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Für Kinder und Jugendliche gibt es noch immer keine einheitliche Impfempfehlung. Sie sind also am ehesten darauf angewiesen, dass die Ältere sich impfen lassen.
© Swen Pförtner/dpa

Soll es mehr Impfdruck geben?: Die Gesellschaft kann auf Corona-Solidarität bestehen

Impfpflicht will keiner, aber auch durch Bevorzugung von Geimpften könnte man gut zur Impfung ermuntern. Vor allem die Jüngeren hätten das verdient. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Darf die Politik Druck auf Menschen ausüben, die sich nicht gegen Corona impfen lassen, obwohl sie das könnten? Bei denen also keine gesundheitlichen Risiken gegen die Immunisierung sprechen? Soll man sie von Veranstaltungen ausschließen, weil sie sich und damit auch andere nicht schützen wollen? Die Debatte ist da.

Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union warnt vor Impfpflicht und individuellem Druck. Kanzleramtsminister Helge Braun, wohl auch als Stimme seiner politischen Herrin, spricht sich hingegen für Einschränkungen der individuellen Freiheit bei Ungeimpften aus. Bundesinnenminister Horst Seehofer ist auf der gleichen Linie. Aber haben wir denn überhaupt eine Wahl?

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Über Monate durften Kinder nicht in die Kitas und in die Schulen gehen, mussten Geschäfte und Unternehmen geschlossen werden, um eine noch schlimmere epidemische Ausbreitung der Covid-19-Infektionen zu verhindern. Geschützt werden sollten vor allem die Älteren. Unter den über 60-jährigen hatte die Krankheit bestürzend oft einen tödlichen Verlauf genommen.

Von den mehr als 91.000 direkt an oder im Zusammenhang mit Corona Gestorbenen gehörte ein unverhältnismäßig hoher Anteil zur älteren Generation. Und allen war klar: Diese Solidarität der Jüngeren und der für sie schmerzhafte Verzicht auf Normalität sei ein zu tragender und zu ertragender Preis in einer Gesellschaft, deren Zusammenhalt vor allem auch auf der Rücksicht gegenüber Schwächeren gründet.

Wer will, kann sich schützen. Also?

Nun hat sich die Situation geändert, denn es gibt Impfstoffe. Nicht nur die Senioren, sondern jeder Erwachsene, der will, kann sich so schützen. Schulen und Kitas werden nach den Sommerferien wieder öffnen. Was das für Kinder und Jugendliche bedeutet, können außer ihnen selbst wohl nur jene ermessen, die als Eltern, als Verwandte oder Ärztin und Arzt zu spüren bekamen, wie junge Menschen unter dem erzwungenen Verzicht auf Zusammensein mit Gleichaltrigen gelitten haben.

Für Unter-Zwölf-Jährige ist kein Impfstoff empfohlen

Es könnte also alles so schön werden – wenn, ja wenn nur die Erwachsenen, die im Berufsleben stehenden Generationen, sich impfen ließen und damit eine weitere Ausbreitung der Corona-Erkrankungen stoppten. Denn für kleine Kinder und unter Zwölfjährige gibt es noch keinen Impfstoff – oder zumindest keinen von der Stiko, der Ständigen Impfkommission, empfohlenen. Also müssten jetzt die Älteren Solidarität zeigen. Aber daran hapert es. Bei den 18- bis 59-Jährigen stockt das Impftempo, die Quote liegt da nur bei 47,7 Prozent.

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Geredet wird von Impfmüdigkeit. Nachlässigkeit mache sich breit. Gerade bei den bis zu 30-Jährigen ist das Desinteresse an der Impfung auffallend. Über die Nebenwirkungen der Impfung werden schauerliche Geschichten erzählt. Es ist aber nicht neu, dass Impfungen Reaktionen im Körper hervorrufen, das ist vielmehr Anzeichen dafür, dass das Serum wirkt.

Sie überlassen das Risiko, das man selbst scheuen, den anderen

Sich deswegen nicht impfen zu lassen, ist nicht sehr plausibel, zudem ist es individuell riskant, weil niemand sagen kann, wie schwer im Falle einer Infektion der Krankheitsverlauf bei ihr oder ihm wäre. Und nahezu moralisch verwerflich wäre es, im Vertrauen auf die Herdenimmunität die Impfung zu verweigern. Denn das bedeutete, dass man andere das angenommene Risiko der Impfung eingehen lässt, um es selbst zu vermeiden.

Ist es da nicht nur logisch, dass sich die Gesellschaft vor jenen schützen will, die so ihre Solidarität missbrauchen? Dieser Schutz sollte nicht in einer Impfpflicht münden. Aber wie Armin Laschet nach der Devise „Es wird schon gut gehen“ zu handeln, wäre fahrlässig. Darum kann die Gesellschaft einen Nachweis der Impfung quasi als Eintrittskarte zur Normalität, zu Großveranstaltungen oder anderen Ereignissen in geschlossenen Räumen, durchaus verlangen. Denn dabei geht es nicht um staatliche Eingriffe in die individuelle Freiheit, sondern um den Grundsatz, dass die Freiheit des Einzelnen da endet, wo die des Nächsten tangiert wird.

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