Plötzlich Klimaschützer: Die FDP verpasst sich einen grünen Anstrich
Beim Bundesparteitag am Wochenende will die FDP ihr Profil schärfen - nicht nur mit dem typisch liberalen Portfolio.
„Tempoprogramm“ – so nennt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer das mehr als 270 Seiten starke Antragsbuch für den Bundesparteitag der Liberalen, der von Freitag bis Sonntag in Berlin stattfindet. Gegen den „Stillstand der Bundesregierung“ richte sich das Antragspaket, sagt Beer. Die FDP will Tempo machen – nicht nur mit dem typisch liberalen Portfolio: mehr für die Wirtschaft tun, dafür weniger Steuern und Abgaben. Zusätzlich gehen die Liberalen in diesem Jahr mit einem weiteren inhaltlichen Schwerpunkt in ihren Bundesparteitag – und damit in das Wahljahr 2019: die Klimapolitik.
Der freie Markt soll das Klima retten
„Wir Freie Demokraten wollen eine Politik gestalten, die Klimaschutz durch das Vertrauen auf technologischen Fortschritt mit einer modernen Industriegesellschaft und steigendem Wohlstand in Einklang bringt“, heißt es im Leitantrag des Bundesvorstands. Im Zentrum steht die Idee, das Klima über den freien Markt zu retten – eine „marktwirtschaftlich orientierte Klimapolitik“.
Dabei setzten die Liberalen „auf den Emissionshandel als zentrales Leitinstrument in der Klimapolitik“. Der Verkauf von Verschmutzungsrechten soll Unternehmen dazu bewegen, die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sollen in die Forschung gehen – insbesondere in den „Bereich der CO2-Vermeidung, -Nutzung und -Speicherung“.
Dass die FDP ihre grüne Ader entdeckt, ist kein Zufall. Auch die Liberalen nehmen den Höhenflug der Grünen in den Umfragen wahr. 10,7 Prozent erreichten die Liberalen bei der Bundestagswahl 2017, in Umfragen liegen sie aktuell nur noch bei neun Prozent. Während die Grünen nach dem Bundestagswahlergebnis von 8,9 Prozent auf 19 Prozent hochgeschossen sind. Lindners Reibereien mit FDP-Vize Wolfgang Kubicki und die starke Fokussierung auf seine Person sind auch eine Bürde, die Grünen punkten mit ihrer Doppelspitze Robert Habeck/Annalena Baerbock.
FDP geht Wirtschaftsminister Altmaier an
Um das Umweltthema ganz neu für sich zu reklamieren, wird nun sogar die Parteiikone Hans-Dietrich Genscher bemüht. Der habe als Innenminister (1969 bis 1974) das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und sei streng genommen der erste Umweltminister gewesen.
Ausgerechnet beim Klimaschutz hat FDP-Chef Christian Lindner allerdings vor kurzem für öffentlichen Ärger gesorgt. Er hatte im März gefordert, die Klimapolitik den „Profis“ zu überlassen – statt den streikenden Schülern von „Fridays for Future“. Nicht nur Umweltschützer und die politische Konkurrenz kritisierten Lindner scharf dafür – auch in der eigenen Partei zeigten viele Unverständnis. Für Lindners Ergebnis bei der Wahl zum Vorsitzenden am Wochenende könnte das durchaus negative Folgen haben. Gut möglich, dass er die 91 Prozent nicht halten kann, mit denen er vor zwei Jahren im Amt des Parteichefs bestätigt wurde.
Während die Flanke zu den Grünen durch ein klares Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen (aber mit ökonomischem Augenmaß) geschlossen werden soll, will man zudem bei dem Parteitag in einer offenen Wunde der Union bohren. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat mit seinem Masterplan für eine stärker staatlich beeinflusste Industriepolitik und sein Werben für europäische Champions vor allem den Mittelstand gegen sich aufgebracht. Gibt es doch gerade hier viele „hidden champions“, die sich statt großer 2030-Pläne weniger Bürokratie, steuerliche Entlastungen und günstigere Energiepreise wünschen. Es wird auch mit Blick auf die Wirtschaftspolitik ein weiterer Profilschärfungsparteitag.
Mini-Häuser gegen die Mietenkrise
Nachdem das Vorjahr von den Nachwehen des Jamaika-Fiaskos überschattetet wurde, will die Lindner-FDP die thematische Breite weiter schärfen. So zerpflückt der Antrag des Landesverbands Sachsen-Anhalt unter der Überschrift „Keine Industriepolitik französischer Art in Deutschland“ Altmaiers Visionen. „Anstatt mit Steuergeldern ein Batteriezellenwerk mit vorhandener Technologie aufzubauen, sind Forschung in die nächste Batteriezellengeneration und die Förderung von Start-Ups von staatlicher Seite zu finanzieren“, wird darin gefordert. Zudem wird in einem Antrag die von der großen Koalition geplante Verschärfung der Meisterpflicht im Handwerk abgelehnt, um den Wettbewerb zu stärken.
Daneben gibt es eine Reihe von ganz interessanten Anträgen: So sollen Haushaltshilfen, Pflegekräfte und Kinderbetreuung zu 100 Prozent von der Einkommenssteuer abgesetzt werden können; unverheiratete Paare genauso Kinder adoptieren können und Eizellenspenden in Deutschland legalisiert werden. Mit Blick auf fast 14 Jahre Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert der Landesverband Baden-Württemberg eine Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre bei den Kanzlern. Im Kampf gegen kaum noch zu bezahlende Wohnungen, unter denen auch die Mittelschicht in Großstädten leidet, heißt die FDP-Devise: Bauen, Bauen, Bauen.
Einen ganz besonderen Vorschlag unterbreitet der Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg, sozusagen von der Front im Mietenkampf: „Sogenannte Tiny Houses können auch in bereits dicht besiedelten Gebieten die Möglichkeit bieten, bezahlbaren Wohnraum in attraktiven Wohnlagen zu schaffen.“ Tiny Houses, das kommt aus den USA und steht für mobile, 15 bis 45 Quadratmeter große Mini-Wohnungen, würden den Unabhängigkeitsdrang von Individualisten bedienen. „Sie lassen sich schnell errichten und bei Bedarf auch an andere Standorte verlegen.“ Zudem müsse man über eine stärkere Wiederbelebung der WG-Idee nachdenken.
Keine Frauenquote für die FDP
Ebenfalls neu im Programm der FDP sind Vorschläge, die das frauenpolitische Image der Partei aufpolieren sollen. Dass die Liberalen zu wenige Frauen in den eigenen Reihen vorzuweisen haben (nur rund 20 Prozent der Mitglieder sind weiblich), ist schon länger bekannt. Jetzt will der Bundesvorstand inhaltlich gegensteuern – und damit weibliche Mitglieder, aber vor allem Wählerinnen anlocken.
So fordern die Liberalen zum Beispiel ein Ende des „Gender Pay Gaps“, der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen. Auch müsse es „mehr Frauen in Führungspositionen“ geben, wie es im Leitantrag heißt. Eine Frauenquote für die eigene Partei soll es aber nicht geben, betonte die designierte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg am Samstag in der „Welt“.
Die 38-Jährige soll am Wochenende zur neuen Generalsekretärin gewählt werden. Die bisherige Frau auf dem Posten, Nicola Beer, geht nach Brüssel, sie ist FDP-Spitzenkandidatin für die Europwahl. Teuteberg gilt schon länger als Hoffnungsträgerin der Liberalen, sogar der ehemalige Parteichef Guido Westerwelle lobte einst ihr politisches Talent. Das bewies sie vor sechs Jahren auch in der Politik-Sendung „Absolute Mehrheit“ mit Stefan Raab. Damals gewann Teuteberg die TV-Show. Sie hatte knapp 40 Prozent der Zuschauer überzeugt.