Vertrauliche Dokumente: Deutschland wird zum Klima-Bremser
Die Bundesregierung gerät beim Klimaschutz immer mehr ins Hintertreffen. Das geht aus Dokumenten zum EU-Gipfel hervor.
Vertrauliche Dokumente, die vor dem an diesem Freitag zu Ende gegangenen EU-Gipfel erstellt wurden, zeigen ein Ost-West-Gefälle in Europa beim Thema Klimawandel. Dabei wird Deutschland verstärkt zum Bremser und rutscht immer weiter auf die Seite Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik, die sich weigern, das Ziel „Klimaneutralität bis 2050“ auszugeben.
Die geleakten Dokumente, auf die EurActiv Zugriff hat, enthalten die von den einzelnen Mitgliedsländern vorgeschlagenen Änderungen für die Abschlusserklärung des Gipfels.
Beim Klimaschutz zeigt sich dabei eine wachsende Kluft zwischen zwei Ländergruppen: Einerseits unterstützen Frankreich, Luxemburg, Spanien, Portugal, Finnland, Schweden, Dänemark und die Niederlande einen Plan der EU-Kommission, die EU bis 2050 zu „dekarbonisieren“ und die europäische Klimapolitik ausdrücklich an die Ziele des Pariser Abkommens zu binden. So soll die Eindämmung der globalen Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius festgesetzt werden.
Ein französischer Änderungsvorschlag unterstreicht zum Beispiel, dass Europa bis 2050 „im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens“ nach Klimaneutralität streben solle. Außerdem werden die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, „eine Debatte beim EU-Ratstreffen im Juni vorzubereiten, um dort die Haltung der EU für den Klimagipfel im September in New York festzulegen“. Beide Änderungsanträge wurden allerdings abgelehnt und finden sich im endgültigen Entwurf derzeit nicht wieder.
Auf der anderen Seite weigern sich Deutschland, Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, die Klimaschutzmaßnahmen der EU mit dem konkreten 1,5-Grad-Ziel zu verknüpfen. Sie lehnen auch jegliche zeitlich festgelegte Verpflichtung für Klimaneutralität ab: Der Verweis auf 2050 als Zielpunkt für eine klimaneutrale EU wurde von ihnen gestrichen.
Kluft zwischen Deutschland und Frankreich
„Wenn es um den Klimawandel geht, gibt es eindeutig eine wachsende Kluft zwischen Deutschland und Polen auf der einen Seite und Frankreich und anderen Regierungen auf der anderen,“ kommentierte Sebastian Mang, EU-Klimaberater bei Greenpeace.
„Deutschland ist bestrebt, die Bemühungen Frankreichs und mehrerer europäischer Regierungen für ein Netto-Null-Ziel bei den Treibhausgasemissionen bis 2050 aufzuhalten,“ so Mang gegenüber EurActiv.com.
Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr diverse Szenarien für die Entwicklung der europäischen Klimapolitik bis 2050 vorgelegt und dabei die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, Vorschläge zur Senkung der CO2-Emissionen auf „netto Null“ bis 2050 zu unterstützen.
„Ich möchte ohne jegliche Zweifel unterstreichen, dass das Ziel der EU darin bestehen sollte, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Es führt einfach kein Weg daran vorbei,“ hatte Miguel Arias Cañete, der EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, in einem Interview mit EurActiv Anfang Februar erneut betont.
Klimaforscher warnten im vergangenen Jahr, eine globale Erwärmung über 1,5 Grad Celsius würde verheerende Auswirkungen auf den Planeten haben. Extreme Hitze, Überschwemmungen und Stürme könnten Millionen Menschen in Elend und „Zwangsmigration“ treiben.
Nach Ansicht der Kommission „hätte (eine derartig Erderwärmung) auch schwerwiegende Folgen für die Produktivität der europäischen Wirtschaft“, einschließlich der Lebensmittelproduktion. Derartige Probleme würden sich dann auch auf die „politische Stabilität“ auswirken.
Klimaproteste verstärken den Druck
Die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen hat in den vergangenen Monaten an neuer Dynamik gewonnen, insbesondere weil Millionen junger Menschen in Europa und der ganzen Welt auf die Straße gehen, um verstärktes politisches Engagement zur Bekämpfung der Erderwärmung und des Klimawandels zu fordern.
„Die Reaktion Deutschlands auf diese beispiellosen Proteste junger Menschen auf der ganzen Welt besteht im Wesentlichen darin, die europäischen Klimaschutzmaßnahmen zu bremsen,“ kritisierte Mang. Abschließend müsse man festhalten: „Angela Merkel steht eindeutig auf der falschen Seite der Geschichte.“
(Bearbeitet von Sam Morgan und Tim Steins)
Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.
Frédéric Simon