Kinderrechte: Die Kinderrecht-Blockade
Wie sehr es mit der Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland noch hapert, zeigt sich beim Thema Gewalt gegen Kinder. Eine Kolumne.
Arrangierte Ehen waren fast überall auf der Welt Usus, auch in Europa. In ländlichen Gegenden, wo das elterliche Interesse den Äckern des Nachbarbauern galt, die an die eignen grenzten, hieß es etwa: Nimmst die Vroni, dann passt des scho. Ähnlich sah das Kalkül feudaler Dynastien aus, auch wenn die Dimension der fraglichen Ländereien größer war. Kontrolle, Besitz, Zwang und Gewalt waren die Parameter der Akteure.
In demokratischen Rechtsstaaten sind derlei Arrangements oder Zwangsheiraten rechtswidrig. Die Ehe ist hier eine freiwillige Verbindung. Umso erstaunlicher, dass der Bundesgerichtshof jetzt Zweifel am „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ äußert, das 2017 in Kraft trat.
Haben Kinderehen in Deutschland Geltung?
Der BGH will es vom Verfassungsgericht prüfen lassen. Haben Ehen, die nach ausländischem Recht zwischen Partnern unter 16 Jahren geschlossen wurden, in Deutschland Geltung? So lautete die Frage. Anlass dafür bot ein junges Paar aus Syrien. Als die Braut 14 Jahre alt war, 2015, wurde sie nach religiösem Ritus mit einem Volljährigen verheiratet. Beide suchten Asyl in Deutschland, wo das Amtsgericht 2016 eine Vormundschaft des Jugendamts für das Mädchen anordnete. Dagegen ging der Ehemann vor.
Maßstab soll das Kindeswohl sein
In die Bresche sprang für Leute wie ihn ausgerechnet das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin: „Die Nichtigkeit von Ehen entspricht nicht dem Kindeswohl“, erklärte das vom Bundestag mit mehreren Millionen im Jahr finanzierte Institut. Vielmehr gelte „der Kindeswohlmaßstab als Leitprinzip bei Ehen Minderjähriger“, also ob eine solche Ehe „im besten Interesse des Kindes“ sei. Daran scheint sich der BGH nun orientiert zu haben. Doch welches Kind, welcher Teenager würde wohl wagen, vor einer Behörde wahrhaftige Aussagen über eine von der Familie aufgedrängte Ehe zu machen?
Das DIMR bleibt beim Thema Gewalt gegen Kinder untätig
2018 war in mancher Hinsicht ein positives Jahr für das Kindeswohl. Das Gute-Kita-Gesetz von Familienministerin Franziska Giffey ist auf dem Weg und immer mehr Stimmen rufen nach der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Eben erst beschloss das Kabinett, die zuvor befristete Stelle des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs auf Dauer einzurichten. Immer differenzierter widmen sich Dokumentationen den Menschenrechten von Minderjährigen. Umso verblüffender ist die abstinente Rolle des DIMR beim Thema Gewalt gegen Kinder. Davor scheint das Institut, mit seinen 60 Mitarbeitenden zuständig für Politikberatung zur Umsetzung von internationalem in nationales Recht, nachgerade zurückzuscheuen – obwohl es eigens eine Monitoringstelle zur UN-Kinderrechtskonvention unterhält.
Bis zu 90 Prozent der Misshandlungen geschehen im privaten Umfeld
„Die gefährlichsten Menschen für ein Kind sind die eigenen Eltern“, stellt der Rechtsmediziner Michael Tsokos fest, Professor an der Charité und aktiv im Deutschen Kinderverein in Essen, der besonders furchtlos darauf hinweist, dass Misshandlungen und Missbrauch zu 80 bis 90 Prozent im privaten Umfeld vorkommen. Vom Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung ist beim DIMR, wenn überhaupt, nur pauschal die Rede. Hingegen erklärt der DIMR-Leitfaden „Compasito“ für die pädagogische Arbeit, Verletzungen von Kindern durch „Stöße, Boxhiebe, Schütteln, Tritte, Schläge“ könnten „beispielsweise auf übermäßige Disziplinierung oder auf altersunangemessene Körperstrafen zurückzuführen sein“.
Allerdings darf es nach dem Gesetz weder „physische Disziplinierung“ noch „Körperstrafen“ jeder Art geben. Beides ist nach Paragraf 1631 Absatz 2 des BGB untersagt, wo eindeutig steht: „Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung.“ Dennoch sieht es auch in der frisch vom DIMR überarbeiteten Handreichung „Kompass“ wenig besser aus. Anfang 2019 wird sie gedruckt, online ist sie schon zu lesen. Das Buch soll der Menschenrechtsbildung für Jugendliche und junge Erwachsene dienen. Es hat 476 Seiten. Ganze vier davon behandeln Kinderrechte, und auf diesen vier Seiten taucht das Thema Gewalt in Familien nicht auf.
2019 überprüft die UN die Umsetzung der Kinderrechtskonvention
Viele Kapitel zu Diskriminierung, Rassismus und Gerechtigkeit belegen jedoch, wie engagiert das DIMR argumentieren kann – sofern sie dort wollen. Bei Kinderrechten wollen sie offenbar nicht. 2019 steht, wie alle fünf Jahre, ein Staatenberichtsverfahren an, mit dem die Vereinten Nationen überprüfen, ob ihre Kinderrechtskonvention in nationales Recht umgesetzt wird. Der falsch kalibrierte Kompass des Instituts dürfte negativ auffallen, das – auf dem Papier – unter anderem für exakt diese Aufgabe da sein soll.
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