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EU-Gipfel: Die Grenzen der Diplomatie

Nicht nur die Kanzlerin steht vor dem schwersten EU-Gipfel ihrer Amtszeit. Auch für ihren Europa-Berater Uwe Corsepius geht es um viel.

Uwe Corsepius ist in den vergangenen Wochen mehrere Male am Fuß des Gipfels gewesen. Im Brüsseler Justus- Lipsius-Gebäude, wo am Donnerstag und Freitag ein für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entscheidender Gipfel stattfindet, hat auch Corsepius das Feld für seine Chefin vorbereitet. Corsepius ist Leiter der Europaabteilung im Kanzleramt und gehört damit zu den sogenannten „Sherpas“, die gewissermaßen das Basislager für den Gipfel aufschlagen.

Bei den Vorbereitungstreffen, bei denen Corsepius mit seinen Kollegen aus den übrigen 27 EU-Staaten zusammensaß, ging es um den drohenden „Brexit“. Das schwierige Verhältnis zwischen den EU-Partnern und Großbritannien ist eines der beiden Mega-Themen, die beim Gipfel am Ende dieser Woche anstehen. Das zweite ist die von Merkel immer wieder beschworene europäische Lösung in der Flüchtlingskrise, die – wenn überhaupt – nur sehr langsam in Sichtweite kommt. Corsepius’ Aufgabe besteht darin, mit seinen Gesprächspartnern in den Regierungszentralen der übrigen EU- Staaten zu sondieren, was geht und was nicht.

Im Fall des drohenden „Brexit“ ist Corsepius’ Aufgabe noch vergleichsweise einfach. Das liegt nicht nur daran, dass der 55-Jährige einen engen Draht zu seinem Gegenüber in der Downing Street pflegt: Den Briten Tom Scholar, Europa-Berater des britischen Premiers David Cameron, und den Deutschen Corsepius verbindet ein Interesse, die technischen Details eines Großbritannien-Deals vorzubereiten, der beim Gipfel festgezurrt werden könnte. Diese Sichtweise wird in der EU weitgehend geteilt – selbst bei den Osteuropäern, die von Camerons Plänen, britische Sozialleistungen für EU-Ausländer zeitweilig auszusetzen, am härtesten betroffen sind.

In der Flüchtlingskrise drohen Merkel die EU-Mitstreiter auszugehen

Anders liegen die Dinge beim Ringen um eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise, bei dem der Kanzlerin allmählich die Mitstreiter auszugehen drohen. Es ist vor allem dieser Punkt, der das ganze diplomatische Geschick von Merkels Europa-Berater Corsepius erfordert.

Dabei gehörte die Diplomatie nicht immer zu den Stärken des gebürtigen Berliners. Der Betriebswirt, der am Kieler Institut für Weltwirtschaft promoviert und Anfang der Neunzigerjahre für den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington gearbeitet hat, diente schon unter Gerhard Schröder an wichtiger Stelle im Kanzleramt. Merkel übernahm ihn vom SPD-Vorgänger, obwohl er kein CDU-Parteibuch besitzt – das Parteipolitische hält sie weitgehend von ihm fern. 2011 ging Corsepius dann nach Brüssel und wurde Generalsekretär des Rates der EU mit Personalverantwortung für 3200 EU-Beamte, Einfluss auf Tagesordnung und Verlauf der Ministertreffen sowie festem Sitz im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs – als einziger ungewählter Beamter.

In Brüssel eilte Corsepius der Ruf eines schroffen Beamten voraus

Auch wenn Corsepius vor seinem Amtsantritt in Brüssel einen Französischkurs machte und damit ein wesentliches diplomatisches Manko ausglich, löste die Personalie seinerzeit in der EU-Hauptstadt keine Begeisterung aus. Corsepius galt als „Merkels U-Boot“. Zur Last gelegt wurde ihm vor allem sein Auftreten zu Beginn der Euro-Krise, das als „schroff“ und „undiplomatisch“ bezeichnet wurde. Tatsächlich gab es Runden mit Journalisten, in denen Merkels Mann wie selbstverständlich davon ausging, dass sich seine deutsche Position durchsetzen werde. Deutschland, hieß es, habe weniger ein inhaltliches als ein ein Stilproblem.

Im Süden der EU und in Paris kommt sein Stil nicht immer gut an

Im vergangenen Frühsommer rief Merkel Corsepius wieder als ihren Europa-Berater zu sich, als sie einen Nachfolger für Nikolaus Meyer-Landrut suchte, der als Botschafter nach Paris ging. Er sei in seiner Zeit in Brüssel „ein Stückchen lockerer“ geworden, sagt jemand über Corsepius, der nah dran ist an der Europapolitik der Kanzlerin. Andere Beobachter sehen das anders. Sie sagen, dass Corsepius bis heute nicht die Aura eines „Technokraten“ losgeworden sei. „Was bei ihm zählt, sind Prinzipien und Zahlen“, heißt es über ihn. Gerade im Süden der EU und auch in Paris komme dieser Ansatz häufig gar nicht gut an.

Wer Corsepius im Kanzleramt trifft, begegnet einem zuvorkommenden Gesprächspartner, der sich nicht nur für die Verspätung entschuldigt, sondern auch dafür, den Kaffee nicht sofort nachgeschenkt zu haben. Sein Büro ist mit einem Bild des Brandenburger Tors und zwei Berliner Bären auf dem Schreibtisch spartanisch dekoriert.

Die Amtszeit in Brüssel hat Corsepius verändert

Seine Amtszeit in Brüssel hat ihn verändert. „Es ist faszinierend“, hat er nach dem ersten Jahr dort gesagt, „mit verschiedenen Kulturen zusammenzuarbeiten und als Deutscher zu sehen, dass der deutsche Weg nicht der einzige ist, der zum Ziel führt“. Er kennt die Eigenheiten der Akteure besser, kann sich eher in sie hineinversetzen, telefoniert öfter mit Vertretern kleinerer EU-Staaten, die er in seiner ersten Amtszeit weniger beachtete.

Aber ob das in der Flüchtlingskrise auf EU-Ebene tatsächlich den von Merkel sehnlichst erwarteten Durchbruch bringt? Wenn Corsepius ins Büro seiner Chefin nach oben in den siebten Stock gerufen wird – und das kann in diesen Tagen schon zehn Mal pro Tag passieren –, dann reden beide offen über den Abgrund, in den die EU zu stürzen droht, wenn die Gemeinschaft die Flüchtlingskrise nicht bald in den Griff bekommt.

Auch Corsepius ist die Bürde anzumerken, die er in diesen Tagen zu tragen hat. Schließlich hört die Frau, die gern als die weltweit mächtigste bezeichnet wird, auf ihn – nicht nur, aber eben auch. Menschen, die ihn gut kennen, erzählen, wie sehr ihn der neue alte Job im Kanzleramt schlaucht.

Insider: Bei Osteuropäern nutzt in Flüchtlingskrise auch das beste Netzwerk nichts

In der Flüchtlingskrise kommt nun auch noch erschwerend hinzu, dass selbst der engste Verbündete Deutschlands – Frankreich – bei der Lösungssuche der Kanzlerin nicht mitmacht. Immerhin weiß Merkel die EU-Kommission auf ihrer Seite, wenn es darum geht, für einen verstärkten Schutz an der griechisch-türkischen Grenze und eine Umverteilung der Flüchtlinge in der Europäischen Union zu werben. Corsepius hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass das Verhältnis zwischen Berlin und Brüssel derzeit entspannt ist.

Die größte Unbekannte beim bevorstehenden Gipfel liegt aber darin, ob die Osteuropäer auch bei dem Brüsseler Spitzentreffen versuchen werden, Merkels Kurs der kleinen Schritte zu sabotieren. Corsepius’ europäisches Netzwerk sei durchaus „ausreichend“, sagt einer, der die Kanzlerin gut kennt. Aber angesichts der Tatsache, dass der ungarische Premierminister Viktor Orban und seine osteuropäischen Verbündeten ihren eigenen Kurs in der Flüchtlingspolitik verfolgen, meint er: „Da hilft auch kein Netzwerk.“

Der Text erschien in der "Agenda" vom 16. Februar 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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