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Immer mehr Politiker sprechen sich dafür aus, Ungeimpften mehr Einschränkungen aufzuerlegen.
© imago images/Joerg Boethling

Debatte über Impfpflicht nimmt wieder Fahrt auf: Uneinigkeit bei mehr Einschränkungen für Ungeimpfte

Mit Blick auf die Corona-Zahlen rechnen einige Politiker wieder mit härteren Maßnahmen. Strittig ist jedoch, ob sie für alle gelten sollen.

Die steigenden Corona-Infektionszahlen haben die schon seit längerem geführte Debatte um mehr Einschränkungen für Ungeimpfte neu entfacht.

„Das ist keine Diskriminierung der Nicht-Geimpften“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Interview mit RTL/ntv. Er achte es, wenn jemand sich aus persönlichen Gründen gegen eine Impfung entscheide.

„Aber die nicht geimpfte Person muss auch einsehen, dass wir die Gesamtgesellschaft schützen müssen und deshalb nur die Geimpften zu größeren Gemeinschaftsveranstaltungen zulassen können.“

Auch die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock schloss am Montag beim Wahlkampfauftakt der Brandenburger Grünen für die Bundestagswahl Einschränkungen für Ungeimpfte nicht aus.

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Das Wichtigste sei zunächst, jedem Menschen ein Impfangebot zu machen. „Und dann im nächsten Schritt, wenn das geleistet worden ist, darüber zu sprechen, dass in manchen Bereichen eben Leute, die geimpft sind, Dinge tun können und andere nicht“, erklärte Baerbock.

„Wir planen keine Impfpflicht“, sagte Baerbocks Parteikollege Winfried Kretschmann am Wochenende. „Für alle Zeiten kann ich eine Impfpflicht nicht ausschließen“ Dann nämlich, so Kretschmanns Argument, wenn neue Varianten des Coronavirus aufträten, „die das erforderlich machen“.

In diesem Fall könne man auch über eine Impfpflicht für manche Bereiche nachdenken - so wie bei den Masern: „Da gibt's auch eine Impfpflicht für die Kitas, weil Masern höchst ansteckend sind.“

Bislang ist knapp die Hälfte der Deutschen geimpft. Für eine Herdenimmunität und somit eine erfolgreiche Eindämmung der Pandemie müssten 85 Prozent der Deutschen geimpft oder genesen - also immun - sein. Diesen Wert halten viele Experten inzwischen für kaum noch erreichbar.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht betonte jedoch: „Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben, sondern wir müssen dafür werben, dass ich mich mit dieser Impfung selbst und vor allen Dingen auch andere schütze.“

Die SPD-Politikerin sagte am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“: „Ich glaube, wir sollten bei dem Verfahren bleiben, dass Geimpfte, Genesene und auch negativ Getestete Zugänge haben“, sagte Lambrecht.

„Wenn alle, die sich Impfen lassen können, dass dann trotzdem nicht machen, dann muss man auch vielleicht darüber nachdenken, ob die Testmöglichkeiten dann eben auf deren Kosten gehen und nicht mehr auf Kosten der Allgemeinheit.“

„Wir müssen schneller impfen, als die Delta-Welle sich ausbreitet“

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte am Wochenende mögliche Beschränkungen für Nicht-Geimpfte ins Gespräch gebracht, falls Deutschland eine hohe vierte Welle drohe.

„Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist“, sagte er der „Bild am Sonntag“.

Am Montag erläuterte Braun im „Bild“-Talk, nur für den Fall, dass die Gruppe der Ungeimpften so groß bleiben sollte, dass es eine relevante epidemische Welle gebe, seien sie bei Beschränkungen auch anders zu behandeln als Geimpfte. „Wir müssen schneller impfen, als die Delta-Welle sich ausbreitet“, sagte der CDU-Politiker. Lambrecht wies darauf hin, dass Vertragsfreiheit bestehe. Diese lasse einem Gastronomen „selbstverständlich offen, ob er die Bewirtung in seinem Restaurant auf Geimpfte beispielsweise beschränkt“.

Politiker fordern, dass die Impfstoffe zu den Menschen gebracht werden. Wie hier bei einem Festival. Foto: Nicolas Armer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Politiker fordern, dass die Impfstoffe zu den Menschen gebracht werden. Wie hier bei einem Festival. Foto: Nicolas Armer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
© dpa/Nicolas Armer

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, befürwortete es, Geimpften mehr Freiheiten im Alltag zuzugestehen. Es gebe keinen Grund, Geimpften und Immunen ihre Grundrechte weiter vorzuenthalten, „nur weil ein paar ewige Skeptiker sich der Impfung entziehen“, sagte Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag).

Es gehe nicht um Privilegien für Geimpfte, sondern um Grundrechtseinschränkungen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der „Welt“: „Geimpfte schützen sich und andere, deswegen ist Normalität für diese Gruppe die logische Konsequenz.

Diese Normalität für Geimpfte muss auch dann möglich sein, wenn es für Nicht-Geimpfte Einschränkungen bedarf.“ Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet betonte am Sonntagabend im ZDF-Sommerinterview: „In einem freiheitlichen Staat gibt es Freiheitsrechte, nicht nur für bestimmte Gruppen.“

Ziel müsse es sein, die Pandemie so zu bekämpfen, dass alle Freiheits- und Grundrechte wieder in Kraft gesetzt werden. Man müsse jetzt alles tun, um die Menschen zu überzeugen, sich impfen zu lassen.

„Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch viel zu niedrig, finde ich, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt.“ Auch die Linken-Chefin Janine Wissler wandte sich gegen den Vorstoß Brauns.

Menschen, die sich noch nicht haben impfen lassen, mit Benachteiligungen zu drohen, sei der falsche Weg, sagte sie der „Welt“. Zumal es für viele Menschen auch noch keine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission gebe, wie etwa für Kinder unter zwölf Jahren und Schwangere. Kritik kam auch aus der FDP. Ihr Vizevorsitzender Wolfgang Kubicki bezeichnete Brauns Vorschlag als „Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür“ und „klar verfassungswidrig“.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing forderte mehr Tempo beim Impfen. „Anstatt mit Impfpflichten oder erneuten Kontaktbeschränkungen zu drohen, sollten die Verantwortlichen lieber alle Hebel in Bewegung setzen,

damit die eingeschlafene Impfkampagne wieder Fahrt aufnimmt“, sagte Wissing der „Rheinischen Post“. Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich schlug vor, den Einsatz von Impfmobilen auszuweiten.

„Wenn die Menschen nicht zur Impfung kommen, dann muss die Impfung zu den Menschen kommen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) forderte die Bundesregierung auf, neue Entscheidungskriterien zu entwickeln.

Eine ähnliche Ansicht vertritt der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. Er setzt zur Ankurbelung der Impfkampagne auf flexiblere und komfortable Lösungen. „Wir müssen aufhören, die Menschen planwirtschaftlich zum Impfstoff zu bringen, sondern wir müssen den Impfstoff zu den Menschen bringen“, sagte der Notfallmediziner am Montag in der Sendung „Frühstart“ von RTL und ntv.

„Massive Einschränkungen für die Gesellschaft wie auch für die Wirtschaft sind allein mit hohen Inzidenzen nicht mehr zu rechtfertigen“, sagte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Es müssten zum Beispiel auch die Impfquote, die Entwicklung der Krankheitsverläufe, der Hospitalisierungsgrad sowie die Sterberate berücksichtigt werden. Auch Dobrindt sagte der „Welt“, eine isolierte Betrachtung der Inzidenz sei überholt. „Es geht um eine kombinierte Betrachtung von Inzidenz, Impffortschritt und Belastung des Gesundheitssystems“, sagte der CSU-Politiker.

Merkel spricht sich für vorgezogene Ministerpräsidentenkonferenz aus

„Eine 100er oder 200er Inzidenz wird nicht mehr zu einem Lockdown führen, auch bei Werten darüber ist das nicht zu erwarten.“ Mehrere Bundesländer signalisierten am Wochenende ihre Bereitschaft für eine vorgezogene Bund-Länder-Konferenz. Laut Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) müsse ein Bund-Länder-Treffen möglichst bald stattfinden.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bereits in Aussicht gestellt, die eigentlich erst für Ende August vorgesehene Ministerpräsidentenkonferenz zur Corona-Pandemie vorzuziehen. (dpa/tsp)

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