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Von Sozialdemokraten neuerdings misstrauisch beäugt: Angela Merkel und Chinas Präsident Xi Jinping -hier 2018 in Peking.
© REUTERS

SPD kritisiert Merkels Außenpolitik: „Die Kanzlerin sollte sich von ihrem überholten China-Bild verabschieden“

Die SPD-Fraktion hat mit einem Positionspapier ihr Verhältnis zu China neu sortiert. Zentraler Punkt: Die von der Großmacht ausgehenden Gefahren. Das bringt sie in Konflikt mit der Kanzlerin.

Gerhard Schröders rot-grüne Regierung war gerade zwei Jahre abgewählt, als der damals wichtigste Außenpolitiker der deutschen Sozialdemokraten die Chinapolitik von Kanzlerin Angela Merkel kritisierte – zur Halbzeit der großen Koalition ein ziemlicher Affront.

Im Herbst 2007 empfing die Regierungschefin in Berlin den Dalai Lama, der von der chinesischen Führung als Erzfeind empfunden wird. Bejing reagierte scharf und sagte ein Treffen der Finanzminister beider Länder sowie hochrangige diplomatische Konsultationen ab. Daraufhin äußerte sich der sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier sehr besorgt und erklärte: „Das ist eine Entwicklung, die wir so nicht belassen dürfen.“

Steinmeier schien damit eine Tradition fortzuführen, die Schröder als Kanzler begründet hatte. Bei Besuchen in China verzichtete der damalige Chef Steinmeiers auf demonstrative Gesten zugunsten der Menschenrechte und konzentrierte sich darauf, Aufträgen für deutsche Unternehmen den Weg frei zu machen. 

Außenpolitiker der in Menschenrechtsfragen sensibleren Grünen lobten die in solchen Fragen deutlich klarere Schröder-Nachfolgerin Merkel deshalb in höchsten Tönen.

SPD-Außenpolitiker formulieren Rüffel für Merkels Chinapolitik

Fast 13 Jahre nach dem Rüffel von Steinmeier für Merkel gehen wichtige sozialdemokratische Außenpolitiker wieder auf Distanz zu Merkels Chinapolitik – doch aus ganz anderen Gründen als damals ihr Parteifreund. 

Während dem Außenminister damals die Unbotmäßigkeit Merkels gegenüber der Führung in Beijing missfiel, monieren die Sozialdemokraten heute, dass die Kanzlerin gegenüber den Machtansprüchen Chinas zu nachgiebig sei. Die Sozialdemokraten, so scheint es, haben neu nachgedacht.

„Merkels Erwartungen haben sich nicht erfüllt“

„Merkels Erwartungen, dass sich China über die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung auch politisch dem Westen annähert, haben sich leider nicht erfüllt“, sagt etwa der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, dem Tagesspiegel und fordert: „Insofern sollte sich die Bundeskanzlerin von ihrem überholten China-Bild verabschieden und sich der Realität stellen.“

In ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause verabschiedete die SPD-Fraktion am Dienstag ein Positionspapier zum Umgang mit der aufstrebenden kommunistischen Großmacht. Die Standortbestimmung kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt.

Von seiner China-Politik scheint sich die SPD zu emanzipieren: Gerhard Schröder prostet 2004 dem chinesischen Premierminister Wen Jiabao in Bejing zu.
Von seiner China-Politik scheint sich die SPD zu emanzipieren: Gerhard Schröder prostet 2004 dem chinesischen Premierminister Wen Jiabao in Bejing zu.
© DDP

Zwar ist der für Herbst geplante EU-China-Gipfel verschoben, der Deutschland als EU-Ratspräsidenten gezwungen hätte, sich um eine Bündelung der sehr unterschiedlichen Haltungen der Mitgliedstaaten zu bemühen. Und nur unter dem Druck des Gipfels, so glaubt etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, gebe es eine Chance, sich zu einigen.

Doch die Corona-Pandemie zeigt klar, dass Beijing die Krise nutzen will, um sein System als bessere Alternative angesichts der Herausforderung anzupreisen. Erinnert sei an öffentlichkeitswirksame medizinische Hilfslieferungen an andere Länder, die etwa Serbiens Präsidenten Aleksandar Vucic dazu bewegten, die EU scharf zu kritisieren und China zu lauthals preisen.

Manchmal ist China auch Partner

Das Thesenpapier analysiert, dass China heute in vielen Funktionen auftritt – und in jeder unterschiedlich zu bewerten ist. Wo es um Klimapolitik, das Atomabkommen mit Iran oder VN-Friedensmissionen geht, sei es Partner. Auf dem Feld der Wirtschaft sei es ein Wettbewerber, der auch Industriespionage betreibt oder nationalen Firmen gegenüber Konkurrenz aus dem Ausland ohne viel Rücksicht auf internationale Regeln Vorteile verschafft.

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Die heikelste Eigenschaft aber ist die des „Systemrivalen“. Die SPD-Fraktion benennt deshalb klar, dass die kommunistische Führung gegen die demokratische Ordnung arbeitet, zu der sich die SPD selbstverständlich klar bekennt. “ Am Dienstag trat das umstrittene Sicherheitsgesetz für Hongkong in Kraft. Die Führer der Demokratiebewegung fürchten um ihre Freiheit und lösten die Bewegung auf. 

Andere Beispiele für die destruktive, aggressive Politik des „Systemrivalen“ sind die Dauerdrohungen Bejings gegen Taiwan oder die Umerziehungslager für die Minderheit der Uiguren.

China als Systemrivale

Das Papier kommt zu dem Schluss: „Die Systemkonkurrenz bestimmt letztendlich das Ausmaß, wie die Partnerschaft mit China konkret ausgestaltet werden kann und beeinflusst auch die Art und Weise des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit China.“ Die stellvertretende Fraktionschefin Gabriela Heinrich sagt dazu: „Man muss klar erkennen: Der Regierungs- und Parteiapparat Chinas ist mit seiner autoritären Herrschaft Systemrivale zu unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung.“

Seit Jahren kritisieren Experten wie die des European Council on Foreign Relations oder der Autor Hans Kundnani, Deutschland bemühe sich nicht genügend um eine einheitliche Strategie der EU gegenüber China, sondern konzentriere sich aus Rücksicht auf die Interessen seiner nationalen Wirtschaft auf dem chinesischen Markt zu sehr auf eine nationale Strategie. Vor diesem Hintergrund bekennen sich die SPD-Außenpolitiker klar zu der Haltung, dass eine nationale deutsche Strategie im Umgang mit Beijing nicht ausreicht, sondern nur eine gemeinsame EU-Politik erfolgsversprechend ist.

Sorgen macht den Sozialdemokraten die zunehmende Verhärtung zwischen Bejing und Washington, zu der ihrer Meinung nach auch die Amerikaner beitragen. 

SPD: Hoffentlich kein neuer Kalter Krieg 

In einem neuen Kalten Krieg soll sich Deutschland nicht hineintreiben lassen, fordert Fraktionsvize Heinrich: „Eine neue Bipolarität zwischen den USA und China ist nicht in unserem Interesse. Stattdessen plädieren wir für einen pragmatischen und zukunftsgerichteten Zugang: Deutschland zusammen mit den EU-Partnern sollte mit China als Partner zusammenarbeiten, der aber auch Wettbewerber und in grundsätzlichen Bereichen sogar Systemrivale ist.“

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Thorsten Benner, Experte für internationale Beziehungen, lobt die neue Haltung der SPD-Fraktion – und hofft, dass sich Kanzleramt und Auswärtiges Amt an ihr orientieren werden. „Diese exzellente Blaupause für eine robuste und illusionslose Chinapolitik setzt Maßstäbe für die Arbeit der Bundesregierung“, sagt der Gründer des Thinktanks Global Public Policy Institutes (GPPI) dem Tagesspiegel.

Benner zufolge soll sich die sozialdemokratische Partei an der Haltung der eigenen Fraktion ein Beispiel nehmen: „Es sollte auch Leitplanke für den bislang oft zu unkritischen Dialog zwischen SPD und KP sein — und der Geist des China-Papiers sollte auch die Positionierung gegenüber anderen autoritären Systemen von Moskau bis Riad leiten“.

Im Präsidium der SPD ist nach dem Ausscheiden von Thorsten Schäfer-Gümbel Lars Klingbeil für Internationales und damit auch für den Dialog der Partei mit Chinas KP zuständig. Der Generalsekretär, selbst Mitglied der Fraktion, veröffentlichte am Dienstag einen eigenen Text, in dem er sich klar zu den Thesen des China-Papiers bekennt.   

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