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Nils Schmid ist Abgeordneter im Deutschen Bundestag.
© promo

Atomwaffen in Deutschland: Wir brauchen die Debatte über die nukleare Teilhabe

Deutschland braucht den Schutz der US-Atomwaffen. Über die Bedingungen aber sollten wir reden, schreibt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Ein Gastbeitrag

Vor nunmehr fast 60 Jahren, am 30. Juni 1960, hielt der spätere SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner im Bundestag eine historische Rede. Er erklärte: „Die SPD geht davon aus, dass das europäische und atlantische Vertragssystem (…) Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.“ Mit der Zustimmung der SPD zur Westbindung der Bundesrepublik steckte Wehner zugleich den bis heute gültigen Rahmen der außenpolitischen Debatten in Deutschland ab: ein „Miteinanderwirken im Rahmen des demokratischen Ganzen, wenn auch in sachlicher innenpolitischer Gegnerschaft“.

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Schrille Töne sind fehl am Platz. Die SPD verrät nicht Deutschlands Sicherheit

Die Debatte über die nukleare Teilhabe Deutschlands führt die SPD genau in diesem Rahmen, weshalb jegliche schrillen Töne, die SPD verrate wieder einmal Deutschlands Sicherheit, fehl am Platze sind. Die Westbindung war für die SPD immer der Rahmen, in dem sie ihre außenpolitischen Ziele – auch in „sachlicher Gegnerschaft“ mit der CDU - verfolgt hat: die deutsche Einheit, die Entspannungspolitik, Gerechtigkeit für die Dritte Welt, das Nein zum Irak-Krieg – und auch das schon im Godesberger Programm von 1959 genannte Ziel der „Ächtung der Massenvernichtungsmittel auf der ganzen Welt“. Und umgekehrt waren es gerade die unverbrüchliche Verankerung Deutschlands im Westen und der Verzicht auf deutsche Sonderwege, welche die großen Erfolge der Brandt'schen Ostpolitik ermöglicht haben.

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Dass die SPD Atomwaffenfreiheit – und damit auch ein Ende der nuklearen Teilhabe – für Deutschland und Europa anstrebt, sollte daher niemand überraschen. Und dass die Erneuerung des Trägersystems zum Anlass genommen wird, eine breite Diskussion über die nukleare Teilhabe in der heutigen Zeit zu führen, ist eine demokratische Selbstverständlichkeit. Drei Gedanken scheinen mir dabei besonders wichtig:

Der Tornado muss abgelöst werden. Da sollte eine Debatte über die nukleare Teilhaben doch selbstverständlich sein

1. Eine sicherheitspolitische Grundsatzfrage wie die nukleare Teilhabe sollte nicht von der Person des US-Präsidenten abhängig gemacht werden. Die amerikanische Nuklearwaffendoktrin von 2018 wird zu Recht kritisch bewertet, doch ein Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands würde die daraus entstehenden Risiken nicht vermindern.

2. Die nukleare Teilhabe muss im Zusammenhang mit den im europäischen Teil Russlands stationierten Atomwaffen gesehen werden. Wir dürfen diese Bedrohung und die nukleare Modernisierungsstrategie Russlands nicht einfach ausblenden, sonst macht sich Europa erpressbar.

3. Ein einseitiger Abzug von Atomwaffen aus Deutschland ohne Abstimmung mit den europäischen Nato-Partnern würde nicht zu einem Mehr an Sicherheit in Deutschland führen. Im Gegenteil würden in Ermangelung eines Konsens innerhalb der Nato Atomwaffen in anderen europäischen Nato-Mitgliedsstaaten weiterhin stationiert bleiben und unter Umständen in weiteren Ländern neu aufgestellt werden. Eine Verlegung von USAtombomben nach Polen würde gegen die NATO-Russland-Grundakte verstoßen und wäre deshalb alles andere als ein Beitrag zur Entspannung unseres Verhältnisses zu Russland.

Wir brauchen die nukleare Teilhabe, aber der Tornado-Nachfolger muss ein europäisches Modell sein

So wünschenswert es wäre, die Voraussetzungen für eine schlichte Beendigung der nuklearen Teilhabe sind nicht gegeben. Nun besteht zweifellos die Gefahr, dass über die Beschaffung eines neuen atomwaffenfähigen Kampfflugzeugs ein Zustand, den wir überwinden wollen, auf lange Zeit zementiert wird – und dies in einer Zeit, wo sich die USA aus internationaler Verantwortung zurückziehen und Deutschland und Frankreich mit ihren EU-Partnern um die Stärkung der europäischen Souveränität bemühen. Deshalb muss die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe daran geknüpft werden, dass die militärische und technologische Handlungsfähigkeit Europas verbessert und nicht konterkariert wird. Im Klartext: das Tornado-Nachfolgemodell muss ein europäisches Flugzeug sein. Wenn den Amerikanern die nukleare Teilhabe Deutschlands wichtig ist, werden sie dieses genauso dafür zertifizieren, wie sie es vor Jahren beim Tornado gemacht haben.

Grundlage für die deutsche Außenpolitik muss die Westbindung bleiben

Deutsche Außenpolitik war immer dann stark, wenn die SPD auf Grundlage der Westbindung vorausgedacht und wichtige Anliegen vorangetrieben hat. Solange ein atomwaffenfreies Deutschland in einem atomwaffenfreien Europa noch nicht erreichbar ist, sollte die SPD die nukleare Teilhabe dazu nutzen, die Eigenständigkeit Europas auszubauen und damit das Gewicht der europäischen Länder in Fragen der Abrüstung zu erhöhen. Nur ein souveränes Europa innerhalb der Nato wird sich die Atomwaffenfreiheit politisch erkämpfen können.

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