Vor den Landtagswahlen: Warum die FDP einen Erfolg in Thüringen braucht
Thomas Kemmerich, Spitzenkandidat der Liberalen, ist ein Meister der Selbstvermarktung. Aus dem Umfragetief kommt seine Partei trotzdem nicht.
Thomas Kemmerich will zurück zum Thema. Der FDP-Spitzenkandidat für die Thüringer Landtagswahl am 27. Oktober hat in der Halle eines Mercedes-Händlers Platz genommen. Es ist ein grauer Mittwochnachmittag, draußen rauscht der Verkehr vorbei, drinnen glänzen fabrikneue Luxuskarossen im Licht der Neonröhren.
Der Automobilclub Weimar hat zur Podiumsdiskussion eingeladen. Neben Kemmerich sind Vertreter von CDU, SPD, Linken und Grünen gekommen, um vor zwei Dutzend Gästen über Verkehrspolitik zu sprechen.
Dabei spürt man auch hier in der Thüringer Provinz, ein paar Kilometer östlich von Weimar, den Zeitgeist. Anstatt über Autos zu reden, diskutieren die Politiker über den öffentlichen Nahverkehr, über Fahrradstrecken und Fußwege.
Kemmerich reicht das irgendwann. Thüringen sei und bleibe ein „Autofahrerland“, sagt der FDP-Mann mit tiefer Stimme. Einen „überzeugten Dieselfahrer“ nennt er sich selbst.
„Gegen den Trend“, steht auf den Plakaten der Thüringer FDP. Sie zeigen Kemmerich im dunklen Anzug, mit akkurat rasierter Glatze und schwarzen Cowboystiefeln.
Der FDP-Landeschef, gebürtiger Rheinländer, Besitzer einer Friseurkette und seit 2017 im Bundestag, möchte sich von den anderen Bewerbern absetzen. Mit kantigem Auftreten und markigen Sprüchen will der 54-Jährige die Liberalen nach fünf Jahren wieder in den Erfurter Landtag führen.
Verliert die FDP endgültig den Anschluss in Ostdeutschland?
Ein Typ ganz nach dem Geschmack von Parteichef Christian Lindner ist Kemmerich. Es sei ein „Privileg, so eine Persönlichkeit in unseren Reihen zu haben“, sagt Lindner am Mittwochabend bei einer Parteiveranstaltung in der Stadthalle von Gotha. Die Stuhlreihen sind dünn besetzt, vorne steht in einer Vitrine ein Paar schwarzer Cowboystiefel – Kemmerichs Markenzeichen.
Wie Lindner im Bund, vermarktet Kemmerich im Thüringer Wahlkampf vor allem sich selbst. Vielleicht verbindet das die beiden Parteifreunde? „Wir haben immer schon einen guten Faden gesponnen“, sagt Kemmerich. Dass er Erfolg hat, daran ist Lindner viel gelegen. Mehr als ein Dutzend Auftritte absolviert der Chef der Bundespartei in diesen Tagen in Thüringen. Lindner will verhindern, dass nach Sachsen und Brandenburg die dritte Wahl in Folge verloren geht – und die Liberalen damit in Ostdeutschland endgültig den Anschluss verlieren.
Die Umfragewerte verheißen seit Monaten nichts Gutes. Auch in der aktuellen Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen kommen die Freidemokraten in Thüringen auf nur fünf Prozent. Die Linken schneiden mit 27 Prozent am besten ab, dicht gefolgt von der CDU mit 26 Prozent. Die AfD kommt auf 20, die SPD erreicht neun, die Grünen acht Prozent.
Die Liberalen hoffen auf „taktische Wähler“
Im Gegensatz zu Sachsen und Brandenburg gebe es für die FDP in Thüringen aber „einen taktischen Vorteil“, sagt Kemmerich. Er hofft, dass sich viele Wähler aus strategischen Gründen für die FDP entscheiden: Schon jetzt haben Linke, SPD und Grüne Schwierigkeiten, ihre Mehrheit zu verteidigen.
Sollte die FDP in den Landtag einziehen, wäre eine Neuauflage von Rot-rot-grün noch unwahrscheinlicher. „Wir wollen Teil der nächsten Landesregierung sein, einer Koalition aus der Mitte heraus, ohne AfD oder Linke“, sagt Kemmerich, der Wirtschaftsminister werden will. Wie das mathematisch aufgehen soll, erklärt er nicht.
Inhaltlich setzen die Freidemokraten auf liberale Klassiker: Wirtschaft, Bildung, Bürokratieabbau. In der Migrationspolitik versuchen sie es mit etwas mehr Härte. Kemmerich will den Wählern einen Mittelweg anbieten. „Mit dem Alarmismus von links und rechts lösen wir nichts“, sagt er. „Weder mit der Panikmache der AfD noch mit der Rigorosität der Grünen oder Linken.“
Wie aufgeheizt die Stimmung kurz vor der Wahl ist, zeigte sich in der Nacht auf Mittwoch. Unbekannte sprühten eine Parole neben den Eingang von Kemmerichs Wohnhaus in Weimar. Sie malten ein rotes Anarchie-Symbol auf die Hauswand – und erklärten den Thüringer FDP-Chef zum „Feind“.