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Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
© AFP

Debatte über innere Sicherheit: De Maizière will Kompetenzen des Bundes stärken - das sind die Reaktionen

Die Koalitionspartner suchen nach Terror und Flüchtlingskrisen die richtigen Konzepte. Was planen die Parteien? Wie werden de Maizières Pläne beurteilt? Fragen und Antworten zum Thema.

Innere Sicherheit könnte zum zentralen Thema des Bundestagswahlkampfs werden. Nach dem Terroranschlag in Berlin und anderen Straftaten von Zuwanderern sind die Parteien gefragt, über Konsequenzen nachzudenken. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat ein Konzept erarbeitet, die CSU will bei ihrer Klausurtagung in Seeon ebenfalls ein Positionspapier verabschieden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kam dem am Dienstag mit einem eigenen Vorschlag zuvor.

Was sind die zentralen Vorschläge des Bundesinnenministers?

In einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit dem Titel „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ spricht sich de Maizière für eine Neuordnung der Sicherheitsbehörden und ihrer Zuständigkeiten aus. Im Kern geht es um eine Stärkung der Bundeskompetenzen in der Inneren Sicherheit. „Ein starker Staat setzt in gesamtstaatlichen Angelegenheiten einen starken Bund voraus“, schreibt der Minister. Konkret sollten die Verfassungsschutzämter der Länder abgeschafft werden, die Bundespolizei soll eine „zentrale Verfolgungs- und Ermittlungszuständigkeit“ erhalten. Auch Abschiebungen sollen künftig zentral durch die Einrichtung von Abschiebezentren organisiert werden.

Im Fall von Cyberangriffen soll der Bund aktiv Gegenmaßnahmen und Gegenangriffe einleiten dürfen. De Maizière fordert eine Ausweitung technischer Fahndungsmöglichkeiten durch Videoüberwachung, Gesichtserkennung und Überwachung von Mobilfunk, E-Mail- Verkehr und Internet. „Der Staat darf im Internet nicht mehr Rechte haben als außerhalb. Aber eben auch nicht weniger“, begründet der CDU-Politiker. Einige der Vorschläge sind nicht neu, etwa die Einführung eines neuen Haftgrundes für Gefährder. Bei der Umsetzung gab es bisher allerdings kaum Fortschritte.

Wie unterscheiden sich die Pläne von denen der SPD und der CSU?

Der Bundesinnenminister geht mit einen Vorschlägen weiter als CSU und SPD. So beschränkt sich die CSU in ihrem Papier weitgehend darauf, mehr Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz zu fordern, außerdem will sie die Regeln für Abschiebungen verschärfen. Und: In sogenannten Transitzonen an den Grenzen sollen Flüchtlinge schon vor der Einreise überprüft werden. Diesen Vorschlag greift auch de Maizière auf. Ein Umbau der Sicherheitsarchitektur hält die CSU dagegen nicht für notwendig. SPD-Chef Gabriel warf der Union vor, Tausende Stellen bei der Bundespolizei abgebaut zu haben. „Und nun fordert sie einen starken Staat. Das passt nicht zusammen.“

In seinem eigenen Konzept kritisiert er, die Union konzentriere sich „ausschließlich auf Gesetzesverschärfungen“. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten. So sieht auch die SPD Handlungsbedarf bei der Videoüberwachung öffentlicher Räume oder einer Verhängung von Abschiebehaft für ausreisepflichtige Gefährder. Grundsätzlich warnt der SPD-Chef aber vor „Scheinlösungen“, wie der Forderung nach Einführung von Transitzonen im Kampf gegen islamistischen Terror. Denn tatsächlich hätten sich alle Täter des Jahres 2016 deutlich nach der Einreise radikalisiert und nicht vor der Einreise, so Gabriel. Er plädiert für mehr Präventionskampagnen in Flüchtlingsunterkünften und für ein härteres Vorgehen gegen radikale Moscheen. Das Konzeptpapier des Vize-Kanzlers sei eng mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) abgestimmt, hieß es. Maas und de Maizière werden sich „in Kürze“ zusammensetzen und weiter über das Thema Sicherheit beraten.

Wie reagieren die Länder auf Forderungen nach mehr Bundeskompetenzen?

In den Ländern stoßen die Vorschläge des Bundesministers weitgehend auf Ablehnung – unabhängig von der Parteifarbe. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) bezeichnete es als „Unsinn“, die bisherigen Strukturen zu zerschlagen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte: „Dass die Bundespolizei zusätzliche Aufgaben im Landesinneren übernehmen soll zu einem Zeitpunkt, wo die Bundespolizei nach eigenem Bekunden nicht genug Leute hat, um überall in Deutschland die Grenzen wirksam zu kontrollieren, ist geradezu abwegig.“ Mehr Engagement des Bundes bei Abschiebungen dagegen sieht Herrmann positiv. „Damit könnten die Verwaltungsabläufe nochmals effizienter gestaltet werden wie auch den Ländern viel an organisatorischer Arbeit erspart werden.“

Wenig Neigung zeigen Länderminister auch bei der von de Maizière vorgeschlagenen Zentralisierung des Verfassungsschutzes. „Eine Zentralbehörde hätte zwar den Vorteil, dass ein zwischenbehördlicher Informationsaustausch nicht mehr erfolgen müsste“, sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Die Landesbehörden erkennen jedoch lokale extremistische Bestrebungen früher und können darauf schneller reagieren als eine tendenziell unbeweglichere Zentralbehörde.“ Die Terrorismusbekämpfung durch den Verfassungsschutz setze auch eine enge Kooperation mit anderen Behörden vor Ort voraus. „Hier bestehen vertrauensvolle Kommunikationsbeziehungen aus einer langjährigen Zusammenarbeit. Dies kann eine Zentralbehörde nicht gewährleisten.“ Ähnlich äußerte sich Brandenburgs Ressortchef Karl-Heinz Schröter (SPD), der die Zuständigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz auch künftig vor allem bei der Beobachtung von länderübergreifenden extremistischen Strukturen sieht.

Was sagen Praktiker und Experten?

Die Leiterin des Bereichs Innenpolitik des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität, Julia von Blumenthal, vermisst bei den Ausführungen des Innenministers die Argumente: „Herr de Maizière müsste konkret begründen, welche Verbesserung eine Zentralisierung bringen würde“, sagte sie. Im Fall des Attentäters von Berlin habe es schließlich gar keinen offensichtlichen Mangel in der Koordination zwischen Bund und Ländern gegeben. Für die von de Maizière geplanten Umstrukturierungen wäre außerdem eine große Verwaltungsreform nötig. „Unter Umständen müsste man sogar die Verfassung ändern.“ Die für die Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit gäbe es aber nur mit den Grünen. „Das dürfte aussichtslos sein.“ Aber auch eine bloße Verwaltungsreform würde nach Einschätzung Blumenthals „mindestens ein Jahr“ dauern.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, findet die Forderungen de Maizières dagegen zum größten Teil berechtigt. Bei den Ermittlungen zum NSU sei die defizitäre Informationsweitergabe einer der Hauptpunkte dafür gewesen, dass Zusammenhänge nicht erkannt worden seien. „Das ist das Problem des derzeit gelebten Föderalismus: Polizei ist Ländersache und so haben wir 16 Länderpolizeien und 16 verschiedene Landesverfassungsschutzämter. Dazu kommen noch die jeweiligen Bundesbehörden.“ Überall gebe es beim Datenaustausch, wenn er denn überhaupt stattfinde, Schnittstellen, die die Gefahr des Informationsverlustes in sich bürgen, sagte Schulz weiter.

„Das Land bräuchte vielmehr eine schlüssige, ganzheitliche Anti-Terror-Strategie“, sagte der deutsche Terrorismusexperte Peter Neumann. Die US-Amerikaner etwa hätten nach dem 11. September 2011 alle Behörden und Einrichtungen an einer gemeinsamen Strategie arbeiten lassen. Sich nun, wie de Maizière, mit den Bundesländern in ein Kompetenzgerangel zu begeben, helfe womöglich kaum. Neumann ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London und leitet das „International Centre for the Study of Radicalisation“.

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