Konferenz Global Solutions in Berlin: Die Finanzmärkte müssen den Menschen dienen
Das Geld ist ungleich verteilt - zum Schaden aller. Warum die Finanztransaktionssteuer und private Investitionen in Afrika notwendig sind. Ein Gastbeitrag anlässlich des "Global Solutions Summit"
Die Digitalisierung hat zu einer nie dagewesenen Globalisierung der Märkte geführt. Börsen und Handelsplätze sind auf das Engste verbunden. Hochleistungsrechner reagieren im Millisekundenbereich nach zuvor programmierten Algorithmen auf kleinste Kursunterschiede. Innerhalb weniger Augenblicke werden so Milliarden US-Dollar von einem Marktplatz auf den anderen verschoben. Der Tagesumsatz auf den Devisenmärkten betrug kurz nach dem Ende der Finanzkrise bereits 1000 Billionen US-Dollar - eine unvorstellbare Zahl mit 18 Nullen, die damals dem 15-fachen des globalen Bruttoinlandsproduktes entsprach.
Wenn Anteilsscheine nur für Bruchteile einer Sekunde gehalten werden, kann dies kaum der Gesamtwirtschaft nutzen. Das Geld arbeitet nicht für die Menschen. Oder genauer: Es arbeitet nur für eine äußerst kleine Elite. Finanzspekulationen und Finanzinvestitionen koppeln sich so immer weiter von der Realwirtschaft ab. Papst Franziskus hat erst vor einigen Tagen vollkommen zurecht den Zustand der Finanzwirtschaft angeprangert. Die Weltgemeinschaft hat es nicht geschafft, „ausbeuterischen und spekulativen Absichten einen Riegel vorzuschieben“.
Dabei werden Investitionen dringend benötigt: 90 Milliarden Dollar müsste die Weltgemeinschaft nach Schätzungen der UN jährlich investieren, damit alle Menschen weltweit in Würde leben können. Es geht dabei um so grundlegende Dinge wie eine ausreichende Ernährung, Bildung, funktionierende Gesundheitssysteme, Zugang zu Energie oder öffentlichen Transport. 90 Milliarden Dollar pro Jahr - auch das ist eine enorme Summe. Und doch nur ein Bruchteil der Spekulationsgewinne.
Die Finanztransaktionssteuer muss kommen - worauf warten wir?
Klar ist: Mit öffentlichen Mitteln allein ist diese Summe nicht zu stemmen. Wir brauchen private Investitionen. Wir brauchen Finanzsysteme, die den Menschen dienen; die Entwicklung fördern, nicht verhindern!
Dafür braucht es klare Regeln, und es braucht die G20-Staatengruppe, die diese Regeln durchsetzt. Die Gruppe ist groß genug, um global wirksam zu sein, und klein genug, um Lösungen auch wirklich voranbringen zu können. Sie stehen zusammen für zwei Drittel der Weltbevölkerung, drei Viertel des Welthandels und 85 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Um neue Ansätze für eine sinnvolle Steuerung der globalen Finanzmärkte zu entwickeln braucht es G-20-Konferenzen wie die heute in Berlin beginnende „Global Solutions“.
Wir müssen uns erstens stark machen für eine Finanztransaktionssteuer, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Mir kann keiner erzählen, dass die Bankentürme in Frankfurt ins Wanken geraten, wenn wir eine Steuer von 0,1 Prozent auf den Handel von Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf spekulative Anlagen wie Derivate verlangen. Eine solche Steuer belastet keinen Normalbürger. Sie würde aber exzessive Spekulationsgeschäfte eindämmen, die mehr schaden als nutzen. Bis zu 60 Milliarden Euro könnte die Finanztransaktionssteuer europaweit einbringen. Mittel, die wir für dringend benötigte Zukunftsinvestitionen in Afrika verwenden könnten. Zehn europäische Staaten haben ihre Bereitschaft erklärt, sich an der Finanztransaktionssteuer zu beteiligen. Worauf warten wir also noch?
Zweitens müssen sich die G20 noch stärker gegen Steuerbetrug und illegale Finanzströme einsetzen. Jedes Jahr fließen geschätzt 50 Milliarden US-Dollar illegal aus Afrika ab, in etwa die Summe der weltweiten öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Diese fehlenden Steuereinnahmen werden aber dringend für Investitionen und Arbeitsplätze gebraucht. Um dies zu ändern, hat die G20 – auch auf deutsche Initiative – den automatischen Austausch von Steuerdaten und die Offenlegung der Eigentümerverhältnisse von Unternehmen vorangebracht. In Kenia hat Deutschland als G-20-Vorsitz 2017 zudem die "Afrikanische Akademie für die Bekämpfung von Steuer- und Finanzkriminalität" mitgegründet. Afrika braucht mehr Zentren dieser Art! Die afrikanischen Regierungen müssen ihre Anstrengungen für die Einhaltung des geltenden Rechts und die Erhöhung der eigenen Steuereinnahmen deutlich steigern.
In Afrika wird Geld gesucht, und hierzulande fehlen Anlagemöglichkeiten
Wir müssen drittens die weitere Gewinnverlagerung internationaler Konzerne in Steueroasen verhindern. Im globalen Wettbewerb um Investitionen lassen sich viele Staaten auf einen unheilvollen Wettlauf ein, Standards und Steuern zu senken. Spezialisierte Abteilungen der großen internationalen Konzerne nutzen dies gnadenlos aus und drücken ihre Steuern auf ein Minimum. So gehen Industrie- und Entwicklungsländer jedes Jahr 100 bis 240 Milliarden US-Dollar an öffentlichen Einnahmen verloren. Um dies zu ändern, hat die OECD im Auftrag der G20 einen Aktionsplan zur Schaffung neuer, globaler Standards entwickelt. Wir müssen ihn jetzt konsequent umsetzen, damit Entwicklungsländer ihren fairen Anteil an den bei ihnen erwirtschafteten Gewinnen erhalten.
Schließlich müssen wir privates Kapital dorthin lenken, wo es wirklich gebraucht wird: Raus aus kurzfristigen spekulativen Anlagen, hinein in die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere Afrikas. Es ist doch verrückt: Mit weniger als 0,05 Prozent der weltweiten Finanzanlagen könnte die jährliche Finanzierungslücke für Infrastrukturinvestitionen in Afrika geschlossen werden. Und hierzulande suchen institutionelle Anleger angesichts der niedrigen Zinsen händeringend nach lohnenden Anlagemöglichkeiten.
Dieses Potenzial für nachhaltige Investitionen müssen wir besser nutzen. Deswegen erarbeite ich derzeit ein Entwicklungsinvestitionsgesetz. Damit setzen wir neue Anreize für private nachhaltige Investitionen in Afrika und sichern die Risiken eines solchen Engagements, insbesondere für deutsche mittelständische Unternehmen besser ab.
Wenn sich die G20 im Herbst in Buenos Aires treffen, muss von dem Gipfel ein klares Signal ausgehen: Finanzmärkte müssen den Menschen dienen. Nur so werden wir unserer Verantwortung für nachhaltige Entwicklung und Frieden auch im G-20-Rahmen gerecht.
Gerd Müller ist seit Dezember 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Beim Global Solutions Summit, der am 28. und 29. Mai in Berlin stattfindet, diskutieren Politiker, Manager und Wissenschaftler globale Probleme und erarbeiten Empfehlungen für den G-20-Gipfel Ende November. Zu den Rednern zählen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Nobelpreisträger sowie Vertreter von UN, OECD und Weltbank. Global Solutions ist eine Initiative, an der das Kieler Institut für Weltwirtschaft und der Tagesspiegel beteiligt sind.
Gerd Müller