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Die Grundrente war eines der Kernprojekte der GroKo.
© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa

Großprojekt der GroKo: Die Grundrente war notwendig und überfällig

Die Grundrente beseitigt nicht jede Ungerechtigkeit. Aber sie hilft den Allerbedürftigsten. Und sie verschafft der Politik eine Atempause. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Auf dem Seil zu tanzen, ohne abzustürzen, ist im wahrsten Sinn des Wortes eine hohe Kunst. Mit ihrem monatelangen, mit äußerster Verbissenheit und sachfremden Motiven geführten Streit über die Grundrente hat sich die große Koalition selbst immer weiter hinaus über den Abgrund getrieben. Umso bemerkenswerter ist der Kniff, mit dem die Spitzen von CDU, CSU und SPD am Sonntag ihre prekäre Situation stabilisiert haben. Er wirkt, als wäre er dem Instrumentarium professioneller Artisten abgeschaut: Auf dem hohen Seil geht man am sichersten mit einer langen Stange, die auf beiden Seiten zusätzlich mit Gewichten beschwert ist

Aufs Politische übertragen heißt das, dass die Koalitionäre zusätzlich zur Einigung bei der Grundrente eine Reihe von weiteren Absprachen getroffen haben. So ist ein Gesamtpaket entstanden, das den Kritikern die Ablehnung schwer macht. Olaf Scholz kann seinen SPD-Linken Aufstockungen in der betrieblichen Altersversorgung vorweisen – zweifellos sinnvoll, um Altersarmut gar nicht erst entstehen zu lassen. Annegret Kramp-Karrenbauer bringt dem CDU-Wirtschaftsflügel als Beute die lange geforderte Absenkung des Arbeitslosenbeitrags mit – nur 0,1 Prozentpunkte, nur befristet bis 2022, aber immerhin.

Bei der SPD werden trotzdem immer noch einige bemäkeln, dass überhaupt Bedürftigkeit – pardon: es heißt ja jetzt „Bedarf“ – geprüft wird. Bei der CDU werden einige weiter darüber grummeln, dass die Grundrente das System bricht, weil sie das Prinzip „Rente entspricht der Einzahlung“ aushebelt und die geplante Einkommensprüfung nicht mit allerletzter Sicherheit ausschließt, dass jemand die Zahlung zu Unrecht erhält.

Systemfremder Eingriff

Aber diese Einwände dürften in einer Paket-Gesamtbewertung an Wucht verlieren. Wer als Sozialdemokrat wegen dieser Einigung die Koalition infrage stellen wollte oder als Christdemokrat Kanzlerin und Parteivorsitzende, setzt sich endgültig dem Verdacht aus, dass er die Grundrente bloß als Vorwand für Machtkämpfe missbraucht.

Diesem Missbrauch noch weiter zuschauen zu müssen haben vor allem diejenigen nicht verdient, die auf die versprochen kleine Aufstockung ihrer sehr kleinen Rente jetzt schon drei Wahlperioden warten müssen. Natürlich ist der Zuschlag ein systemfremder Eingriff. Aber er ist notwendig und überfällig.

Atempause für die Politik

Das Rentensystem entstand zu einer Zeit, als ein Normalarbeitsverhältnis in der Ausprägung „Vater verdient, Mutter versorgt Küche und Kinder“ als der Normalfall gelten durfte. Auf veränderte ökonomische und gesellschaftliche Großtrends – gebrochene Erwerbsbiografien vor allem im Osten, prekäre Beschäftigung, immer mehr Alleinerziehende mit Halbzeitjobs – war es nicht vorbereitet. Das Grundversprechen unserer Arbeitsgesellschaft, dass der Fleißige mehr bekommt als der Sozialfall mit der Grundsicherung, ließ sich nicht mehr erfüllen. Die Grundrente beseitigt nicht jede echte oder gefühlte Ungerechtigkeit. Aber sie hilft zumindest den Allerbedürftigsten.

Den politisch Bedürftigen in CDU und SPD verschafft die Einigung eine Atempause. Mehr allerdings nicht. Dafür hat das Gezerre vorher zu viel Schaden angerichtet. Und wer Scholz, AKK, die Koalition zum Absturz bringen will, wird neue Angriffspunkte suchen. Das Seil schwebt weiter über dem Abgrund. Es wackelt nur nicht mehr ganz so stark.

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