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Mal richtig für Sicherheit sorgen.
© dpa

Innere Sicherheit: Die gefährliche Sehnsucht nach dem starken Staat

2016 hat Deutschland zum Opfer gemacht. Das befördert Unsicherheit, die in Angst umschlägt - und in Chauvinismus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Selten hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) so viel Applaus bekommen. Seine sicherheitspolitischen Vorschläge vom Anfang der Woche sind so politisch undurchsetzbar (den Ländern den Verfassungsschutz klauen) wie alt und gefährlich (im Cyberspace zurückschießen). Dennoch folgte parteiübergreifendes Nicken. Die Deutschen sehnen sich nach einem starken Staat – und Thomas de Maizière verspricht ihn.

Deutschland ist gefährdet, die Angst geht um. Da ist es legitim, die bestehende Sicherheitsarchitektur zu überprüfen und wo nötig zu ändern. Doch Angst ist nur ein Quell der neuen Sehnsucht nach dem starken Staat. Die andere ist Chauvinismus.
Das Jahr 2016 hat Deutschland zum Opfer gemacht. Die Deutschen, gewöhnt an eine lange Friedenszeit, fühlen sich durch die Anschläge von Ansbach, Würzburg und Berlin auch als Staat angegriffen. Die Machtlosigkeit des Opfers aber ist ein fürchterliches Gefühl, das in Chauvinismus umschlagen kann.

Die Populisten bemühen sich daher, die vermeintliche Machtlosigkeit des deutschen Staates im Angesicht des Terrorismus zu betonen, um dann ihre ganz eigene Version eines starken Staates dagegen zu halten. „#Staatsversagen“, war der Hashtag, der auf AfD-Kanälen nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz verwendet wurde. Die AfD porträtiert Deutschland als einen von falschen moralischen Skrupeln und Selbstzweifeln korrumpierten, „demographisch erschöpften“ (Frauke Petry) und politisch willensschwachen Schlappschwanzstaat. Minderheitenschutz, Rechtsstaatlichkeit und Humanität werden der Sicherheit der Mehrheitsbevölkerung mit deutschem Pass untergeordnet.

Mir machen Terroristen keine Angst - ich weiß, dass ich nur einmal sterben kann. Aber mir machen Leute Angst, die für ihre Angst bereit sind, meine Freiheit zu opfern, indem sie einen "starken Staat" verlangen.

schreibt NutzerIn macthepirat

„Linke Wange, rechte Wange – das ist vorbei“, sagte neulich ein durchaus bürgerlicher Mensch bei einer durchaus bürgerlichen Mahlzeit. Natürlich bleibt diese Sichtweise ein Extrem, doch Anklänge davon fanden sich in der Debatte um die Konsequenzen aus dem Attentat am Breitscheidplatz. Die politische Rhetorik wird härter. Überall wird „rausgeschmissen“ und „eingesperrt“. Selbst der Grüne Cem Özdemir sprach im ZDF-„Heute Journal“ mit Bezug auf Menschen, die abgeschoben werden sollen, von „Leuten, die raus müssen.“

Verbale Härte ist jetzt in, aber sie ist nicht ohne Risiko

Der erstaunlich einhellige Applaus für die Polizeistrategie in Köln hat seine Ursache auch in dieser Sehnsucht nach markig-effizienter und skrupelloser Politik: Das starke Deutschland, nach dem sich viele Wähler sehnen (oder zumindest: nach dem sich viele Wähler in der Vorstellung der Politiker sehnen) tritt aus der Opferrolle heraus. Das starke Deutschland ist ein wehrhaftes, das Skrupel beiseite wischt. Teile der neuen Rechten treiben das Gefühl gern noch ein Stückchen weiter: Sie wollen endlich die historische deutsche Demut abstreifen und mit ihr die Bedenkenträgern und „Gutmenschen“.

Thomas de Maizière ist kein Chauvinist. Es wäre auch unfair, ihm zu unterstellen, sich mit seinem Vorschlag bei Menschen mit dieser Neigung anbiedern zu wollen. Aber die neue verbale Härte der etablierten Parteien legitimiert, ob sie will oder nicht, auch die düstere Seite der Sehnsucht nach dem starken Staat.

Bislang ist Deutschland nicht der Versuchung der politischen Überreaktion erlegen. Die Maßnahmen, die in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ergriffen wurden – etwa die Erleichterung von Abschiebungen und die Erklärung der Balkanstaaten zu sicheren Drittländern – waren maßvoll. Doch die Lust, „klare Kante“ zu zeigen, verstärkt sich mit den nahenden Wahlterminen: Auch die Maghreb-Länder sollen zu sicheren Drittstaaten werden, nach der Devise: Vergesst die paar verfolgten Schwulen – Hauptsache, wir halten uns die Nafris vom Hals. Die Politik gerät leicht in eine Härtespirale, je mehr humanitär vertretbare Maßnahmen ausgeschöpft sind.

Ein Wandel der politischen Kultur zeichnet sich ab. Bislang galt Deutschland sich selbst als größter Feind. Jene wehrhafte Demokratie, die im Grundgesetz angelegt ist, wehrte sich vor allem gegen den Feind im eigenen Kopf. Wehrhaftigkeit, darunter verstand Deutschland bislang die Selbstverteidigung seiner demokratischen Identität gegen sich selbst. Außen- wie innenpolitisch galt die Umarmung vielen als wirksamstes Mittel gegen Störenfriede: von Putin bis zu kriminellen Jugendlichen aus Migrantenmilieus. Sowohl innen- wie außenpolitische ist ein selbstbewussteres Auftreten richtig – der Skrupel aber sollte Teil unserer Kultur bleiben. Er ist unsere eigentliche Stärke.

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