Koalitionskrach in Sachsen-Anhalt: Die ganze Union ist in Not, weil sie sich nie mit der AfD auseinandergesetzt hat
Die klügsten Köpfe der Partei müssen das Konservative neu definieren. Sonst treibt die AfD die Union vor sich her. Ein Kommentar.
Seit wann ist die Höhe der Rundfunkgebühren, also des Geldes aus bundesdeutschen Haushalten zur Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, eine Frage von Links oder Rechts? Eine, die über den Fortbestand der Demokratie entscheidet? Seit jetzt.
Die Wettbewerber der – konkurrenzlos – an der Spitze aller Umfragen liegenden Unionsparteien haben nämlich darin deren große Schwäche ausgemacht: dass die Union ins Schlingern gerät, sobald eine Partei rechts von ihr ähnliche oder gleichlautenden Forderungen vertritt.
Eine große Koalition der Gegner bildet sich hier, während die Union öffentlich eine einende Haltung sucht. Der AfD soll auch nicht ein Fußbreit des Terrains überlassen werden, das CDU und CSU seit ihren Gründungen als ihres betrachten: das konservative.
Nur zeigt sich eben am Fall Sachsen-Anhalt für alle im Bund, was die Union in all den zurückliegenden Jahren fahrlässigerweise nicht getan hat: Sie hat das Konservative für sich nicht noch einmal grundlegend vermessen und angesichts der Veränderung der Welt dann neu definiert.
Die CDU wird nicht mehr als konservativ wahrgenommen
Damit müsste logischerweise die Grenzziehung zu denen einhergehen, die nach Mauerfall und Wiedervereinigung enormen Druck von Rechtsaußen ausüben: die Rechtspopulisten und Rechtsnationalisten der AfD, die längst über den Status eines vorübergehenden Randphänomens hinausgewachsen ist.
Deren Verstetigung im Parlamentsbetrieb hätte seit langem die klügsten Köpfe der Union herausfordern müssen. Das Mantra, CDU und CSU seien die wahren Lordsiegelbewahrer des Konservativen, reicht bei Weitem nicht mehr aus.
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Zumal die CDU erkennbar in der praktischen Politik nicht im überkommenen Sinn konservativ, sondern zu einer SDU geworden ist, einer Sozialdemokratischen Union Deutschlands. Oder auch zu einer Union der Moderaten, dorthin moderiert von der langjährigen Parteivorsitzenden Angela Merkel.
Das ist Merkel nicht vorzuwerfen, hat sie doch nur ihren politischen Kurs umgesetzt. Vorzuwerfen ist allerdings ihren Kritikern, dass sie sich über den inhaltlich vom Ursprung abweichenden Kurs nur wehleidig beklagen. Das allein hilft nicht. Debatten dagegen tun es schon.
Laschet und Röttgen geben unterschiedliche Antworten
Die ganze Union gerät in Not. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende, Ministerpräsident, CDU-Vize und Bewerber um den Bundesvorsitz, Armin Laschet, hebt den Fall Sachsen-Anhalt auf die grundsätzliche Ebene des Umgangs mit der AfD. Das ist so richtig, wie seine Antwort politisch unterkomplex ist.
Dekretieren zu wollen, dass die Union aber auch gar nichts mit der AfD zu tun haben darf, ist gut gemeint, aber auch ziemlich schlicht. Was tun, wenn die CDU eine Forderung erhebt – sagen wir beim Rundfunkbeitrag, der nicht steigen soll, wofür es sachlich gesehen sogar Gründe gibt –, und die AfD tritt ihr bei? Soll die Union sich dann von sich selbst distanzieren?
Norbert Röttgen, dem anderen Aspiranten auf den CDU-Vorsitz, ist nur zuzustimmen: Die Union darf sich ihre Politikfähigkeit von niemandem nehmen lassen. Will sagen, sie muss ihre Position schon noch selbst bestimmen, und sie dann, richtig, aber auch gut erklären.
Sagen wir so: Wenn eins plus eins gleich zwei ist, und die AfD das auch sagt, dann muss die CDU nicht behaupten, dass es drei sind. Wer nun sagt, das sei zu einfach, zu platt, dem sei entgegen gehalten, dass es allen Konkurrenten ähnlich ergehen kann. Warum spricht niemand darüber, wie die Linke und die AfD im brandenburgischen Forst – der Heimat des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke – kooperieren? Da sind Sachfragen plötzlich: Sachfragen.
Meint es die Union ernst damit, das Konservative wieder an sich zu binden, muss sie sich über zweierlei einig werden: sich erstens ihre Konservativität nicht nehmen zu lassen, Bewährtes zu verändern, um es zu bewahren. Und zweitens in der Tat eine Allianz der demokratischen Parteien zu schaffen, die sich nicht untereinander diskreditieren. Wer die AfD zur bestimmenden Größe macht, gefährdet die Demokratie.