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Bundespräsident Steinmeier bei der Jubiläumsfeier 30 Jahre Bündnis 90 und 40 Jahre Die Grünen
© dpa/Bernd von Jutrczenka
Update

40 Jahre nach Parteigründung: „Die Grünen haben das Land verändert“

Bundespräsident Steinmeier lobt die Grünen an ihrem Geburtstag. Durch sie sei Deutschland offener und vielfältiger geworden.

Dass zum 40. Geburtstag der Grünen der Bundespräsident vorbeischauen würde, hätte Petra Kelly sich Anfang der 80er Jahre wohl kaum träumen lassen. Die Grünen-Mitbegründerin wollte Fundamentalopposition machen, der Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegung eine Stimme verleihen. „Wir sind die Anti-Parteien-Partei“, definierte sie damals die Strategie der Grünen.

Heute stellen die Grünen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten, sind in elf von 16 Landesregierungen vertreten und, wenn es nach den Wünschen der Parteiführung geht, so bald wie möglich auch wieder in der Bundesregierung.

Für manche Gründungsgrüne wäre es vermutlich ein „Alptraum“ gewesen, dass 40 Jahre später das „amtgewordene Establishment“ zur Geburtstagsparty kommt, witzelt Frank-Walter Steinmeier am Abend. Für die Jubiläumsfeier haben die Grünen einen alten Industriebau im Ostberliner Stadtteil Weißensee gewählt, vor 100 Jahren wurden hier im „Motorwerk“ Elektromotoren gebaut.

In seiner Festrede würdigt der Bundespräsident die Verdienste der Grünen: Das Land sei offener und vielfältiger, menschlicher und moderner geworden, sagt er. Vor allen Dingen aber sei die Ökologie seit 1980 aus der Politik nicht mehr wegzudenken. Steinmeiers Fazit: „Die Grünen haben das Land verändert – und das Land hat die Grünen verändert.“ Solche Worte hören die anwesenden Grünen gerne, der Bundespräsident erhält für seine Rede lautstarken Applaus.

„Ein unschätzbarer Beitrag zur deutschen Einheit“

Als die Grünen erstmals die parteipolitische Bühne betraten, war das eine Zumutung für die anderen Parteien. In den Bundestag zogen sie im März 1983 zum ersten Mal ein, drei Jahre nach Parteigründung. Nicht nur äußerlich veränderten die Grünen mit ihren Strickpullis, langen Haaren und Vollbärten das Parlament. Sie brachten auch Themen ein, die vorher kaum eine Rolle gespielt hatten – von der Ökologie bis zum Feminismus.

Aus Sicht des Bundespräsidenten haben die Grünen eine doppelte Integrationsleistung erbracht: In der Gründungsphase brachten sie unterschiedlichste Strömungen in einer Partei zusammen, von den Anti-Atomkraft-Protestlern bis zu den Friedensbewegten, die gegen die Aufrüstung auf die Straße gingen. Zehn Jahre später sei das Zusammenwachsen von Bürgerrechtsbewegung und grüner Partei „ein unschätzbarer Beitrag zu deutschen Einheit“ gewesen, lobt Steinmeier. Das Erbe der friedlichen Revolution habe auch dank der Grünen „einen festen Ort in der deutschen Parteienwelt“.

Nicht jedem Grünen dürfte diese Bedeutung damals bewusst gewesen sein. „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“, plakatierte die Partei bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990. Die West-Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde, eine Wahlperiode lang waren nur Abgeordnete von Bündnis 90 im Parlament vertreten.

Heute haben viele in der Partei einen anderen Blick auf die Parteiwurzeln im Osten. Auf der Party werden bewusst nicht nur 40 Jahre Grüne gefeiert, sondern auch der Zusammenschluss verschiedener Bürgerrechtsgruppen zu Bündnis 90 vor 30 Jahren in Potsdam.

Parteichef Robert Habeck würdigt den „politischen Ansatz“ von Bündnis 90, der anders gewesen sei als bei den West-Grünen, nämlich „aus dem Zentrum der Gesellschaft“ heraus zu denken. Die runden Tische, neue demokratische Beteiligungsformen, eine Politik des Gehörtwerdens: „Was für einen Schatz“ die Partei durch Bündnis 90 bekommen habe, schwärmt Habeck. Marianne Birthler, eine der prominentesten Bürgerrechtlerinnen von damals, bringt einen neuen Parteinamen ins Gespräch: „die Bündnisgrünen“.

Das Regieren erforderte schmerzhafte Kompromisse

Ein Einschnitt in der Grünen-Geschichte war der Regierungswechsel 1998. In der ersten rot-grünen Bundesregierung mussten die Grünen schwierige Entscheidungen treffen und schmerzhafte Kompromisse eingehen, an die auch Steinmeier erinnert. Symbolisch dafür steht der Parteitag in Bielefeld, bei dem die Grünen dem Militäreinsatz auf dem Balkan zustimmten, mit dem erstmals nach dem zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen Auslandseinsatz geschickt wurden. Der damalige Außenminister Joschka Fischer bekam damals einen Farbbeutel an den Kopf geworfen. Die Partei zerriss es beinahe, viele Austritte folgten.

Fischer ist an diesem Abend auch unter den Gästen. Bevor das offizielle Programm beginnt, sitzt er einträchtig neben Jürgen Trittin, der zu rot-grünen Zeiten Umweltminister war und als Vertreter des linken Flügels in der Partei lange Zeit Gegenpol zum Realo Fischer. Für ihn seien die Grünen immer der Versuch gewesen, die Begrenzung der sozialen Bewegungen zu überwinden, sagt Fischer. "Die konnten bis zu den Toren der Macht kommen, sie aber nicht öffnen." Das sei für ihn der Grund gewesen, zu den Grünen zu kommen. Die wirkliche Aufgabe der Politik sei es, Ideen auch umzusetzen, durch Verordnungen und Gesetze.

Hans-Christian Ströbele, der in Kreuzberg das erste Direktmandat für die Grünen errang, hat einen Rat an die jüngere Generation parat, für die stellvertretend Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ auf der Bühne steht. Wenn man einen langen Atem habe, sagt Ströbele, führe das auch zu Erfolgen: „Die Grünen sind ein Beweis dafür.“ Doch Neubauer will nicht mehr allzu lange warten: "Wir haben keine 30 oder 40 Jahre Zeit, um die Klimafrage zu lösen."

Grüne haben 95.000 Mitglieder

Die Grünen feiern sich an diesem Abend auch selbst. "Zeiten ändern sich. Wir ändern sie mit", steht über der Bühne. Gleich zu Beginn wird die aktuelle Zahl der Parteimitglieder eingeblendet, die zuletzt stark gestiegen ist, auf 95.000. Die Grünen hätten immer wieder den Mut gehabt, nicht nur die Verhältnisse, sondern auch sich selbst in Frage zu stellen, sagt Parteichefin Annalena Baerbock. Unter dem Führungsduo Baerbock und Habeck haben sich auch die Umfragewerte seit der letzten Bundestagswahl spürbar verbessert. Mit Werten um 20 Prozent haben die Grünen die SPD mittlerweile abgehängt.

Das Verhältnis zu den Sozialdemokraten ist dadurch nicht unbedingt einfacher geworden. Doch Vizekanzler Olaf Scholz hält das keineswegs davon ab, die Jubiläumsfeier zu besuchen. Schon zum 30. Geburtstag hatte SPD-Mann Scholz den Grünen zugestanden, sie seien „kein Betriebsunfall der Geschichte, nicht Fleisch vom Fleische, nicht Hilfstruppe der SPD“. An diesem Abend im Motorwerk schießt er Erinnerungsfotos von Fischer, Trittin und Ex-Grünen-Chef Reinhard Bütikofer.

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