Schlacht um Aleppo: Die Kriegsverbrechen in Syrien zahlen sich aus
Ein Zivilisationsbruch wie Guernica, Srebrenica, Ruanda: Die Schlacht um Aleppo macht deutlich, dass Diktatoren ungeschoren davonkommen. Despoten in aller Welt dürften sich geradezu ermuntert fühlen. Ein Kommentar.
Baschar al Assad hat Wort gehalten. Die schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Immer wieder drohte der syrische Machthaber seinen Gegnern. Er werde sie als Terroristen gnadenlos bekämpfen. Mit allen Mitteln. Bis zu ihrem Untergang. Die Einwohner Aleppos wissen nun, was das heißt. Ihre Stadt wurde als Symbol des Widerstands über Monate von Kampfjets sturmreif geschossen. Tausende starben, die Heimat Abertausender liegt in Trümmern. Der Ostteil Aleppos gleicht einer Geisterstadt mit einem großen Friedhof.
Wie in finstersten Zeiten haben die Truppen des Regimes und ihre Verbündeten gewütet. Sage jetzt keiner, er habe davon nichts gewusst. Diese Schutzbehauptung ist allzu billig. Denn die Tragödie spielt sich vor unseren Augen ab. In Echtzeit. Und was tun wir? Nehmen das Leid bestenfalls schulterzuckend zur Kenntnis. Lassen jene gewähren, die Grausames anrichten. Aleppo steht somit in einer Reihe mit Guernica, Srebrenica und Ruanda: Ein monströser Bruch mit allen zivilisatorischen Errungenschaften.
Gewaltherrscher in aller Welt dürften Aleppo als Ermunterung verstehen. Die Schlacht um die nordsyrische Stadt macht auf fatale Art und Weise deutlich, dass Diktatoren und Despoten ungeschoren davonkommen. Anders ausgedrückt: Kriegsverbrechen sind nicht nur möglich und bleiben folgenlos, sondern sie zahlen sich sogar aus. Assads Schergen haben in Aleppo – im Kampf gegen das eigene Volk – nichts ausgelassen. Fass, Streu- und Brandbomben wurden abgeworfen, Krankenhäuser ebenso wie Schulen immer wieder gezielt attackiert. Kinder starben durch Giftgas. Hunger war ebenfalls eine willkommene, weil zermürbende Waffe. Auch deshalb hat das Regime keinerlei Hilfe von außen zugelassen. Die Menschen sollten gebrochen werden.
Keine Frage. Im Osten Aleppos kämpften auch islamistische Terroristen. Schätzungen zufolge waren es zuletzt bis zu 1000 Männer. Sie bildeten das militärische Rückgrat der vielleicht insgesamt 8000 bis 9000 Aufständischen, die seit 2012 dem syrischen Diktator die Stirn boten. Doch die große Mehrheit, das waren eben Zivilisten. Frauen, Kinder und Männer, die zwischen den Fronten zu überleben versuchten. Vielen ist das nicht gelungen. Weil die syrische und russische Führung es zumindest billigend in Kauf nahmen, dass Unschuldige sterben. Durch Gewalt. Das ist mit nichts zu rechtfertigen.
Nur eine diplomatische Lösung? Naives Wunschdenken
Doch für Moskau und Damaskus zählt anderes. Beide Regierungen haben der schockierten Welt vor Augen geführt, was diese nicht wahrhaben wollte. Das Schicksal Aleppos wurde auf dem Schlachtfeld besiegelt. Nicht an einem hübsch gedeckten Tisch im fernen Genf oder Wien. Das Mantra, ein Konflikt wie der in Syrien sei militärisch nicht zu lösen, ist im Fall von Aleppo brachial als naives Wunschdenken entlarvt worden. Wladimir Putin setzt vielmehr auf Soldaten, Marschflugkörper und Bombenhagel. So schafft der Kremlchef Fakten. Das versteht er unter Machtpolitik.
Assad ist ihm dabei Mittel zum Zweck. Das Ziel lautet, Russlands Einflussgebiet zu vergrößern. Und mit Amerika auf Augenhöhe zu sein. Aufs Verhandeln haben die Verantwortlichen in Moskau und Damaskus ohnehin nie ernsthaft gesetzt. Während geredet wurde, gingen die Kämpfe nahezu unvermindert weiter. Atempause? Waffenruhe? Hilfe? Kompromissbereitschaft? Fehlanzeige. Politisch bewegte sich so gut wie gar nichts. Die Diplomatie hatte dieser zynisch anmutenden Kaltschnäuzigkeit nichts entgegenzusetzen – auch das ist eine bittere Lehre aus Aleppo.
Ist das nun die große Wende in Syrien? Triumphiert Assad? Hat er seine Feinde endgültig besiegt? Davon ist der Herrscher ebenso weit entfernt wie das Land vom Frieden. Der 51-Jährige braucht Russland und den Iran zur Herrschaftssicherung. Sie sind seine Stütze. Aus eigener Kraft wird er keines der in den vergangenen Monaten zurückeroberten Gebiete halten, geschweige denn politisch überleben können. Das alawitische Regime hat sich eine neue Generation von Gegner selbst geschaffen. Sunniten gehörten schon von Anfang an zu jenen, die gegen den Herrscher in Damaskus aufbegehrten. Wie die in Aleppo.
Und die Zerstörung ihrer Heimat wird diese Muslime in die Hände radikaler Islamisten treiben. Nusra-Front, der IS und die vielen anderen Dschihadisten-Gruppen – sie sind die eigentlichen Profiteure der syrischen Tragödie. Der Konflikt tritt womöglich in eine neue Phase. Dem geschundenen Land droht ein langanhaltender Guerilla-Krieg. Mit Terror, der zum Alltag gehört. Über die Grenzen Syriens hinaus. Erschreckende Aussichten für Europa. Was in Aleppo passiert ist, wird uns schon bald einholen.
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