht, und in Ihrem System geht das nicht.“ Insgesamt sei bei der Abstimmung in Russland alles „transparent“ abgelaufen. Auch Friesen berichtet, er habe „keine Unregelmäßigkeiten festgestellt“.

„Die Krim ist jetzt die russische Krim“

Im Februar 2018 reisen acht AfD-Landtagsabgeordnete, darunter Hugh Bronson, Gunnar Lindemann und Harald Laatsch aus Berlin, auf die Krim. Die Rede ist von einem „privaten Besuch“. Die Reise sei als Signal an die Wähler gedacht, die auf eine Deeskalation im Verhältnis zu Russland hoffen, erklären die Parlamentarier.

Schon mit der Anreise macht sich die Gruppe strafbar. Denn wer über Russland und damit an den ukrainischen Grenzkontrollen vorbei einreist, begeht in der Ukraine eine Straftat. Das Auswärtige Amt rät auch deshalb dringend von Reisen auf die Krim ab. „Man wird doch wohl noch reisen dürfen“, erklärt Roger Beckamp, AfD-Landtagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Teilnehmer der Reise kritisieren in einem Interview die Sanktionen, die die EU nach der Annexion der Krim gegen Russland verhängte.

Zwei Monate später reisen die Bundestagsabgeordneten Frohnmaier, Herdt, Keuter, Oehme und Schlund zu einem von Russland organisierten Wirtschaftsforum auf die Halbinsel. Mit dabei sind Lindemann und zwei Vertreter der Vereinigung „Russlanddeutsche für die AfD“. Die in Deutschland wenig bekannten Politiker werden auf der Krim offenbar fast wie Staatsgäste behandelt, inklusive Unterbringung in einem Luxus-Resort.

Der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier bei einer Pressekonferenz in Moskau.
Der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier bei einer Pressekonferenz in Moskau.
© Anton Novoderezhkin/imago images / ITAR-TASS

Frohnmaier, der heute dem Organisationskomitee des Forums angehört, erklärt im Gespräch mit dem Staatssender RT Deutsch die Annexion zum Normalzustand: „Es ist nun mal so, dass die Krim jetzt die russische Krim ist.“ Daran könnten auch die Kritiker nichts ändern. „Die Krim kommt nicht mehr zurück, und ich denke, das muss man jetzt einfach auch akzeptieren.“

In dem Interview wird Frohnmaier gefragt, ob er nach der Reise negative Folgen in Deutschland befürchte. Der AfD-Abgeordnete sagt, er sehe dem gelassen entgegen. „Mir geht es hier wirklich darum, ein Zeichen zu setzen, und in Deutschland eine Debatte weiter anzuschieben.“ Eine solche Debatte wäre im Interesse des Kremls, denn falls Deutschland die Annexion der Krim hinnähme, könnten die Sanktionen fallen. Die AfD-Abgeordneten setzen sich auch in Deutschland lautstark für ein Ende der Russland-Sanktionen ein.

Strategische Kontakte

Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland und die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch fahren im Januar 2018 nach Moskau. Dort treffen sie Sluzki und zwei weitere russische Politiker zum „informellen Gedankenaustausch“. Dieser Austausch hätte in Berlin gar nicht erst stattfinden können. Sluzki hat seit März 2014 Einreiseverbot in der EU, weil er „den Einsatz der russischen Armee in der Ukraine und die Annexion der Krim aktiv unterstützte“. Die Begegnung setzt die vor Jahren begonnenen strategischen Kontakte zwischen der AfD und Russland fort.

Der Abgeordnete Schlund fährt im Mai 2018 zu einem Wirtschaftsforum nach St. Petersburg. Schlund, ein Orthopäde aus Gera, pflegt seit Jahren eine besondere Liebe zu Russland und hat in seiner Heimatstadt einen Kosakenverein gegründet, dessen „Ataman“ (Oberhaupt) er wurde. Bei einer AfD-Veranstaltung in Thüringen posierte er mit einer Fahne der Separatisten aus der Ostukraine. Die Beziehungen zu Russland kann Schlund auch im Bundestag pflegen: Er ist Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe.

Manche Reisen dienen nebenbei der Vernetzung mit Rechtspopulisten aus anderen Ländern. Am Rande einer Konferenz in Moskau über die „Entwicklung des Parlamentarismus“ treffen sich die AfD-Abgeordneten Keuter und Petr Bystron beispielsweise mit Vertretern der „Alternative für Schweden“. Die beiden Deutschen sprechen auch mit dem Duma-Präsidenten Wjatscheslaw Wolodin. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass der frühere Vize-Chef von Putins Präsidialverwaltung Hinterbänkler aus dem Ausland trifft. Über das Gespräch berichtet Keuter später: „Er bewundert die Erfolge der AfD!“

Im Juli macht sich auch der Parteichef Jörg Meuthen auf den Weg nach Russland. Offizieller Anlass ist die Jahrestagung der russischen Ingenieursvereinigung in Uljanowsk, mehr als 700 Kilometer von Moskau entfernt. Die Einladung, dort eine Rede zu halten, sei eine „große Ehre“ für ihn, betont Meuthen.

„Gemeinsame Aktion mit Nord Stream“

Im September 2018 trifft Kotré in Moskau den Vorsitzenden des Energieausschusses der Duma, Pawel Sawalny. Sie sprechen über die „Unsinnigkeit der Sanktionen, die Sicherung der Energieversorgung und die Sicherheitspartnerschaft mit Russland“, wie Kotré berichtet. Die russische Position unterscheide sich „nicht wesentlich“ von der Position der AfD. In einem Interview mit Sputnik für das deutsche Publikum macht sich Kotré für Nord Stream 2 stark: „Wir von der AfD sagen ganz klar, dass wir das Engagement von Gazprom begrüßen und alles daransetzen, dass das Projekt zum erfolgreichen Ende gebracht wird.“ Aus Sicht des Kremls ist die Erdgas-Pipeline ein strategisch wichtiges Projekt.

Wenige Wochen später kommt Sawalny mit anderen Duma-Abgeordneten nach Deutschland. Schlund, der das Treffen organisiert, berichtet vorab, neben einem Besuch in einer Brauerei in Thüringen und Gesprächen im Bundestag sei auch „eine gemeinsame Aktion mit Nord Stream“ geplant. Deutsche und Russen seien sich einig gewesen, „dass ein so wichtiges Projekt wie Nord Stream 2 umgesetzt werden sollte“, sagt einer der russischen Teilnehmer später.

Vertreter von Gazprom begleiten den Besuch in Deutschland offenbar ungewöhnlich eng. Deutsche und Russen gedenken am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park der gefallenen Soldaten der Roten Armee. Am Ende liegen drei Kränze am Mahnmal: einer von Deutschland, einer von Russland – und einer von Gazprom Germania.

Ein AfD-Mann und ein „echter Kriegsheld“

Im Mai 2018 reist erneut ein AfD-Politiker in ein Gebiet, das seit Russlands Intervention in der Ukraine nicht mehr unter Kontrolle Kiews ist. Die von Moskau unterstützten und weitgehend kontrollierten Separatisten in der „Volksrepublik Donezk“ (DNR) feiern den „Tag der Republik“. Um der Veranstaltung einen Hauch von Legitimität zu verleihen, ist eine zwölfköpfige Delegation aus mehreren Ländern angereist.

Aus Deutschland sind der Berliner AfD-Abgeordnete Lindemann, der ultrarechte Publizist Manuel Ochsenreiter und Andreas Maurer, Linken-Kommunalpolitiker aus Quakenbrück, dabei. Lindemann findet lobende Worte für das von Separatisten regierte Donezk: „Ich bin zum ersten Mal hier, und wissen Sie was, Donezk sieht wie eine normale europäische Stadt aus.“ Auch die Einreise in die Separatistengebiete über Russland ist nach ukrainischem Recht illegal.

Dennoch fährt Lindemann ein halbes Jahr später noch einmal nach Donezk, als dort eine international nicht anerkannte Wahl stattfindet. Die Reise habe er selbst bezahlt. „Ich mache privat Urlaub in Russland und habe dabei meine Freunde in Donezk besucht.“ Ganz anders klingt der Berliner AfD-Abgeordnete in Interviews mit russischen Medien. Dort wird er als „Wahlbeobachter“ vorgestellt.

Auf die Frage der „Komsomolskaja Prawda“, mit welchem Ziel er in den Donbass gefahren sei, antwortet Lindemann: „Ich kam auf Einladung der Wahlkommission der DNR: In der Republik ist man bereit, der ganzen Welt zu zeigen, dass die Wahlen offen und demokratisch ablaufen.“ Er habe sechs Wahllokale in Donezk und eines außerhalb der Stadt besucht und „keinerlei Verstöße“ feststellen können. Die Urnen seien durchsichtig. Außerdem findet er die Stimmung am Wahltag besser als in Deutschland: „Bei uns gehen viele zur Wahl wie zu einem Begräbnis. Aber hier – wie zu einem Fest, mit Hoffnung. Mit der Hoffnung auf ein Ende des Krieges.“

Der Separatistenführer Alexander Sachartschenko, der bei einer Explosion getötet wurde, war für den Berliner Abgeordneten „ein echter Kriegsheld“. Drei Tage nach der international nicht anerkannten Abstimmung gratuliert Lindemann dem neuen Machthaber Denis Puschilin „zur gewonnenen Präsidentenwahl“. In russischen Medien sagt er, die Wahl habe „allen europäischen Standards entsprochen“.

Lindemann, der mit dem Thüringer Landtagsabgeordneten Olaf Kießling sowie einem Vertreter der „Russlanddeutschen in der AfD“ unterwegs ist, bringt außerdem Waisenkindern in Donezk 20 Kilo Süßigkeiten mit. Eine russische Zeitung schreibt: „Mitglieder der Partei ,Alternative für Deutschland’ durchbrechen die internationale Blockade der DNR.“

In einer früheren Version dieses Textes stand, der AfD-Bundestagsabgeordnete Anton Friesen sei im Mai 2018 zu einem Wirtschaftsforum nach St. Petersburg gefahren. Friesens Büro teilte mit, er habe nicht an dem Wirtschaftsforum teilgenommen.

Zur Startseite