Schwache Opposition: Die große Koalition macht die AfD stark
Union und SPD hielten sich bisher gegenseitig an der Macht. Nicht erst die Flüchtlingsfrage zeigt, dass eine starke Opposition fehlt. Es braucht neue Bündnisse. Ein Kommentar.
Es waren ungewöhnliche Worte für einen Regierungspolitiker. Noch dazu für einen, dessen gesamtes politisches Leben von der Exekutive geprägt ist. Die Wahllokale am Sonntag waren noch nicht zu, da sprach Innenminister Thomas de Maizière (CDU) über die eigene, die große Koalition: „Uns fehlt derzeit einfach eine gute, eine starke Opposition. Das ist ja das Dilemma einer großen Koalition. Die eigentliche beachtliche ,Opposition‘ befindet sich derzeit in unseren Volksparteien selbst.“
Ganz anders klang das vor zwölf Jahren, als der damalige SPD-Chef Franz Müntefering den Satz sagte: „Opposition ist Mist.“ Das hörte sich so an, als habe es etwas Ehrenrühriges, die Regierung kontrollieren zu müssen. Und das in einem Land, in dem die Rolle der Opposition traditionell weniger geschätzt wird als in Großbritannien zum Beispiel. Fehlt es in Deutschland an einer starken Gegenstimme im Parlament? Wurde die AfD auch so stark, weil Union und SPD als eine Kraft wahrgenommen werden?
Tatsächlich ist die Groko des Jahres 2016 keine Ausnahmeerscheinung mehr, anders als früher. Konrad Adenauer zum Beispiel traf 1949 die richtige Entscheidung, nicht mit der SPD zu regieren, obwohl die Zeiten schwieriger waren als heute. Kurt Schumacher wurde so zu seinem Gegenspieler als erster Oppositionsführer der Bundesrepublik. Diese Rolle legte er konstruktiv aus, er wollte nicht nur kritisieren, sondern Alternativen aufzeigen. Ein Satz wie der von Müntefering ist von Schumacher nicht überliefert.
Für die politische Debatte ist die Groko schlecht
Für Union und SPD war es bisher bequem, die eigene Krise zu verdrängen, indem man sich gegenseitig an der Macht hielt. Für die politische Debatte war das schlecht. Ohnehin werden große Koalitionen nicht so sehr durch bewusste Wahlentscheidungen legitimiert – auch weil die Partner im Wahlkampf immer so tun, als seien sie die größten Konkurrenten, dann aber doch koalieren. Eine Groko erscheint erst dann opportun, wenn sie gute Ergebnisse abliefert Die Flüchtlingsfrage hat daran Zweifel geweckt.
Mit der AfD ist nun eine Partei in drei weitere Landtage eingezogen, die sich bewusst als Opposition begreift. Die bisherige Erfahrung deutet darauf hin, dass sie ihre Aufgabe nicht wie einst Kurt Schumacher verstehen wird. Dass sie lieber polemisiert statt konstruktiv kritisiert. Das müsste sie aber, sollte sie eines fernen Tages mitregieren wollen. Große Zweifel sind angebracht: Eine Einbindung kann schon allein dann nicht funktionieren, wenn totale Opposition das einzige Geschäftsmodell ist.
Die Opposition nicht allein der AfD überlassen
Einfluss übt die AfD aber auch so aus. Sie tut es, indem sie Teil einer politischen Wechselbeziehung geworden ist. Einerseits profitiert sie vom Frust über große Koalitionen, die als Beleg für die Geschlossenheit des Establishments gewertet werden. Andererseits produziert ihr Parlamentseinzug potenziell solche Koalitionen, weil traditionelle Lagerkonstellationen so keine Mehrheit mehr haben.
Neue Bündnisse wie Grün-Schwarz im Südwesten oder eine Ampel in Rheinland-Pfalz könnten hier entlastend wirken. Weil eine der beiden Volksparteien die Opposition nicht allein den Rechtspopulisten überlässt. Überfällig ist es auch, dass Grüne und FDP untereinander koalitionsfähig werden. Bilden sie ein Zentrum der Vernunft, dann könnten Union beziehungsweise SPD den rechten und linken Flügel besser bespielen. Und zeigen, dass Opposition nicht nur Mist ist.