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 Russische Sicherheitskräfte haben bei einer Razzia eine Versammlung der Opposition aufgelöst und 200 Teilnehmer festgenommen.
© Victor Berezkin/dpa

Razzia gegen russische Oppositionelle: Die Furcht des Kreml vor der Provinz

Vor den Wahlen im September wollten kremlkritische Kommunalpolitiker eine gemeinsame Plattform bilden. Die Staatsmacht schritt sofort dagegen ein.

Ein halbes Jahr vor den Wahlen zur Duma und zu den regionalen und lokalen Parlamenten in Russland verschärft der Kreml sein Vorgehen gegen die Opposition massiv. Rund 200 regionale und lokale Abgeordnete, die kritisch zum Kreml stehen, wurden am Sonnabend bei einer Polizeirazzia in Moskau festgenommen. Sie hatten auf einem zweitägigen Seminar der Organisation „Städtisches Russland“ in einem Hotel gemeinsame Strategien für den Wahlkampf beraten wollen.

Der kurze Verlauf der Veranstaltung ist auf Online-Kanälen dokumentiert. Jewgeni Roisman, der frühere Bürgermeister der Millionenstadt Jekatarinenburg im Ural, hatte gerade mit seiner Eröffnungsrede begonnen und die Anwesenden aufgefordert, interne Streitigkeiten der Opposition zurückzustellen, um eine gemeinsame Plattform zu finden. Da betraten Polizisten den Saal und ihr Einsatzleiter erklärte die Versammlung für aufgelöst. Alle Anwesenden, rund 200 Personen, wurden abgeführt.

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Der Vorwurf lautete: Verbindung zu einer in Russland unerwünschten Organisation. Das ist in Russland seit 2017 nach Paragraf 284.1 des Strafgesetzbuches ein Straftatbestand, mehrere Oppositionelle sind bereits zu Lagerhaft verurteilt worden. Auf der schwarzen Liste unerwünschter Organisationen stehen drei Vereinigungen, die mit dem im Schweizer Exil lebenden Michail Chodorkowski in Verbindung gebracht werden.

Die Vereinigung „Städtisches Russland“ war 2017 von dem früheren Duma-Abgeordneten Dmitri Gudkow und einigen Mitstreitern vor den Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt Moskau gegründet worden – und aus dem Stand bemerkenswert erfolgreich. Ihre Kandidaten gewannen in einer Reihe von Stadtbezirken die Mehrheit und in sieben Stadtteilen gelangte kein einziger Kandidat der Kreml-Partei „Einiges Russland“ in die Parlamente. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr ließ der Kreml eine Wiederholung nicht zu. Oppositionelle Kandidaten wurden mit einer Reihe juristischer Tricks gar nicht erst zugelassen.

Putin-Partei im Allzeit-Tief

Die Festnahmen vom Sonnabend zeigen nach Ansicht des Politologen Andrej Kolesnikow von der Moskauer Carnegie Stiftung, dass der Kreml die lokalen Abgeordneten für eine „ernsthafte oppositionelle Kraft hält“. Sie hätten sich in den letzten Jahren zu einer „echten Opposition entwickelt, ausgestattet mit legalen Vollmachten“, sagte Kolesnikow dem Radiosender „Echo Moskwy“. Die Staatsmacht fürchte offenbar, dass sich diese Kräfte vereinigen und eine gemeinsame Position entwickeln könnten. „Da hat irgendjemand offensichtlich einen Fehler gemacht, als er zuließ, dass sie sich in diesem Forum sammeln können. Dass die Polizei eingeschritten ist und Festnahmen vorgenommen hat – das ist die Korrektur dieses politischen Fehlers,“ meint Kolesnikow.

Zeitgleich mit dem verschärften Vorgehen gegen die Opposition zeigt eine Umfrage des international angesehenen Levada-Instituts, dass sich die Putin-Partei „Einiges Russland“ auf einem Allzeit-Tief befindet. Nur noch 27 Prozent unterstützen die Partei, worin sich ein wachsendes Misstrauen mit den offiziellen Machtstrukturen spiegelt. Das ist aus der Sicht des Kremls ein besorgniserregendes Signal, hat doch Putin von seiner Partei verlangt, eine Zwei-Drittel-Mehrheit bei den Duma-Wahlen im September zu organisieren. Beobachter sehen in diesem Zusammenhang die Verhaftungen vom Sonnabend als den Versuch, nicht nur kremlkritische Politiker, sondern auch deren mögliche Anhänger mit strafrechtlichen Konsequenzen einzuschüchtern.

Mit aller Macht gegen die Putin-Kritiker

Eine Mehrheit in der Duma dürfte für „Einiges Russland“ jedoch keine Hürde sein. Zum einen sorgen dafür eine Reihe von Tricks, zu denen beispielsweise der administrative Druck auf die Angestellten staatlicher Institutionen wie des Bildungs- und Gesundheitswesens, der Justiz, der Armee und der Polizei gehört, die „Richtigen“ zu wählen. Zum anderen spielt dem Kreml nach Ansicht von Kolesnikow eine allgemeine politische Apathie der russischen Bevölkerung in die Hände. Der Fall Nawalny habe den durchschnittlichen Bürger „in seiner Komfortzone“ zwar aufgeschreckt, aber nicht nachhaltig mobilisiert.

Die Duma, die Abgeordnetenkammer des russischen Parlaments, hat in diesem Monat zudem mehr als ein Dutzend Gesetze verabschiedet, um die Arbeit der Opposition zu erschweren und die Informations- und Meinungsfreiheit einzuschränken. So wurden die Blockade sozialer Netzwerke erleichtert, das Demonstrationsrecht massiv beschnitten und das Gesetz über „ausländische Agenten“ verschärft, das die Arbeit zivilgesellschaftlicher Institutionen behindert.

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