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FDP-Chef Christian Lindner.
© AFP/Christophe Gateau

Liberale ziehen in Thüringer Landtag ein: Die „Funktionspartei“ FDP ist zurück

Die Liberalen schaffen den Sprung in den Erfurter Landtag mit einem äußert knappen Ergebnis – und einer Strategie, die sie eigentlich überwinden wollten.

Es ist der Moment, auf den FDP-Chef Christian Lindner so lange gewartet hat. Als er am Wahlabend zusammen mit den Mitgliedern der Parteispitze auf die kleine Bühne im Hans-Diedrich-Genscher-Haus tritt, wird Lindner mit kräftigem Applaus empfangen. Zwar ist zu dem Zeitpunkt noch offen, ob die Freidemokraten in Thüringen den Sprung über die Fünf-Prozenthürde schaffen. Für sie dauert das Zittern bis tief in die Nacht. Erst gegen Mitternacht wird klar, dass die Liberalen mit nur fünf Stimmen die parlamentarische Hürde überwinden werden.

Es sei ein Tag, an dem „unsere Nervenstärke gefordert sein wird“, sagt Lindner noch kurz vor 19 Uhr. Trotzdem feiert man in der Parteizentrale schon einmal. Lindner und seine Anhänger werten die ersten Hochrechnungen kurz nach Schließung der Wahllokale bereits ihren als großen Erfolg – auch wenn sie nicht wissen können, ob es tatsächlich für den Einzug ins Landesparlament reicht.

Lindner sieht sich bestätigt

Doch für Lindner steht frühzeitig fest: Die Partei habe bei der Thüringen-Wahl etwas erreicht, das den Liberalen „seit zehn Jahren nicht mehr gelungen ist, nämlich erfolgreich zu sein bei einer ostdeutschen Landtagswahl.“ Man habe das Ergebnis im Vergleich zu den 2,5 Prozent aus dem Jahr 2014 „deutlich ausgebaut“. Das Betonen der FDP-Kernthemen – Bildung, Wirtschaft, Digitales – sei die richtige Strategie gewesen. Sein Kurs, den der Liberalen-Chef auch nach den Niederlagen in Brandenburg und Sachsen am 1. September partout nicht ändern wollte, habe nun „zu Zugewinnen geführt“, sagt Lindner zufrieden. Lindner sieht sich bestätigt. Vielleicht ist er auch erleichtert.

Kurz vor Mitternacht steht dann das amtliche Ergebnis fest: 5,0005 Prozent der Stimmen erreicht die FDP. 5 Stimmen über der Hürde.

Dass Lindner bereits Stunden vorher den Wahlsieg ausruft, hat Gründe. Der FDP-Politiker brauchte den Erfolg – und zwar dringend. Nach Sachsen und Brandenburg wollte der Parteichef eine dritte Pleite in Folge unbedingt verhindern. Man hätte ihm sonst vielleicht unangenehme Fragen gestellt, auch nach dem Bild, das die Partei insgesamt abgibt – und auch nach seiner Rolle als Parteichef.

Kemmerich nutzte den „taktischen Vorteil“

Schon vor Beginn der heißen Wahlkampfphase hatte Spitzenkandidat Thomas Kemmerich in einem Brief an Lindner mehr Rückenwind aus Berlin gefordert, mehr inhaltliche Stärke. Auch Lindner hatte auf eine Erhöhung des Tempos gedrängt. „Inhaltlich sind wir als Bundes-FDP seit den Wahlen in Sachsen und Brandenburg auf jeden Fall schärfer geworden. Da kommen die Partei und auch meine Fraktion im Bundestag meiner Forderung nach mehr Kontur durchaus nach“, sagte Kemmerich vor zwei Wochen im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Am Wahltag dankte er der Parteiführung für die „massive Unterstützung“.

Inhaltlich setzte Kemmerich, der seit 2017 im Bundestag sitzt, auf ein rechtsliberales Profil: Bildung, Wirtschaft, etwas mehr Härte in der Migrationspolitik. Zusätzlich rief er vor allem aus strategischen Gründen zur Wahl der FDP auf. „Wir haben hier einen taktischen Vorteil“, sagte er gerne. Auch Lindner betonte diesen Punkt regelmäßig: Eine Stimme für die CDU mache im Grunde keinen Unterschied – die FDP zu wählen, könne aber dabei helfen, Rot-rot-grün abzuwählen, lautete die Argumentation.

Die Strategie ist aufgegangen, wenn auch denkbar knapp. Zugleich begab sich die FDP in eine Rolle, in der sie eigentlich nicht mehr sein wollte. Die Freidemokraten wollten keine „Funktionspartei“ mehr sein – also keine Partei mehr, die nur aus taktischen Gründen gewählt wird. Doch im Thüringer Wahlkampf wurden die Liberalen nicht müde, ihre Funktion als mögliche Verhinderer von Rot-rot-grün zu unterstreichen.

Jetzt, da die FDP mit fünf Mandaten im Erfurter Landtag sitzt, dürfte eine Regierungsbildung noch schwerer werden. Linke, SPD und Grüne haben keine Mehrheit mehr. Eine Zusammenarbeit mit der Linken hat Kemmerich vor und auch nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen. Das gleiche gilt für eine mögliche Koalition mit der AfD.

Stattdessen schlägt der FDP-Landeschef eine Minderheitsregierung unter Duldung der Freidemokraten vor. Die Idee: Linke, SPD und Grüne regieren zusammen. Die FDP sorgt nach Gusto für die nötige Mehrheit. Damit wären die Liberalen von der außerparlamentarischen Opposition zum Königsmacher aufgestiegen – und damit zurück in ihrer alten Rolle als eine reine „Funktionspartei“.

Paul Starzmann

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